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2 Ein Brief an d

mit Gott selbst reden und ihm seine Lage vorstellen, aber ich —
ich bin nur der arme Dorfjnde Abraham und der ist auch da
übel d'rau."

„Nun," meinte Miriam, „wo man nicht reden kann, kann
man doch schreiben; du bist ja ein Schristgelehrter, schreib's
unserem lieben Vater im Himmel, wie Dir's um's Herz ist."

„Komischer Gedanke," erwiderte Abraham, „und wenn
ich schon geschrieben habe, auf welche Post soll ich dann den
Brief legen, daß er da hinauf gelangen kann?"

„Gott hat den Elias im feurigen Wagen gegen den Him-
mel fahren lassen, und so kann auch dein Brief auf eine wunder-
bare Weise dahin gelangen. Schreib Abraham, ich bitte dich,
schreib. Es sagt mir etwas in meinem Herzen, daß Du das
letzte Mittel versuchen mußt. Ist der Brief erst fertig, dann
legst Du ihn auf die Spitze des kleine» Berges draußen vor
dem Dorfe; .daS ist eine recht auffallende Stelle, da kan» er
am Besten von Oben gesehen werden." Und geschäftig eilte
Miriam bei diese» Worten, die Tintenflasche vom Ofen herab
zu holen und die Feder zurecht zu legen. Ei» leeres Blatt
Papier, das einem alten Buche beigebunden war, vervollständigte
endlich das Schreibmaterial. Halb lächelnd, und dann doch
wieder ernst gestimmt, schrieb Abraham sein Anliegen nieder.

Er erzählte darin: wie er einst bessere Tage gekannt

habe, allein stets bereit den Ucberfluß mit seinen ärmeren Brüdern
zu theilen, war ihm aus der guten früheren Zeit für die jetzigen
Hungerjahre nichts übrig geblieben. Dainals hatte er von der
Herrschaft Felder gepachtet, die ihm in Folge sorgsamer Be-
handlung reichlich Nahrung brachten, allein der Stuhlrichter
Bela im Nachbardorfe bot einen höheren Pachtzins und inicthete
ihm die Felder aus. Seit jener Zeit habe er sich aus den
Hausirhandcl gelegt, aber das Unglück verfolgte ihn „und der
Dales habe sich eingelagert in sei» Haus und fast Alles ver-
zehrt bis auf die nackten Wände, ausgenommen einen Stroh-
seffel, ein Strohbett und einen alten Tisch, zusammengenommen
nicht zwei Gulden werth."

'„Nun," schrieb Abraham am Schluffe seines Briefes, „ist
das Paffahfest vor der Thüre, die heiligen Schaubrode soll ich
essen oder ich begehe in meinem Glauben eine Todsünde, da
meint denn die fromme Miriam, ich soll Dir, lieber Vater im
Himmel, schreiben, daß Du mir beistehst in meinem innigen
Wunsche, Dir zu dienen.

Du hast Manna gesendet dem hungrigen Volke in der
Wüste und selbst Wachteln dem Lüsternen, so wirst Du auch
die Schaubrode schicken dem Gläubigen, Amen!"

Miriam, welche dem Schreibenden über die Schulter ge-
blickt hatte, bat noch in einem Postskriptum ihre allcrtiefste Ehr-
furcht zu vermelden; sodann wurde der Brief gefaltet, mit der
Addrcsse nach vorgeschriebencr Form in chaldäischer Sprache ver-
sehen, und tief in Gedanken trug Abraham sofort daö Schreiben
nach dem Berge, um ja keine Zeit zu versäumen, denn nach
zwei Tagen war „Passah über die ganze Welt."

An einer recht anffalleuden Stelle, wo weder Baum noch
Busch stand, ward das Schreiben, die Addrcsse noch oben, hin-
gelegt. Ei» leiser Wind erhob sich und wirbelte daö zusammen-

en lieben Gott.

geballte Farrnkraut umher, als Abraham nach einem kurzen
Gebete den Rückweg suchte.

„Nun wird der Wind den Brief wohl von der guten
Stelle, die ich ausgesucht habe, herunterweheu; auch da verfolgt
mich das Unglück. Das Sprichwort hat doch Recht: Wer

einmal geboren ist zu einem Spenser, der erwirbt nie einen Frack."

So brummte Abraham vor sich hin. Der frische Frühlings-
wind, der sich erhob, wehte wirklich das Schreibe», dessen Flug
weder durch Baum noch durch Strauch aufgehalteu wurde, auf
die Fahrstraße herab, welche in geringer Entfernung vorüber
führte und dort wurde der Brief durch das zum Straßenbau
aufgeschichtete Steingerölle festgehaltcu und zum Stillstand ge-
bracht; da er sich durch seine weiße Farbe scharf vom dunklen
Thonwege abgrenzte, mußte er auch schon von Weitem dem
Stuhlrichter Bela auffallen, der vom Nachbardorfe kommend,
nach Theresiopel hineinfuhr.

„Ein Brief, den wohl Jemand verloren hat," dachte der
Stuhlrichter die Rosse anhaltend, „vielleicht kann man ihn an
seine Addrcsse gelangen lassen."

Allein der Finder überzeugte sich bald, daß dieß nicht so
leicht sei, denn was auf dem Briefe geschrieben stand, war mit
chaldäischen Lettern hingezeichnet, und Bela beschloß daher, das
Schreiben mitzunehmen und in Theresiopel zum Vorstande der
dortigen israelitischen Gemeinde zu tragen, der wohl hierüber
den besten Aufschluß geben könnte.

In der Wohnung des Vorstehers wurde gescheuert und
gewaschen und mit scheelem Auge betrachtete die Hausfrau „den
unmanierlichen Geldbrotzen," der sich nicht einmal vor der Thüre
die Füße abgcstreift hatte, ehe er in die frisch gewaschene Passah-
stubc trat.

Bela brachte Schreiben und Anliegen vor, allein der Vor-
steher hatte kaum einen Blick auf die Adresse geworfen, als
er lächelnd sagte: „Lieber Herr, wir wollen uns Beide den
Botenlohn für diesen Brief noch lange nicht einkassiren, denn
der gehört an den lieben Gott, allein da er uns in die Hände
fiel, so ist dieß vielleicht ein höherer Fingerzeig, daß wir ihn
lesen sollen und darum öffne ich ihn."

Die einfachen Worte mit denen Abraham sein Leid dem
Himmel klagte, der Umstand, daß er keineswegs zürnend über
den Störer seiner friedlichen Eristcnz den reichen Stuhlrichter
Bela sprach, sondern vielmehr sein Unglück irgend einer selbst-
begangenen Sünde zuschrieb; das Gottvertrauen, das in Miriams
Seele ruhte, hatte eine tiefe Wirkung auf daö sonst nicht leicht
erregbare Herz des Stuhlrichters geübt; er streifte sich mit dem
Aermel seines Rockes über die Augen und wollte sich selbst
glauben machen, dieß sei der scharfe Wind, der draußen ge-
weht habe.

„Was meint Ihr wohl, Isaak," sagte der Stuhlrichtcr
nach einer Pause, „nun wir für den lieben Gott gelesen haben,
müssen wir doch auch für den lieben Gott antworte», und da
Ihr Euren Gott besser kennt wie ich, so sagt mir, wie wohl
die Antwort lauten würde?"

„Wenn Sie, lieber Herr, schreiben wollen, möchte ich die
Erwiderung wohl vorsagen." Bela schrieb und Isaak diktirte:
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