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Engelberg, Meinrad von
Renovatio Ecclesiae: die "Barockisierung" mittelalterlicher Kirchen — Petersberg: Imhof, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.62514#0060
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II. Renovatio im europäischen Vergleich

8 Zur italienischen Diskussion über die
„Maniera tedesca" im 15. und 16. Jh.
vergl. Brandis 2002, zu Vasari ebd. S.
237-249.
9 Vergl. hierzu das Kapitel II.D zur Renova-
tio in Deutschland.
10 Vergl. hierzu Sutthoff 1990, S. 10-25, zur
negativen Bewertung des Begriffs, bes. S.
16: Guarino erkennt als einziger italieni-
scher Theoretiker die „Goten" als Religio-
si und Christian! an - zweifellos unter
französischem Einfluß! In diesem Sinne
empfiehlt der Jesuit Crombach 1652 den
Weiterbau des Kölner Doms dem Erzbi-
schof Maximilian von Bayern als Denkmal
seiner Frömmigkeit: Eine vergleichbare
Empfehlung an Carlo Borromeo ist nicht
bekannt (Sutthoff 1990, S. 128).
11 Fischer Pace 1988 Bd. 1, Abb. 103, 234;
237; Bd. 2, Abb. 480. Ein Überblick zu den
Charakteristika der Umbaumaßnahmen
des 18. Jh.s in Buschow-Oechslin 1987, S.
184-193.
12 In seltenen Fällen konnten diese Bilder
auch ikonischen Charakter gewinnen wie
das Apsisbild Christi im Lateran, das an-
geblich von selbst dort erschienen und
wundertätig sein sollte - eine Legende,
die allerdings hart an der Grenze zum
Aberglauben rangierte und anscheinend
nicht offiziell propagiert, wenn auch in
den Querhausfresken Nogaris dargestellt
wurde. Siehe Hecht 1997, S. 75, Abb. 20f.
13 Vatikanische Bibliothek, Cod. Barb. Lat.
2733. Siehe Bickendorf 1998, S. 68f.
Vergl. auch die Einleitung zu Kap. III., Re-
novatio süddeutscher Domkirchen.
14 Wittkower 1974, Abb. 3.

sehen Verständnis dieses Stils, indem die
„Maniera tedesca“ durch Vasari als ein
Fremdkörper, eine von außen oktroyierte
Unsitte disqualifiziert wird, die durch die
Rückkehr zum guten und wahrhaft italie-
nischen Stil der Alten nach Möglichkeit
überwunden werden sollte. Zugleich er-
kannte Vasari aber auch die historische Re-
lativität und hierdurch bedingte Legitima-
tion dieses Stils als eines notwendigen,
wenn auch abgeschlossenen Stadiums der
Stilentwicklung an. Er steht damit am An-
fang der Historisierung und Relativierung
der Gotik als eines zeitlich überwundenen
Stilphänomens8.
Hiervon kann in Deutschland frühestens ab
1648 die Rede sein, denn bis dahin er-
scheint die Gotik in Theorie und Praxis als
eine gebräuchliche und durchaus legitime
Alternative zur modernen wälschen Bau-
art9.
Die Historisierung der Gotik prägte in Ita-
lien nicht nur die ästhetische Diskussion,
sondern auch die religiöse Baupraxis, denn
nach 1500 wurden hier keine Neubauten
mit erkennbar „unantikischen“ Stilformen
mehr begonnen. Eine Identifikation spät-
mittelalterlicher Kirchen mit den religiös
positiv besetzten Werten der antiquitas
fand offensichtlich nicht statt. Die Wert-
schätzung frühchristlicher Kunst bezog sich
vor allem auf den Zeugniswert der die ka-
tholisch-traditionalistische Position legiti-
mierenden bildlichen Darstellungen und In-
schriften, viel weniger aber auf deren ästhe-
tische Qualitäten. Gerade in Rom setzte
sich nach einer kurzzeitigen gegenrefor-
matorischen Begeisterung für eine Wieder-
belebung frühmittelalterliche Bauprinzipien
wie Flachdecken oder Säulenbasiliken eine
betont moderne, mit allen suggestiv-illu-
sionistischen Mitteln arbeitende Kirchen-
kunst, eben der römische Barock durch.
Die nordalpine Gleichsetzung von gotisch
und „kirchisch“ erschien für Italien erst
recht nicht plausibel10.
Diese Unterscheidung zwischen bildlichem
und baulichem Zeugniswert läßt sich be-
sonders gut an den im 17. Jahrhundert „re-
novierten“ frühchristlichen und mittelalter-

lichen Kirchen Roms wie SS. Cosma e Da-
miano, S. Clemente, S. Maria in Trasteve-
re, S. Pudenziana oder S. Prassede bele-
gen”: Die Apsismosaiken dieser Kirchen
blieben sichtbar, wurden nach Bedarf zwar
verkleinert und von moderner Architektur
überschnitten, aber zugleich auch restau-
riert und ergänzt, soweit dies möglich und
nötig erschien12. Die Wände, Decken und
Säulenarkaden derselben Kirchen wurden
dagegen bedenkenlos modern überformt
und mit Stuck und Fresken dekoriert, so
daß die wenigen, als Spolien erhaltenen
Bildzeugnisse wie „Fenster in die Vergan-
genheit“, als sichtbar belassene Dokumen-
te und Beweismittel von Historizität, aber
nicht als das Raumbild bestimmender Ge-
samtcharakter der Architektur erhalten
blieben. Besonders deutlich wird diese
Funktionalisierung der Bildtradition in der
Benennung jenes Werkes, in dem Giacomo
Grimaldi 1620 die Ausstattung der durch
den Neubau ersetzten alten Petersbasilika
festgehalten hatte: „Instrumenta autenti-
ca“'\
Dennoch erfuhr auch die gotische Archi-
tektur, die solchen Zeugnis- und Legitima-
tionswert in den Augen der katholischen
Reform in Italien nicht besaß, eine gewis-
se Würdigung, wenn es sich um die Frage
der Fertigstellung einer in der „Maniera te-
desca“ begonnenen Kirche handelte. Pa-
nofsky hat in dem oben genannten Aufsatz
gezeigt, daß selbst ein entschiedener Geg-
ner dieses Stiles wie Vasari sich gotischer
Formen bediente, wenn er eine vermeintli-
che Zeichnung Cimabues, eben das titelge-
bende erste Blatt seiner Autographen-
sammlung, des „Libro“, mit einer stilistisch
passenden Rahmung versehen wollte14.
Hiermit ist der entscheidende Punkt der
italienischen Diskussion um die Fortfüh-
rung gotischer Bauten benannt: Es geht um
die stilistisch angemessene, formal adä-
quate Vollendung eines begonnenen Bau-
werks, also um die rein ästhetische Frage
der Conformitä. Hierin äußert sich zugleich
auch das für Italien (im Gegensatz zu
Frankreich!) vorherrschende Grundprinzip
der Renovatio: Die ästhetische Einheitlich-

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