1. Agatharied
häufig, wie viele vergleichbare Beispiele, das er-
ste, das einzige etc.?“ - wurde bewußt verzich-
tet, um den hier postulierten Unikatcharakter
der Renovationes nicht zu verwischen.
Der Umfang der Texte fällt, der Bedeutung und
künstlerischen Komplexität der Bauwerke ent-
sprechend, unterschiedlich aus.
Zu jedem Bau wird die wichtigste Literatur an-
gegeben, und hierbei ein oder mehrere als Über-
blick geeignete Titel durch Fettdruck hervorge-
hoben. Außerdem ist jeweils angegeben, ob der
hier vorgestellte Bau in der Dissertation von An-
nemarie Thünker 1945 besprochen oder nicht er-
wähnt (n.e.) ist. Im Text erfolgt der Verweis auf
die unten angegebene Literatur in Klammern mit
dem Autorennamen und der Seitenangabe (z.B.
Thünker S. 45).
Den Texten ist jeweils eine tabellarische Zu-
sammenfassung der Baugeschichte vorangestellt;
Hierin sind die wichtigsten RenovaHo-Maßnah-
men durch Fettdruck hervorgehoben.
1 z.B. der Bamberger, Augsburger und Hildesheimer Dom,
das Aachener Münster, die Münchner Frauenkirche, die
Augustinerkirche Würzburg oder Kath.-Heilig-Kreuz in
Augsburg.
50 KURZMONOGRAPHIEN EXEMPLARISCHER RENOVATIONES
1. Agatharied
Kath. Pfarrkirche St. Agatha
(ObB.) Gemeinde Hausham, Kreis Miesbach, ehern. Kurfürstentum Bayern / Fürstbistum Freising
1215 Erste urkundliche Erwähnung einer St. Jakobskirche am Ort.
vor 1456 Legendäre Stiftung der Agathakirche durch Graf Georg von Waidereck (+1456) als Dank für die Befreiung aus türkischer Gefangenschaft.
1495 Weihedatum eines Altars überliefert.
1505 (dat.) Wölbung der spätgotischen einschiffigen vierjochigen Saalkirche mit eingezogenem zweischiffigen Chor.
1628 (dat.) Seitenaltäre unter Verwendung spätgotischer Skulpturen.
1643 (dat.) Hochaltar unter Verwendung spätgotischer Skulpturen und Bildtafeln, Kanzel.
1670 Stuckierung des Chorraums durch Miesbacher Meister.
ca. 1790 ? Kirchenbänke.
ca. 1850 ? Brüstungsgemälde an der Empore: Die sieben Werke der Barmherzigkeit.
1936 Freilegung der Rankenmalerei im Langhaus.
Agatharied kann als Beispiel dafür dienen, wie das
Bedürfnis nach Erneuerung des Sakralraums auch
das kleinste Dorf erreichte und selbst mit den be-
schränktesten Mitteln ins Werk gesetzt wurde.
Wichtigstes Anliegen der katholischen Reform
des Kirchenraumes war die Aufwertung und Neu-
gestaltung des Hochaltars als Zentrum des Got-
tesdienstes. Auch in kleinen Kirchen, die kaum
je mehr als einen Geistlichen hatten, bemühte
man sich aber zumindest um die Aufstellung ei-
ner ästhetisch einheitlichen Altargruppe aus ei-
nem Haupt- und zwei Nebenaltären am Chorbo-
gen, selbst wenn die räumlichen Verhältnisse
dies kaum zuließen. Die geschlossene Wirkung
der drei Retabel läßt eine in der Literatur ver-
mutete zeitliche Differenz der Entstehung von 20
Jahren (Datierung aufgrund von 1855 noch les-
baren Inschriften auf den Rückseiten der Altäre)
als unwahrscheinlich erscheinen, besonders
dann, wenn der Hochaltar erst nach den Seite-
naltären entstanden sein sollte.
Bemerkenswerterweise wurden in dieser kleinen
Pfarrkirche Skulpturen und bemalte Flügel eines
(?) gotischen Vorgängeraltars in die neuen ba-
rocken Retabel integriert. Dies ist an sich nichts
ungewöhnliches, soweit es sich bei den Frag-
menten um Skulpturen handelt, die religiöse Ver-
ehrung als Gnadenbilder genossen (vergl. An-
dechs0 <332>, Maria Rain° <412>, Inchenhofen0
<394>) oder ihre Resistenz gegenüber ketzeri-
schen Übergriffen bewiesen hatten (Beck 1968, S.
215 ff). Dies scheint aber in Agatharied nicht der
Fall gewesen zu sein, denn man bewahrte nicht
nur eine zentrale Figur, sondern vier Statuen und
zwei Altarflügel, die man auf die gesamte neue
Ausstattung so verteilte, daß im Mittelpunkt jedes
Retabels mindestens eine gotische Skulptur steht.
Obwohl die frühbarocke Altargruppe sichtbar auf
Einheitlichkeit abzielt, ist sie doch ohne Zweifel
um die gotischen Fragmente herum konzipiert:
Am Chorbogen stehen sich so die Standfigur der
heiligen Ursula und die breit ausladende Sitzfi-
gur des HL Jakobus Maior gegenüber. Die Statue
des Apostels verlangt eine wesentlich größere Ni-
sche als die stehende Märtyrerin, was zu einer
Verbreiterung des gesamten Aufbaus führt: Der
südliche Seitenaltar wächst gleichsam um die
zentrale Figur herum.
Besonders merkwürdig wirkt diese Gestaltung
beim Hochaltar, in dem zwei gotische Statuen der
Heiligen Urban und Agatha gleichberechtigt
nebeneinander stehen, während die Flügelbilder,
ebenfalls dem alten Retabel entstammend, nur
das Martyrium der Kirchenpatronin zeigen. Die-
ser Aufbau belegt sehr deutlich die direkte Her-
leitung des für frühbarocke Altäre (z.B. Augsburg
- St. Ulrich und Afra° (VI.4)) typischen „Mon-
stranz“-Typus (Laun) aus dem gotischen Flügel-
altar. An den Nebenaltären wurden entsprechen-
de „Seitenflügel“ mit Bildern zur Vita der Titel-
heiligen als barocke Neuanfertigungen quasi
historisierend hinzugefügt.
Die beiden Figuren des Hauptaltars und die Ur-
sula am nördlichen Chorbogen sind sehr ähn-
lich, unterscheiden sich aber in der Größe, so
daß nicht anzunehmen ist, daß sie zum selben
Altar gehörten. Die mächtige Statue des Apo-
stels Jacobus, heute im südlichen Seitenaltar,
könnte aber als ehemaliger Hauptpatron der
Kirche in der Mitte des alten Hochaltars zwi-
schen zwei stehenden, kleineren Figuren ge-
thront haben.
Hieraus ergibt sich die Frage nach der Ursache
für das „Weiterleben“ der alten Ausstattung „als
ein merkwürdiger Act der Pietät gegen ältere
Kunstwerke“ (Bezold / Riehl S. 1433): Eine kul-
tische Begründung ist in diesem Falle eher un-
wahrscheinlich. Viel mehr spricht die Gleichver-
teilung der Relikte und ihre undramatische Ein-
bindung in die neugeschaffenen Rahmen eher für
eine ganz pragmatische, künstlerisch intendierte
Form der „Denkmalpflege“: Anscheinend hielt
sich in der ländlichen Peripherie das Gefühl für
die künstlerische Qualität gotischer Skulptur bes-
ser als in den stärker vom barocken Geschmack
infizierten regionalen Zentren, den großen Klö-
stern und Stadtkirchen.
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häufig, wie viele vergleichbare Beispiele, das er-
ste, das einzige etc.?“ - wurde bewußt verzich-
tet, um den hier postulierten Unikatcharakter
der Renovationes nicht zu verwischen.
Der Umfang der Texte fällt, der Bedeutung und
künstlerischen Komplexität der Bauwerke ent-
sprechend, unterschiedlich aus.
Zu jedem Bau wird die wichtigste Literatur an-
gegeben, und hierbei ein oder mehrere als Über-
blick geeignete Titel durch Fettdruck hervorge-
hoben. Außerdem ist jeweils angegeben, ob der
hier vorgestellte Bau in der Dissertation von An-
nemarie Thünker 1945 besprochen oder nicht er-
wähnt (n.e.) ist. Im Text erfolgt der Verweis auf
die unten angegebene Literatur in Klammern mit
dem Autorennamen und der Seitenangabe (z.B.
Thünker S. 45).
Den Texten ist jeweils eine tabellarische Zu-
sammenfassung der Baugeschichte vorangestellt;
Hierin sind die wichtigsten RenovaHo-Maßnah-
men durch Fettdruck hervorgehoben.
1 z.B. der Bamberger, Augsburger und Hildesheimer Dom,
das Aachener Münster, die Münchner Frauenkirche, die
Augustinerkirche Würzburg oder Kath.-Heilig-Kreuz in
Augsburg.
50 KURZMONOGRAPHIEN EXEMPLARISCHER RENOVATIONES
1. Agatharied
Kath. Pfarrkirche St. Agatha
(ObB.) Gemeinde Hausham, Kreis Miesbach, ehern. Kurfürstentum Bayern / Fürstbistum Freising
1215 Erste urkundliche Erwähnung einer St. Jakobskirche am Ort.
vor 1456 Legendäre Stiftung der Agathakirche durch Graf Georg von Waidereck (+1456) als Dank für die Befreiung aus türkischer Gefangenschaft.
1495 Weihedatum eines Altars überliefert.
1505 (dat.) Wölbung der spätgotischen einschiffigen vierjochigen Saalkirche mit eingezogenem zweischiffigen Chor.
1628 (dat.) Seitenaltäre unter Verwendung spätgotischer Skulpturen.
1643 (dat.) Hochaltar unter Verwendung spätgotischer Skulpturen und Bildtafeln, Kanzel.
1670 Stuckierung des Chorraums durch Miesbacher Meister.
ca. 1790 ? Kirchenbänke.
ca. 1850 ? Brüstungsgemälde an der Empore: Die sieben Werke der Barmherzigkeit.
1936 Freilegung der Rankenmalerei im Langhaus.
Agatharied kann als Beispiel dafür dienen, wie das
Bedürfnis nach Erneuerung des Sakralraums auch
das kleinste Dorf erreichte und selbst mit den be-
schränktesten Mitteln ins Werk gesetzt wurde.
Wichtigstes Anliegen der katholischen Reform
des Kirchenraumes war die Aufwertung und Neu-
gestaltung des Hochaltars als Zentrum des Got-
tesdienstes. Auch in kleinen Kirchen, die kaum
je mehr als einen Geistlichen hatten, bemühte
man sich aber zumindest um die Aufstellung ei-
ner ästhetisch einheitlichen Altargruppe aus ei-
nem Haupt- und zwei Nebenaltären am Chorbo-
gen, selbst wenn die räumlichen Verhältnisse
dies kaum zuließen. Die geschlossene Wirkung
der drei Retabel läßt eine in der Literatur ver-
mutete zeitliche Differenz der Entstehung von 20
Jahren (Datierung aufgrund von 1855 noch les-
baren Inschriften auf den Rückseiten der Altäre)
als unwahrscheinlich erscheinen, besonders
dann, wenn der Hochaltar erst nach den Seite-
naltären entstanden sein sollte.
Bemerkenswerterweise wurden in dieser kleinen
Pfarrkirche Skulpturen und bemalte Flügel eines
(?) gotischen Vorgängeraltars in die neuen ba-
rocken Retabel integriert. Dies ist an sich nichts
ungewöhnliches, soweit es sich bei den Frag-
menten um Skulpturen handelt, die religiöse Ver-
ehrung als Gnadenbilder genossen (vergl. An-
dechs0 <332>, Maria Rain° <412>, Inchenhofen0
<394>) oder ihre Resistenz gegenüber ketzeri-
schen Übergriffen bewiesen hatten (Beck 1968, S.
215 ff). Dies scheint aber in Agatharied nicht der
Fall gewesen zu sein, denn man bewahrte nicht
nur eine zentrale Figur, sondern vier Statuen und
zwei Altarflügel, die man auf die gesamte neue
Ausstattung so verteilte, daß im Mittelpunkt jedes
Retabels mindestens eine gotische Skulptur steht.
Obwohl die frühbarocke Altargruppe sichtbar auf
Einheitlichkeit abzielt, ist sie doch ohne Zweifel
um die gotischen Fragmente herum konzipiert:
Am Chorbogen stehen sich so die Standfigur der
heiligen Ursula und die breit ausladende Sitzfi-
gur des HL Jakobus Maior gegenüber. Die Statue
des Apostels verlangt eine wesentlich größere Ni-
sche als die stehende Märtyrerin, was zu einer
Verbreiterung des gesamten Aufbaus führt: Der
südliche Seitenaltar wächst gleichsam um die
zentrale Figur herum.
Besonders merkwürdig wirkt diese Gestaltung
beim Hochaltar, in dem zwei gotische Statuen der
Heiligen Urban und Agatha gleichberechtigt
nebeneinander stehen, während die Flügelbilder,
ebenfalls dem alten Retabel entstammend, nur
das Martyrium der Kirchenpatronin zeigen. Die-
ser Aufbau belegt sehr deutlich die direkte Her-
leitung des für frühbarocke Altäre (z.B. Augsburg
- St. Ulrich und Afra° (VI.4)) typischen „Mon-
stranz“-Typus (Laun) aus dem gotischen Flügel-
altar. An den Nebenaltären wurden entsprechen-
de „Seitenflügel“ mit Bildern zur Vita der Titel-
heiligen als barocke Neuanfertigungen quasi
historisierend hinzugefügt.
Die beiden Figuren des Hauptaltars und die Ur-
sula am nördlichen Chorbogen sind sehr ähn-
lich, unterscheiden sich aber in der Größe, so
daß nicht anzunehmen ist, daß sie zum selben
Altar gehörten. Die mächtige Statue des Apo-
stels Jacobus, heute im südlichen Seitenaltar,
könnte aber als ehemaliger Hauptpatron der
Kirche in der Mitte des alten Hochaltars zwi-
schen zwei stehenden, kleineren Figuren ge-
thront haben.
Hieraus ergibt sich die Frage nach der Ursache
für das „Weiterleben“ der alten Ausstattung „als
ein merkwürdiger Act der Pietät gegen ältere
Kunstwerke“ (Bezold / Riehl S. 1433): Eine kul-
tische Begründung ist in diesem Falle eher un-
wahrscheinlich. Viel mehr spricht die Gleichver-
teilung der Relikte und ihre undramatische Ein-
bindung in die neugeschaffenen Rahmen eher für
eine ganz pragmatische, künstlerisch intendierte
Form der „Denkmalpflege“: Anscheinend hielt
sich in der ländlichen Peripherie das Gefühl für
die künstlerische Qualität gotischer Skulptur bes-
ser als in den stärker vom barocken Geschmack
infizierten regionalen Zentren, den großen Klö-
stern und Stadtkirchen.
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