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Engelberg, Meinrad von
Renovatio Ecclesiae: die "Barockisierung" mittelalterlicher Kirchen — Petersberg: Imhof, 2005

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.62514#0500
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„EXEMPLA RENOVATION IS": 50 KURZMONOGRAPHIEN
AUSGEWÄHLTER BAUTEN IN SÜDDEUTSCHLAND

EINLEITUNG: ZUR AUSWAHL DER BEISPIELE

Die Renovatio in Süddeutschland ist einerseits ein
Massenphänomen; andererseits muß jede Umge-
staltung als ein individueller Einzelfall betrach-
tet werden, der von einer Vielzahl variabler Fak-
toren bestimmt wird.
Neben der Größe, Zustand und Bautyp des zu-
grundeliegenden mittelalterlichen Gebäudes
spielt die Funktion als Kloster-, Wallfahrts-,
Stadt- oder Dorfkirche eine entscheidende Rolle.
Die Wahl der Modi und die Stilentwicklung füh-
ren ebenso zu völlig unterschiedlichen Ergebnis-
sen wie das Selbstverständnis, die repräsentati-
ven Ansprüche, die Finanzkraft und die künstle-
rische Potenz der am Umbau beteiligten. Die äs-
thetischen Vorlieben und Gewohnheiten der Re-
gion sind hierbei ebenso zu beachten wie das
Vorbild benachbarter Neubauten und äußere
Zwänge wie Brandkatastrophen, Bauschäden
oder die praktischen Bedürfnisse nach Raumer-
weiterung.
Jede Auswahl setzt sich der von vorn herein be-
rechtigten Kritik aus, subjektiv und nicht reprä-
sentativ zu sein: Die Zahl relevanter Beispiele
könnte problemlos vervielfacht werden, es wäre
auch möglich gewesen, 50 andere Bauten als
„charakteristisch“ zu bestimmen.
Dennoch soll hier versucht werden, eine mög-
lichst aussagekräftige und kontrastreiche Stich-
probe zusammenzustellen. So wie der Ansatz le-
gitim erscheint, den Charakter einer Epoche auf
dem Umweg über eine Anthologie biographischer
Skizzen zu schildern, ohne deshalb zu behaup-
ten, die entsprechende Zeit vollständig erfaßt zu
haben, soll hier versucht werden, mit Hilfe von
50 Fallbeispielen zumindest die Umrißlinien ei-
ner großen und vielgestaltigen „Formgelegen-
heit“ zu skizzieren. Die genaue Betrachtung des
Einzelfalls stellt das notwendige Gegengewicht
sowie die faktische Basis der vorangestellten
prinzipiellen Erkenntnisse dar: Es handelt sich
um die Fallstudien, auf denen die allgemeinen
Aussagen basieren, und sind daher für die Er-
härtung der dort geäußerten Thesen unverzicht-
bar.
Bei der Auswahl der Beispiele wurde darauf ge-
achtet, eine möglichst große Vielfalt der oben ge-
nannten Faktoren wie Größe, Reichtum, Rechts-
stellung, Zeitstil, Modus etc. zu berücksichtigen.
Künstlerische Qualität war hierbei nur ein Krite-
rium unter vielen; oft wurde das Charakteristi-
sche, Typische oder auch besonders Eigenartige
gegenüber dem ästhetisch „Gelungenen“ bevor-
zugt.

Um wenigstens eine Bautengruppe annähernd
vollständig zu behandeln, wurden die heute noch
erkennbar „barockisierten“ Domkirchen Süd-
deutschlands im dritten Teil dieser Arbeit einer
vergleichenden Analyse unterzogen. Sie sollen
hier deshalb nur mit einer tabellarischen Zu-
sammenstellung der Baudaten und einer Aus-
wahlbibliographie berücksichtigt werden.
Die Bauanalysen dieses Abschnitts werden nicht
als Katalogtexte, sondern als „Kurzmonogra-
phien“ bezeichnet. Es handelt sich nicht um er-
schöpfende Beschreibungen der vorgestellten Kir-
chen mit allen Details ihrer Bau-, Ausstattungs-
und Renovierungsgeschichte. Es soll in diesen
Texten vielmehr versucht werden, eine Charak-
terisierung des jeweiligen Kirchenbaus und sei-
ner Renovatio (-nes) zu formulieren. Hierbei steht
nicht die ausführliche Beschreibung aller Ele-
mente der Architektur, Ausstattung und Ikono-
graphie im Vordergrund, sondern der Versuch im
Sinne der Sedlmayr’schen Strukturanalyse, die
inneren Zusammenhänge dieser Einzelheiten zu
erfassen, um das Prinzip und den individuellen
Charakter einer Umgestaltung erkennbar werden
zu lassen. Diese Sichtweise impliziert, daß jede
hier besprochene Renovatio nicht als ein zufälli-
ges Produkt der lokalen Baugeschichte, sondern
als eine autonome künstlerische Schöpfung ver-
standen, dargestellt und ernst genommen werden
soll - auch und gerade dann, wenn es sich nicht
um ein einheitliches gestaltetes, in sich vollend-
etes Concetto handelt. Die Erscheinung des Bau-
werks soll zugleich als Spiegel seiner institutio-
nellen Geschichte verständlich gemacht werden.
Für jede der hier besprochenen Renovationes soll
somit ein möglichst scharf umrissenenes Profil
erstellt werden, das als ein mögliches Ergebnis je-
nes Experiments namens „Renovatio ecclesiae“
verstanden wird.
Hierbei sollen einerseits prominente und künst-
lerisch besonders gelungene Beispiele berück-
sichtigt werden; andererseits wurde darauf ge-
achtet, für jede spezifische Ausprägung der Re-
novatio nur jeweils ein Beispiel zu besprechen,
und hierfür nicht unbedingt das bekannteste,
sondern das interessanteste und vielsagendste
auszuwählen. Aus diesem Grund werden manche
bedeutende Bauten nicht behandelt; auch des-
halb, weil für sie bereits entsprechende Untersu-
chungen vorliegen.
So wurde als Beispiel für die „Französische“ Re-
novatio einer Zisterzienserklosterkirche nicht
noch einmal das viel beachtete Salem, sondern

das unbekanntere, aber frühere Kaisheim ausge-
wählt. Die Münchner Renovationes St. Peter und
Heilig-Geist werden nicht besprochen, statt des-
sen geographische Schwerpunkte auf die bikon-
fessionellen Reichsstädte Regensburg und Augs-
burg gelegt. Einige mit prominenten Namen wie
Zimmermann, Asam, Neumann und Fischer ver-
bundene Bauten konnten unberücksichtigt blei-
ben, weil die Renonnfio-Prinzipien dieser Meister
an anderen Beispielen erläutert werden (An-
dechs“, St. Emmeram“, Bruchsal“, Niederaltaich“).
Eine strenge regionale Begrenzung wurde nicht
vorgenommen. Der Schwerpunkt der Auswahl
liegt bei den „Italienischen“ Renovationes in Alt-
bayern und Schwaben, weil sich in dieser Region
die größte Denkmälerdichte und wohl auch die
höchste Durchschnittsqualität dieser Bauaufgabe
finden läßt: Nur hier kann eine lückenlosen Ent-
wicklungsreihe zusammengestellt werden. Ähn-
liche Schwerpunktuntersuchungen ließen sich
für Franken, Böhmen, Schlesien oder Österreich
durchführen und bleiben weiteren Forschungen
vorbehalten.
Gebiete des Innviertels und Salzburgs, die heute
zu Österreich gehören, hatten im Untersuchungs-
zeitraum so enge politische und künstlerische
Verbindungen zu Bayern, daß ihre Berücksichti-
gung gerechtfertigt erscheint. Dasselbe gilt für die
bemerkenswerte Renovatio von Neuzelle“ in Bran-
denburg, die zu den wichtigsten Pionierbauten der
gesamten Gattung in Deutschland zählt und des-
halb nicht unbeachtet bleiben durfte.
Abgesehen von einer Ausnahme, der reformier-
ten Predigerkirche in Zürich, werden ausschließ-
lich katholische Beispiele vorgestellt. Die Umge-
staltung evangelischer Kirchen wurde im Kapitel
II.D zur Renovatio in Deutschland - sicher nicht
erschöpfend - behandelt. Auch dies wäre eine
lohnende Aufgabe weiterer Forschungen.
Zerstörte oder purifizierte Bauten1, deren Ausse-
hen nur noch aus Schrift- oder Bildquellen re-
konstruiert werden kann, sind grundsätzlich
nicht behandelt, weil sich ihre Raumwirkung ei-
ner Bewertung unter vergleichbaren Bedingun-
gen entzieht.
Ikonographische Fragen werden berücksichtigt,
so weit sie von entscheidender Bedeutung für das
Verständnis der Renovatio sind. Datierungen und
Zuschreibungen sind gemäß der neueren Litera-
tur übernommen, aber nicht das eigentliche The-
ma der Untersuchung.
Auf wenig aussagekräftige und in ihrer Verläß-
lichkeit fragliche statistische Aussagen - „wie

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