VDIE RENOVATIO
► MITTELALTERLICHER KIRCHEN
ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE UND AUSBLICK
„Die Entscheidungsfreiheit der Stilwahl ist
das wesentlich Neue der heraufkommenden
Moderne. [...] Die Wahlfreiheit, die den Stil-
pluralismus seit dem ausgehenden 18.
Jahrhundert begründete, bedeutete den Ver-
lust der Stilverbindlichkeit, die das Rokoko
noch besessen hatte. [...] Der Stilplura-
lismus der beginnenden Moderne erlaubte
den Wechsel der geschichtlichen Vorgaben
und das Auswahlen des Orientierungshori-
zontes. “’
„Zwar bot die Vorstellung vom „Stilplura-
lismus“ eine Alternative zur Idee des Ein-
heitsstils, doch ist auch sie allzusehr von
modernen Anschauungen bestimmt und
bleibt letztlich für die Deutung älterer Kunst
unbrauchbar, weil die europäische Gesell-
schaft vor 1789 nie wirklich pluralistisch
war. “2
Thema dieser Dissertation ist die Umge-
staltung mittelalterlicher Kirchen zwischen
Reformation (1555) und Säkularisation
(1802). Dieser Vorgang, bisher meist „Ba-
rockisierung“ genannt und auf die Epoche
nach dem Dreißigjährigen Krieg beschränkt,
wird somit bewußt in einen weiter gefaß-
ten historischen Rahmen gestellt, der auch
das Zeitalter der Konfessionalisierung mit
einbezieht. Der geographische Schwerpunkt
der Untersuchung liegt auf Süddeutschland
zwischen Mosel, Main, Rhein und Inn.
Der bisher geläufige Begriff „Barockisie-
rung“ wird verworfen (I.B) und durch den
neu definierten, aus zeitgenössischen Quel-
len geschöpften Begriff „Renovatio“ (eccle-
siae) ersetzt. Neben der bewußten Loslö-
sung vom Epochenbegriff des Barock soll
zugleich auch der enge geographische und
defmitorische Rahmen bisheriger Untersu-
chungen zu diesem Thema aufgebrochen
und der Blick über die bekannten süddeut-
schen Beispiele des 18. Jahrhundert hinaus
geweitet werden.
Da Süddeutschland im untersuchten Zei-
traum der frühen Neuzeit aufs engste mit
allen künstlerischen und religionspoliti-
schen Entwicklungen Europas verzahnt
war, kann die Konfessions- und Kirchen-
baupolitik im Reich nicht ohne den Blick
auf die benachbarten Länder verstanden
werden (II.). Deshalb wird zunächst die Um-
gestaltung mittelalterlicher Kirchen in Italien,
Frankreich und den habsburgischen Ländern
Böhmen und Österreich betrachtet. Für jedes
dieser Länder kann eine typische Form der
Renovatio beschrieben werden, die sich auch
in Süddeutschland wiederfmden läßt, ohne
daß hierbei klare geographische Zuordnun-
gen festgestellt werden können, wie der Ver-
gleich einer Gruppe hochrangiger katholi-
scher Kirchen, der Bischofskirchen Süd-
deutschlands, bestätigt (III.). Es ist daher von
einer grundsätzlich freien Wahl zwischen
den verschiedenen Formen der Umgestaltung
auszugehen. Diese werden im folgenden als
„Modi“ der Renovatio bezeichnet.
Renovatio im „Italienischen“ Modus soll je-
ne Form der Umgestaltung genannt wer-
den, die bisher mit dem Begriff „Barocki-
sierung“ gleichgesetzt wurde. Bei dieser
Spielart der Renovatio wird die gesamte
Raumschale mit einer neuen Dekoration -
meist aus Stuck und Fresken bestehend -
überzogen und hierdurch eine weitgehen-
de Angleichung an neu errichtete barocke
Kirchen vorgenommen: Das Neue über-
deckt das Alte, ohne dessen andersartige
Substanz unbedingt zu negieren.
Als „Französischer“ Modus werden solche
Renovationes bezeichnet, die sich auf eine
1 Klotz 2000, S. 38f.
2 Suckale 2001, S. 23.
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► MITTELALTERLICHER KIRCHEN
ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE UND AUSBLICK
„Die Entscheidungsfreiheit der Stilwahl ist
das wesentlich Neue der heraufkommenden
Moderne. [...] Die Wahlfreiheit, die den Stil-
pluralismus seit dem ausgehenden 18.
Jahrhundert begründete, bedeutete den Ver-
lust der Stilverbindlichkeit, die das Rokoko
noch besessen hatte. [...] Der Stilplura-
lismus der beginnenden Moderne erlaubte
den Wechsel der geschichtlichen Vorgaben
und das Auswahlen des Orientierungshori-
zontes. “’
„Zwar bot die Vorstellung vom „Stilplura-
lismus“ eine Alternative zur Idee des Ein-
heitsstils, doch ist auch sie allzusehr von
modernen Anschauungen bestimmt und
bleibt letztlich für die Deutung älterer Kunst
unbrauchbar, weil die europäische Gesell-
schaft vor 1789 nie wirklich pluralistisch
war. “2
Thema dieser Dissertation ist die Umge-
staltung mittelalterlicher Kirchen zwischen
Reformation (1555) und Säkularisation
(1802). Dieser Vorgang, bisher meist „Ba-
rockisierung“ genannt und auf die Epoche
nach dem Dreißigjährigen Krieg beschränkt,
wird somit bewußt in einen weiter gefaß-
ten historischen Rahmen gestellt, der auch
das Zeitalter der Konfessionalisierung mit
einbezieht. Der geographische Schwerpunkt
der Untersuchung liegt auf Süddeutschland
zwischen Mosel, Main, Rhein und Inn.
Der bisher geläufige Begriff „Barockisie-
rung“ wird verworfen (I.B) und durch den
neu definierten, aus zeitgenössischen Quel-
len geschöpften Begriff „Renovatio“ (eccle-
siae) ersetzt. Neben der bewußten Loslö-
sung vom Epochenbegriff des Barock soll
zugleich auch der enge geographische und
defmitorische Rahmen bisheriger Untersu-
chungen zu diesem Thema aufgebrochen
und der Blick über die bekannten süddeut-
schen Beispiele des 18. Jahrhundert hinaus
geweitet werden.
Da Süddeutschland im untersuchten Zei-
traum der frühen Neuzeit aufs engste mit
allen künstlerischen und religionspoliti-
schen Entwicklungen Europas verzahnt
war, kann die Konfessions- und Kirchen-
baupolitik im Reich nicht ohne den Blick
auf die benachbarten Länder verstanden
werden (II.). Deshalb wird zunächst die Um-
gestaltung mittelalterlicher Kirchen in Italien,
Frankreich und den habsburgischen Ländern
Böhmen und Österreich betrachtet. Für jedes
dieser Länder kann eine typische Form der
Renovatio beschrieben werden, die sich auch
in Süddeutschland wiederfmden läßt, ohne
daß hierbei klare geographische Zuordnun-
gen festgestellt werden können, wie der Ver-
gleich einer Gruppe hochrangiger katholi-
scher Kirchen, der Bischofskirchen Süd-
deutschlands, bestätigt (III.). Es ist daher von
einer grundsätzlich freien Wahl zwischen
den verschiedenen Formen der Umgestaltung
auszugehen. Diese werden im folgenden als
„Modi“ der Renovatio bezeichnet.
Renovatio im „Italienischen“ Modus soll je-
ne Form der Umgestaltung genannt wer-
den, die bisher mit dem Begriff „Barocki-
sierung“ gleichgesetzt wurde. Bei dieser
Spielart der Renovatio wird die gesamte
Raumschale mit einer neuen Dekoration -
meist aus Stuck und Fresken bestehend -
überzogen und hierdurch eine weitgehen-
de Angleichung an neu errichtete barocke
Kirchen vorgenommen: Das Neue über-
deckt das Alte, ohne dessen andersartige
Substanz unbedingt zu negieren.
Als „Französischer“ Modus werden solche
Renovationes bezeichnet, die sich auf eine
1 Klotz 2000, S. 38f.
2 Suckale 2001, S. 23.
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