Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Engelberg, Meinrad von
Renovatio Ecclesiae: die "Barockisierung" mittelalterlicher Kirchen — Petersberg: Imhof, 2005

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.62514#0266
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
E. EXKURS: RENOVATIO UND EPHEMERE ARCHITEKTUR

333 Den Vorrang des Festes als begründende
Ursache der Neuausstattung bestätigt
auch das folgende Motto Meichelbecks:
„Festivitatis splendore illustratur. Das ist:
Die Freisinger Kirch wird mit einer hoch-
ansehenlichen Festivität berühmt ge-
macht." hier zit. nach Traeger 1993, S.
263.
334 Götz 1992, S. 185 betont in Übereinstim-
mung mit Benker den geradezu textilen
Charakter der Wand. Der nach oben ge-
drückte Architrav über den Emporen
wecke den Eindruck einer leicht schwin-
genden, an diesen Punkten aufgehängten
Draperie.
335 Dort fehlen allerdings die Fresken in den
Kartuschen.
336 Vergl. die Schriftrollen haltenden Putti
an den Arkadenkämpfern des Passauer
Mittelschiffs, Möseneder 1995, Abb. 5, S.
154.
337 Siehe Götz 1992, Abb. 98, Schnell Nr.
200, S. 12f.

1. Der ephemere Charakter
der Asam-Renovationes als
Spezifikum
Ein Zusammenhang zwischen der Renova-
tio des Freisinger Domes durch die Asam
und der Frage nach dem Einfluß der ephe-
meren Architektur wird durch einige
Aspekte besonders nahegelegt: Es handelt
sich in diesem Falle tatsächlich um eine
Festdekoration, die zum Anlaß einer be-
sonderen Feierlichkeit, hier des Millenni-
ums des Bistums, bestellt wurde333. Wie aus
den Briefwechseln der Auftraggeber her-
vorgeht, war zunächst auch nur eine ephe-
mere Dekoration mit Textilien geplant, und
erst auf Wunsch des Bischofs entschied
man sich für eine dauerhafte Eösung mit
Stuck und Fresken. Die Motivation für die-
se Maßnahme war also im Falle des Korbi-
niansdoms nicht eine grundsätzliche Un-
zufriedenheit mit der überkommenen räum-
lichen Situation (die ja nicht verändert wur-
de) oder der funktionalen Ausstattung, son-
dern ein rein ästhetisch-repräsentatives An-
liegen, eine Frage der Selbstdarstellung des
Fürstbischofs, wie Götz zutreffend heraus-
gearbeitet hat. Schließlich verweist die Ge-
staltung des renovierten Domes in vielen
Aspekten auf einen ephemeren Charakter
der Neugestaltung, wie schon vielfach be-
merkt wurde334: Der leichte, hauchdünne,
kaum plastische oder architektonisch-
struktive Charakter der neuen Raumschale
betont mehr als in früheren Umbauten,
z.B. Passau0 (HEB) oder Würzburg0 (III.I),
den Charakter eines „Festgewandes“. Auch
wenn das für die Innendekoration an-
gewandte Material Stuck dasselbe ist und
die von den Asam reichlich verwendete
Steinimitation eigentlich dauerhafte Mate-
rialien suggeriert, wird ein massiver Ein-
druck doch nirgendwo wirklich spürbar
und ist wahrscheinlich auch gar nicht in-
tendiert. Skulpturale Qualitäten und pla-

stische Wucht, in Passau < 156> ein zentra-
les Element der Gestaltung, wurde in Freising
offensichtlich bewußt vermieden. Dies wird
auch durch die Aufhebung der Gattungs-
grenzen und -Prioritäten unterstützt, indem
die Fresken die Architektur überschneiden,
sich teilweise in Stuck materialisieren und
auch in der Architektur selbst die Rangfol-
ge primärer Gliederungselemente und se-
kundären Dekors nicht mehr zwingend be-
achtet wird. Die architektonischen Elemen-
te wollen als solche nicht mehr unbedingt
„ernstgenommen“ werden, sondern mutie-
ren zu einem gleichwertigen Teil des deko-
rativen Apparats. Demonstrative Verkünder
dieses spielerischen Charakters, die den
Vorgang des Anbringens eines Fest-
schmucks besonders betonen, sind die Put-
ten auf den Mittelschiffsarkaden, die bereits
ausdrücklich im Vertrag erwähnt wurden.
Sie tragen lose flatternde, eben nicht fest
mit der Architektur verbundene Schrift-
bänder mit den Tituli der Corbinians-Sze-
nen. Hinweisenden und unterstreichenden
Charakter hatten derartige Putten schon in
Magnos Würzburger335 <201 > und Carlones
Passauer336 Domstuck. In Freising nehmen
sie aber nicht die Rolle höhere Inhalte ver-
kündender, wissender Engel ein, sondern
agieren in die Szenen hinein, zeigen sich als
emotional betroffene oder erstaunte Be-
trachter337.
In diesem „Apparatcharakter“ der Renova-
tio, dieser egalisierenden Verschmelzung
aller Gattungen zum Zweck einer überge-
ordneten Gesamtinszenierung, liegt die ei-
gentliche Neuerung in Freising. Das zen-
trale Anliegen in Würzburg und Passau
war es, mit den Mitteln der Architektur und
der darin eingebundenen Schwesterkünste
einen Kirchenraum neu und würdig zu ge-
stalten. Die dargestellten Inhalte wurden
dementsprechend ausgewählt. Hier verhält
es sich umgekehrt: Anliegen ist die Selbst-
darstellung des 1000-jährigen Freising und

262
 
Annotationen