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15. Bildnerei und Baukunst in Schweden
Vadstena zeigt. In zwei Höfen drängen mächtige Putzmauern den
Raum zusammen; von aller Flächengliederung ist abgesehen, da-
gegen die kubische Masse des Baukörpers allseitig entfaltet; ge-
schlossen, breitgelagert, bodenfest wächst sie in die Bebauung der
Insel Kungsholm ein, die der aus der Hauptachse geruhsam sich
hebende schwere Turm um sich als Führer sammelt. Wohl trägt
Westmans Rathaus im ganzen noch historisches Gepräge — was
besonders auch bei der inneren Raumbehandlung fühlbar wird —,
aber in der Natürlichkeit und Phrasenlosigkeit der Baugesinnung
und der Formensprache ist doch ein neuer Zug zu erkennen. Fast
ein Jahrzehnt später (1923) hat Ragnar Ostberg das große Werk
des neuen Stockholmer Stadthauses zum Abschlüsse gebracht. Hier
stellte seltene Gunst der Lage den Architekten vor eine ebenso reiz-
volle wie schwierige Aufgabe. Unmittelbar am Mälar, in dessen
innerstem Winkel an der Einfahrt zur Stadt liegt der Bauplatz,
der ein Land und See weithin beherrschendes Wahrzeichen forderte.
Das gegebene Problem hat Ostberg sicher und groß gelöst, indem
er das Stadthaus als geschlossenen Block am Mälarufer verfestigte,
aus ihm den Eckturm als mächtigen Würfel hoch emportrieb und
schließlich das Massengefühl in einer kecken Turmkrone fast spiele-
risch auflöste. So wurzelt der Bau fest im Raume, so definiert er
ihn in die Breite, Tiefe und Höhe; der kühn aufsteigende Turm
bringt die Weiträumigkeit der Mälarlandschaft zum Bewußtsein;
eine dem Strande folgende offene Säulenhalle — Strzygowski hat
für sie treffend an venezianische Vorbilder erinnert — zieht den
Raum in das Gebäude hinein, wo ihn ein sehr plastisch gebildeter
Hof zusammennimmt. Die innere Logik und die Kraft dieses
Grundgedankens ist so überzeugend, daß sie über mancherlei
Launen, Willkürlichkeiten und Spielereien der Außen- wie der
Innengestaltung triumphiert, mit denen der alle Wirkungen aus-
pressende Architekt den Bau belastet hat.
Wohl die reinsten Leistungen hat diese moderne schwedische
Architektur im Kirchenbau vollbracht. Bei der von L. J. Wahlman
erbauten Engelbrechtskirche in Stockholm und Sigfrid Ericsons
Masthuggskirche in Gotenburg waren die Bedingungen insofern
gleichartig, als beide auf Felshöhen zu errichten waren. Aber jene
15. Bildnerei und Baukunst in Schweden
Vadstena zeigt. In zwei Höfen drängen mächtige Putzmauern den
Raum zusammen; von aller Flächengliederung ist abgesehen, da-
gegen die kubische Masse des Baukörpers allseitig entfaltet; ge-
schlossen, breitgelagert, bodenfest wächst sie in die Bebauung der
Insel Kungsholm ein, die der aus der Hauptachse geruhsam sich
hebende schwere Turm um sich als Führer sammelt. Wohl trägt
Westmans Rathaus im ganzen noch historisches Gepräge — was
besonders auch bei der inneren Raumbehandlung fühlbar wird —,
aber in der Natürlichkeit und Phrasenlosigkeit der Baugesinnung
und der Formensprache ist doch ein neuer Zug zu erkennen. Fast
ein Jahrzehnt später (1923) hat Ragnar Ostberg das große Werk
des neuen Stockholmer Stadthauses zum Abschlüsse gebracht. Hier
stellte seltene Gunst der Lage den Architekten vor eine ebenso reiz-
volle wie schwierige Aufgabe. Unmittelbar am Mälar, in dessen
innerstem Winkel an der Einfahrt zur Stadt liegt der Bauplatz,
der ein Land und See weithin beherrschendes Wahrzeichen forderte.
Das gegebene Problem hat Ostberg sicher und groß gelöst, indem
er das Stadthaus als geschlossenen Block am Mälarufer verfestigte,
aus ihm den Eckturm als mächtigen Würfel hoch emportrieb und
schließlich das Massengefühl in einer kecken Turmkrone fast spiele-
risch auflöste. So wurzelt der Bau fest im Raume, so definiert er
ihn in die Breite, Tiefe und Höhe; der kühn aufsteigende Turm
bringt die Weiträumigkeit der Mälarlandschaft zum Bewußtsein;
eine dem Strande folgende offene Säulenhalle — Strzygowski hat
für sie treffend an venezianische Vorbilder erinnert — zieht den
Raum in das Gebäude hinein, wo ihn ein sehr plastisch gebildeter
Hof zusammennimmt. Die innere Logik und die Kraft dieses
Grundgedankens ist so überzeugend, daß sie über mancherlei
Launen, Willkürlichkeiten und Spielereien der Außen- wie der
Innengestaltung triumphiert, mit denen der alle Wirkungen aus-
pressende Architekt den Bau belastet hat.
Wohl die reinsten Leistungen hat diese moderne schwedische
Architektur im Kirchenbau vollbracht. Bei der von L. J. Wahlman
erbauten Engelbrechtskirche in Stockholm und Sigfrid Ericsons
Masthuggskirche in Gotenburg waren die Bedingungen insofern
gleichartig, als beide auf Felshöhen zu errichten waren. Aber jene