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Engelberg, Meinrad von
Renovatio Ecclesiae: die "Barockisierung" mittelalterlicher Kirchen — Petersberg: Imhof, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.62514#0253
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D. FREISING

Der Dom von Freising ist die vielleicht
meist besprochene und am besten unter-
suchte „Barockisierung“ Süddeutsch-
lands244. Dies begründet sich vor allem aus
der Schlüsselrolle, welche der zweiten völ-
ligen Umgestaltung des Kirchenraumes
durch die Brüder Asam 1723 für die Gene-
se des Rokokostils und der Bauaufgabe „Ba-
rockisierung“ zugeschrieben wird245.
Das Bistum Freising zählt zu den Salzbur-
ger Suffraganen. Während das Erzstift klein
und weit zerstreut war246, umfaßte der Di-
özesanbereich den Großteil des oberbaye-
rischen Kernraums des benachbarten Kur-
bayern. Hierdurch entstand eine auf mate-
rieller und machtpolitischer Ebene nicht zu
befriedende Dauerrivalität mit dem mäch-
tigen kurfürstlichen Nachbarn. Nachdem
die Pläne, für Bayern ein eigenes Territo-
rialbistum in München zu gründen, ge-
scheitert waren, löste sich die Dichotomie
geistlicher und weltlicher Hoheitsrechte erst
nach der Säkularisation durch Verlegung
des Bischofssitzes an die Frauenkirche in
München. Vorher hatte Freising lange Zeit,
ähnlich wie Regensburg und Köln, als
Pfründe für die wittelsbachische Sekundo-
genitur dienen müssen. Die beiden großen
Renovierungsphasen der Kathedrale fallen
bezeichnenderweise in die Regierungszeiten

solcher Fürstbischöfe, die aus dem lokalen
Adel des Domkapitels aufgestiegen waren
und sich in weit größerem Maße mit ihrem
Hirtenamt und ergo auch ihrer Domkirche
identifizierten als ihre hochadeligen Amts-
brüder247.
Nach der Reformationszeit rühmte sich das
kleine und arme Bistum248, als einziges süd-
deutsches Territorium als „purissima virgo“
den Verlockungen der lutherischen Irrlehre
dauerhaft widerstanden zu haben249. In die-
sem Kontext ist auch die erste aufwendige
und vom Geist des Tridentinums geprägte
Renovatio der Domkirche durch den refor-
merisch gesinnten Bischof Gepeckh um
1620 zu verstehen.
In einer machtpolitisch ähnlich ungünsti-
gen Situation wie Klöster und andere klei-
ne geistliche Herrschaften, entdeckte man
im 18. Jahrhundert die affirmative Hervor-
hebung der uralten Bistumsgeschichte als
Basis der Selbstdarstellung250: Daher nahm
Bischof Franz Eckher von Kapfing das von
dem benediktinischen Hofhistoriker Pater
Carl Meichelbeck251 auf 1724 datierte 1000.
Bistumsjubiläum zum Anlaß einer großen
Feierlichkeit, in deren Rahmen die zweite
Umgestaltung der Kirche durch die Asam
erfolgte. Der mächtige bayerische Nachbar
Max Emanuel war Ehrengast der Domneu-

Abb. 168: Freising, Dom: Grundriß


244 Eine ausgezeichnete kurze Zusammen-
fassung bietet Traeger 1993, S. 263f; sie-
he auch die tabellarische Übersicht zur
Baugeschichte unter VI.15.
245 Rupprecht 1980, S. 40: „Mit Freising ha-
ben die Asams im 18. Jahrhundert jene
glanzvolle Reihe der Neugestaltungen
mittelalterlicher Räume eröffnet, die
überkommene Bauideen nicht ersetzen,
sondern neu interpretieren - alten Sinn
mit neuer Sprache artikulieren." Hitch-
cock 1968a, S. 12: Freising sei für die Ge-
nese eines eigenständigen süddeutschen
Rokoko „certainlyof prime importance“.
246 Neben der direkten Umgebung der Bi-
schofsstadt befand sich der wichtigste
Teil des kleinen Territoriums im südlichen
Grenzland zwischen Schwaben und Bay-
ern im sogenannten Pfaffenwinkel. Geist-
liches Zentrum dieses Gebietes war das
Kloster Rottenbuch”, das im Bistum die
Rolle eines Archidiakonats einnahm. Sie-
he Götz 1992, S. 24 (Karte des Bistums),
S. 25; Heim 1999 passim.
247 Siehe hierzu Götz 1992 passim, bes. S.
25-31, 198; Hüttl 1974, S. 27.
248 Braunfels 1980 II, S. 196: Die Reichs-
steuerbetrug 1792 190 fl. bei 30.000 Ein-
wohnern auf 827 qkm: Zum Vergleich
Bamberg: 718 fl. bei 220.000 Untertanen
auf 3575 qkm. Heim 1999, S. 544 ver-
weist auf eine während des ganzen 18.
Jh. kaum verminderte Schuldenlast des
Hochstifts von ca. 400.000 fl..
249 Götz 1992, S. 196.
250 Götz 1992, S. 18-24.
251 Zu Meichelbeck und seiner Bedeutung
für die Umgestaltung siehe Mindera 1967
passim; Götz 1992, S. 46f, 148ff; Liebold
1981, 25ff, 30-46.

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