A | Renovatio in Italien - der „Italienische" Modus
Abb. 19: Andrea Pozzo: Perspectiva pictorum, Kulissen-
aufbauten eines „theatrum sacrum" (Fig. 61, 1693)
Abb. 20: Andrea Pozzo: Perspectiva pictorum, Tempietto mit
geknickten Säulen (Fig. 75, 1693)
2 b) Bernini und die Modi der
Renovatio
Das Werk der Hauptmeister des römischen
Barocks ist für die Bauaufgabe Renovatio
von vergleichbarer Bedeutung wie für den
Kirchenbau im allgemeinen.
Während Borromini als genuiner Architekt
durch seine Raumkonzepte Einfluß nahm,
sind es bei Bernini Gesamtausstattungen
und punktuelle Eingriffe in bereits beste-
henden Kirchenräumen, welche wegwei-
send wirkten.
Berninis Gestaltung des Petersdoms wurde
zu einem Topos der süddeutschen Renova-
tio: Der im Norden immer wieder geäußer-
te Wunsch nach Bauten „wie in Rom zu St.
Peter“'13 entsprang gleichermaßen der pro-
grammatischen Rom-Nähe kirchlicher Für-
sten114 wie der ästhetischen Vorbildlichkeit
der gefundenen Lösung.
Die Rezeption Berninis erfolgte auf ganz
unterschiedlichen Wegen und gibt sich
nicht immer eindeutig als „Imitatio“ zu er-
kennen: Während die Asam Berninis dra-
matische illusionistische Effekte wie beim
Rohrer Hochaltar noch intensivierten, fin-
den sich auch sehr subtile Umsetzungen
wie durch den Frankfurter Bildhauer Frö-
licher115: Das Grabmal des Kurfürsten In-
gelheim im Mainzer Dom“ oder seine Chor-
gestaltung in der Trierer Kathedrale0 trans-
formierten ihre mutmaßlichen Vorbilder in
so klassisch-beruhigte, franco-flämisch be-
einflußte Formen, daß ein persönlicher
Rom-Besuch nicht unbedingt zwingend er-
scheint116. Der Bildhauer kombinierte die
Anregungen Berninis in so freier, selbstän-
diger und zugleich aufs engste an der ört-
lichen Tradition orientierter Weise, daß ei-
ne völlig eigenständige künstlerische Spra-
che entstand.
Während die Kapelle der hl. Teresa in S.
Maria della Vittoria als europäisches Vor-
bild für das „bei composto“"7, die Ver-
schmelzung aller Gattungen zu einer ver-
einheitlichenden Gesamtausstattung wirk-
te, gibt sich die Apsisgestaltung des Pe-
tersdoms <35> als ein späterer, auf rein
skulpturale Mittel beschränkter Einbau in
113 Vergl. Kap. III. zu den Domkirchen in Pas-
sau0, Würzburg0, Eichstätt0 und Mainz0
und dem Umbau der Peterskirche in
Bruchsal0 (VI.8) durch Balthasar Neu-
mann.
114 Vergl. hierzu Antz 1997 passim, bes. S. 78,
92. Der Autor leitet hieraus seine Haupt-
these einer politisch intendierten Rom-
Rezeption im Kirchenbau der geistlichen
Fürstentümer um 1700 ab: Renovatio als
„Theatrum sacrum romanum". Da diese
Tendenz aber offensichtlich nur in einem
bestimmten Zeitraum vorherrscht, kann
sie für das Phänomen Renovatio im all-
gemeinen nicht als Erklärung dienen.
115 Vergl. das Kapitel III.K zum Trierer Dom°,
zu Frölicher siehe Reber 1966, Utz 1978,
Reber 1979, Beyer 1999.
116 Beyer 1999, S. 272, 228ff möchte aus sti-
listischen Gründen eine Schulung in Ita-
lien oder Flandern ausschließen und geht
von einer Vermittlung der entsprechenden
Vorbilder über Druckgraphik aus.
117 Der von Lavin 1980 vorgeschlagene zeit-
genössische Ausdruck erscheint wertfreier
und zutreffender als der stark vom Den-
ken des 19. Jh.s geprägte Begriff des „Ge-
samtkunstwerk?. Baldinucci schreibt in
seiner Vita del Cav. Bernini „[...] ch'eglisia
stato ilprimo cheabbia tentato di unire /'-
architettura con la scultura, e pittura in
tat modo, ehe di tutte si facesse un bei
composto." Baldinucci / Riegl 1912, S.
234, hierzit. nach Preimesberger 1986, S.
191. Siehe auch Möseneder in Lorenz
1999, S. 51-74, mit dem Hilfsbegriff
„Streben nach ‘Einheit1".
Zur Diskussion um diesen Begriff siehe
Marder 1998, S. 103f, Preimesberger
1986, S. 191ff, Lavin 1980, S. 6-15, Eu-
ler-Rolle 1985 und 1993.
73
Abb. 19: Andrea Pozzo: Perspectiva pictorum, Kulissen-
aufbauten eines „theatrum sacrum" (Fig. 61, 1693)
Abb. 20: Andrea Pozzo: Perspectiva pictorum, Tempietto mit
geknickten Säulen (Fig. 75, 1693)
2 b) Bernini und die Modi der
Renovatio
Das Werk der Hauptmeister des römischen
Barocks ist für die Bauaufgabe Renovatio
von vergleichbarer Bedeutung wie für den
Kirchenbau im allgemeinen.
Während Borromini als genuiner Architekt
durch seine Raumkonzepte Einfluß nahm,
sind es bei Bernini Gesamtausstattungen
und punktuelle Eingriffe in bereits beste-
henden Kirchenräumen, welche wegwei-
send wirkten.
Berninis Gestaltung des Petersdoms wurde
zu einem Topos der süddeutschen Renova-
tio: Der im Norden immer wieder geäußer-
te Wunsch nach Bauten „wie in Rom zu St.
Peter“'13 entsprang gleichermaßen der pro-
grammatischen Rom-Nähe kirchlicher Für-
sten114 wie der ästhetischen Vorbildlichkeit
der gefundenen Lösung.
Die Rezeption Berninis erfolgte auf ganz
unterschiedlichen Wegen und gibt sich
nicht immer eindeutig als „Imitatio“ zu er-
kennen: Während die Asam Berninis dra-
matische illusionistische Effekte wie beim
Rohrer Hochaltar noch intensivierten, fin-
den sich auch sehr subtile Umsetzungen
wie durch den Frankfurter Bildhauer Frö-
licher115: Das Grabmal des Kurfürsten In-
gelheim im Mainzer Dom“ oder seine Chor-
gestaltung in der Trierer Kathedrale0 trans-
formierten ihre mutmaßlichen Vorbilder in
so klassisch-beruhigte, franco-flämisch be-
einflußte Formen, daß ein persönlicher
Rom-Besuch nicht unbedingt zwingend er-
scheint116. Der Bildhauer kombinierte die
Anregungen Berninis in so freier, selbstän-
diger und zugleich aufs engste an der ört-
lichen Tradition orientierter Weise, daß ei-
ne völlig eigenständige künstlerische Spra-
che entstand.
Während die Kapelle der hl. Teresa in S.
Maria della Vittoria als europäisches Vor-
bild für das „bei composto“"7, die Ver-
schmelzung aller Gattungen zu einer ver-
einheitlichenden Gesamtausstattung wirk-
te, gibt sich die Apsisgestaltung des Pe-
tersdoms <35> als ein späterer, auf rein
skulpturale Mittel beschränkter Einbau in
113 Vergl. Kap. III. zu den Domkirchen in Pas-
sau0, Würzburg0, Eichstätt0 und Mainz0
und dem Umbau der Peterskirche in
Bruchsal0 (VI.8) durch Balthasar Neu-
mann.
114 Vergl. hierzu Antz 1997 passim, bes. S. 78,
92. Der Autor leitet hieraus seine Haupt-
these einer politisch intendierten Rom-
Rezeption im Kirchenbau der geistlichen
Fürstentümer um 1700 ab: Renovatio als
„Theatrum sacrum romanum". Da diese
Tendenz aber offensichtlich nur in einem
bestimmten Zeitraum vorherrscht, kann
sie für das Phänomen Renovatio im all-
gemeinen nicht als Erklärung dienen.
115 Vergl. das Kapitel III.K zum Trierer Dom°,
zu Frölicher siehe Reber 1966, Utz 1978,
Reber 1979, Beyer 1999.
116 Beyer 1999, S. 272, 228ff möchte aus sti-
listischen Gründen eine Schulung in Ita-
lien oder Flandern ausschließen und geht
von einer Vermittlung der entsprechenden
Vorbilder über Druckgraphik aus.
117 Der von Lavin 1980 vorgeschlagene zeit-
genössische Ausdruck erscheint wertfreier
und zutreffender als der stark vom Den-
ken des 19. Jh.s geprägte Begriff des „Ge-
samtkunstwerk?. Baldinucci schreibt in
seiner Vita del Cav. Bernini „[...] ch'eglisia
stato ilprimo cheabbia tentato di unire /'-
architettura con la scultura, e pittura in
tat modo, ehe di tutte si facesse un bei
composto." Baldinucci / Riegl 1912, S.
234, hierzit. nach Preimesberger 1986, S.
191. Siehe auch Möseneder in Lorenz
1999, S. 51-74, mit dem Hilfsbegriff
„Streben nach ‘Einheit1".
Zur Diskussion um diesen Begriff siehe
Marder 1998, S. 103f, Preimesberger
1986, S. 191ff, Lavin 1980, S. 6-15, Eu-
ler-Rolle 1985 und 1993.
73