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Engelberg, Meinrad von
Renovatio Ecclesiae: die "Barockisierung" mittelalterlicher Kirchen — Petersberg: Imhof, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.62514#0175
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D | Renovatio und Reformatio in Deutschland

wie im folgenden gezeigt werden soll.
Selbst das angeblich urevangelische Be-
dürfnis, Bilder durch die Angabe der ent-
sprechenden Schriftworte wieder an die
Schrift zu binden, wurde von der sich re-
formierenden katholischen Kirchen aufge-
nommen: Der Bilderzyklus des Marienle-
bens im Obergaden von S. Maria maggio-
re 1593 <31>, sicher ein Hauptbeispiel
nachtridentinischer Repräsentation des
Papsttums, verweist in den Beischriften auf
die entsprechenden Textstellen657.
Christian Hecht geht nach 400 Seiten aus-
führlicher Darlegung der tridentinischen
Bilderlehre sogar noch weiter: Er stellt fest,
daß noch nicht einmal in der Universitäts-
kirche von Ingolstadt, dem Epizentrum
gegenreformatorischer Theologie in Bayern,
auf dem vom erzkatholischen Herzog Al-
brecht V. gestifteten Altar Hans Mielichs
(1560-72)658 die Vorgaben der Bildertrakta-
te beachtet oder eine gezielt kontroverse
Haltung eingenommen wurde: „Eine gegen
die Reformation gerichtete Spitze ist nur ein
neues Element, das sich mit einem tradi-
tionellen Thema verbinden kann - aber
nicht muß. Eine eucharistische Darstellung
ist für den katholischen Auftraggeber bereits
in sich sinnvoll, sie bedarf keiner „gegen-
reformatorischen“ Begründung. “659
Kirchenausstattungen waren offensicht-
lich einfach nicht der geeignete Ort für
Dogmatik oder Polemik, die überließ man
den Traktaten und Flugblättern660. Hierin
liegt eine eklatante Differenz des kunst-
historischen Befundes in Deutschland zur
geläufigen Auffassung: „Theologische
Abgrenzung ist ein wesentliches Moment
des Konfessionalismus“661. Die „deutschen“
Vorschläge Kaiser Ferdinands beim Tri-
dentinum bemühen sich um den Ausgleich
mit den Protestanten, konnten sich aber
nicht durchsetzen662. Die deutschen Ka-
tholiken versuchten noch bis 1648 die
Illusion zu wahren, die religiöse Einheit
des Reiches sei nur „suspendiert“, aber
nicht endgültig zerstört - der Religions-
friede von 1555 galt ausdrücklich nur „do-
nec per Dei gratiam de Religione ipsa con-
venerit“663.

Die tridentinischen Dekrete richteten sich
dagegen explizizt und aus gutem Grund
gegen die Reformierten664, die in der Bil-
derfrage eine radikale Opposition bildeten
und sich als entschlossene und konse-
quente Gegner der alten Mißbräuche ver-
standen, die sie auch mit Gewalt zu behe-
ben trachteten665. In Oberdeutschland
hatten sie zunächst das größere Gewicht,
wurden aber, da ihrer Glaubensrichtung im
Religionsfrieden 1555 zunächst die Aner-
kennung als eigenständige Konfession ver-
weigert worden war666, mehr und mehr von
dem reichsrechtlich legitimierten Luther-
tum zurückgedrängt667. Zwingli, Calvin und
die ihnen nahestehenden, in der „Confessio
tetrapolitana“ vereinigten schwäbisch-ale-
mannischen Städte668 sahen das Übel nicht
nur in einem falschen Gebrauch der Bilder,
sondern schon in ihrer puren Existenz, die
solche Mißverständnisse und Abirrungen
geradezu zwingend hervorrief. Nur durch
die „Abtuung“, also die radikale Beseiti-
gung in Form spontaner Gewaltakte oder
planvollen Vorgehens der Obrigkeit, konn-
ten die Gläubigen vor der dauernden Ver-
führung zum Götzendienst bewahrt wer-
den. In diesem Sinne widersprachen Bilder
im Kirchenraum einer strengen Auslegung
des zweiten Gebots669. Entscheidendes Kri-
terium der Ablehnung war allerdings nicht
die Ebenbildlichkeit selbst, sondern die
Gefahr der falschen Verehrung, der Be-
irrung und der daraus resultierenden Ido-
latrie. Daher wurden nur solche Darstel-
lungen entfernt, die zur Verehrung geeig-
net oder vorgesehen waren: Bilder, die nie-
mals Objekte der Idolatrie waren, wie Glas-
fenster, Kirchenportale oder Kanzelfiguren,
durften in den meisten Fällen bleiben, so-
weit sie nicht im Rausch zerstört wurden.
Neben der Verehrung mußte auch die Stif-
tung von Bildern als vermeintlich gute Tat
bekämpft werden. Es war aber „oberdeut-
sches“ Prinzip, die entsprechenden Tole-
ranzgrenzen jeder Gemeinde zur Abstim-
mung freizustellen, so daß sich zwischen
Ulm, Zürich, Bern, Straßburg und Heidel-
berg erhebliche Differenzen feststellen las-
sen670. Wie entschlossen der Ikonoklasmus

Palmen bei der Flucht nach Ägypten. Das
Programm stammte nicht von einem The-
ologen, sondern vom fuggerischen Bi-
bliothekar Quickeiberg.
660 Oelke 1992; vergl. zu den Flugblättern als
konfessionelles Kampfmittel in Franken
Kat. Reichsstädte 1987 II, S. 261-270, u.
ebd. I, S. 328-338.
661 Ganzer in Reinhard / Schilling 1995, S. 51.
662 Maron in Reinhard / Schilling 1995, S.
109:1561 schlug das kaiserliche Reform-
libell vor, daß nationale Liturgien und die
Volkssprache berücksichtigt werden und
im Gottesdienst nur biblische Texte Ver-
wendung finden sollten.
663 Heckel in Reinhard / Schilling 1995, S.
198ff, 209.
664 Zur kulturellen Rolle der Reformierten in
Europa siehe einführend Rohls 1999.
665 Der Bildersturm wurde bald zum negati-
ven Odium der Reformierten, wie ein frü-
her Nürnberger Druck Erhard Schöns
(1530) belegt. Franz Hogenberg zeigt die
niederländischen Calvinisten als Vanda-
len, die unter militärischem Schutz Glas-
fenster zerschlagen und mit Seilen Sta-
tuen stürzen. Es ist daher verständlich,
daß gerade die deutschen Lutheraner je-
de Form der Anarchie als Aufruhr gegen
die öffentliche Ordnung und gottgewoll-
te Obrigkeit zu verhindern trachteten.
Siehe Kat. Reformation Augsburg 1997, S.
154f. In anderen, stärker „zwinglianisch-
oberdeutsch" geprägten Städten wie Bi-
berach kam es dagegen 1531 zu den von
Hogenberg inkriminierten Exzessen.
666 Das Reichsrecht erkannte nur zwei gülti-
ge Konfessionen, die katholische und die
„Augsburger Konfession" von 1530, an,
während der Status der Reformierten als
Untergruppe der Lutheraner oder als Sek-
te zunächst ungeklärt blieb und erst 1648
im ersteren Sinne geklärt wurde. Siehe
Heckel in Schilling 1986, S. 38.
667 Daher erscheint der Begriff der „Zweiten
Reformation", soweit er auf die Durch-
setzung der reformierten Konfession in
der zweiten Jahrhunderthälfte bezogen
wird, zumindest für Süddeutschland frag-
lich, denn hier erfolgte in denselben Jah-
ren mit der Wende zum liberaleren Lu-
thertum eine Abmilderung der zuvor ra-
dikaleren zwinglianischen Positionen. Be-
sonders gut läßt sich schwankende kon-
fessionelle Haltung der süddeutschen
Fürsten an der mehrfach wechselnden
Position des Hauses Pfalz-Neuburg able-
sen: Vergl. Press in Schilling 1986, S.
11 Off; Zu den hieraus resultierenden, die
Anweisungen der vorherigen Vorschrift
jeweils revidierenden Visitationsordnun-
gen der Oberpfalz siehe Frieb 2000.
668 Wartenberg in Fritz 1997, S. 22: Kon-
stanz, Memmingen, Lindau und Straß-
burg legten 1530 ihren schärferen
Gegenentwurf zur Confessio Augustana
vor, der aber noch größere Gräben zu den
Katholiken aufriß. Auch Ulm war hiervon
stark beeinflußt, im Westen vor allem die
Kurpfalz.
669 Ex. 20, 4-5: „Du sollst dir kein Gottesbild
machen noch irgend eine Darstellung von
irgend etwas droben, auf der Erde oder im
Wasser unter der Erde. Du sollst Dich nicht
vor anderen Göttern niederwerfen [...]
670 Katalog Bildersturm 2000, bes. S. 75-89,
97-105.

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