Keine Rose ohne Dornen.
> 34
als Hotel's mit Fremden überfüllt und beklebten die weißen
Kalkwände ihrer alten gemüthlichen Zimmer mit bunten Tapeten,
daß sich keiner der alten Stammgäste mehr hineintraute. Kein
Wunder, daß nun auch heute alle diese guten Leute die Fund-
grube ihrer küustigen Reichthümer am Bahnhose begrüßen und
! de» Festzug mit anseheu wollten und es war daher so still und
ausgestorben in den Gassen, durch die der Zug nicht kommen
sollte, wie man es wohl von verzauberten Städten in Mährchen
liest. In dem kleinen schmucken Häuschen unfern des Walles
war unten die Hausfrau noch beschäftiget, sich zum Ausgehen
anzukleiden, die Tochter aber, ein großes, leidlich hübsches Mädchen,
kam die Treppe herunter und meinte: „Rein, Mutter, mit
Grimmann ist es heute wieder nicht zum Aushalten, er brummt
und schilt und es ist ihm Alles nicht recht. Du kannst wirklich
nicht verlangen, daß ich seinetwegen den Festzug versäumen soll.
Laß mich nur mitgehen, sein Schelten will ich nachher wohl er-
tragen!" „Na, meinetwegen, laß ihn sitzen, den alten Brumm-
bär" meinte die Mutter; die Tochter nahm Hut und Tuch und
hinaus gings zum Hause dem Bahnhose zu. Der Herr Ober-
lehrer Grimmann oben in der hübschen Stube, die nach dem
Garten und dem Wall hinaussah, hatte schon zum dritten Male
geklingelt und es kam kein Mensch. Er ging immer unruhiger
im Zimmer auf und ab und riß dann und wann einmal am
Klingelzuge, wobei ihm die Zornader auf der Stirne immer höher
schwoll. „Will man mich denn zum Besten haben?" ries er
endlich wüthend mit dem Fuße stampfend und klingelte so heftig
' und lange, bis endlich draußen die Schnur riß und der Glocken-
! zug ihm aus den Kops fiel. Da riß auch ihm die Geduld.
Er stürzte hinaus auf den Gang, wo er sich aber in der Eile
! auf den Schlafrock trat und der Länge nach hinschlug. Er
! sagte nichts mehr, aber die Wuth hatte den höchsten Grad bei
ihm erreicht. Die Treppe kam er glücklich hinunter und riß
! die Küchenthüre auf — es war Niemand in der Küche; er
lief in's Wohnzimmer — auch hier Alles leer; er stürzte zur
HauSthüre — sie war zugeschlossen! Er stand einen Augen-
blick still und lachte ganz leise, aber daß er cs nicht vor Ver-
gnügen that, hätte ein Kind sehen können. Langsam ging .er
die Treppe wieder hinauf indem er still und verbissen vor sich
j hinmurmeltc: „So! so!" In seinem Zimmer ging er ein
! Paar Mal auf und ab, die Hände auf den Rücken gelegt und
dachte über den Verrath nach, den die Menschheit an ihm be-
ging. Dann merkte er, daß er einen heißen Kopf habe, machte
i die Fenster auf und legte sich hinaus. „Mich einzusperren!"
! dachte er immerfort, vergaß aber, daß er ja selber eine» Haus-
schlüssel habe, und gar nicht die Absicht hege, hinaus zu gehen.
Die Morgenluft wehte ihn erfrischend an, die Sonne schien so
hell und freundlich durch die grünen Bäume auf dem Walle
hindurch und lächelte ihn an und von den Reseden im Garten
j stieg ein würziger Duft empor und dem Herrn Oberlehrer ge-
rade in die Nase. Er wurde ein Bischen ruhiger und fand
es endlich für gut, sich eine Pfeife zu stopfen. Seinen Pfeifcn-
kopf hatte er auf der Universität einmal zum Scherze von einem
Kameraden bekommen, es war eine ungestaltete Locomotive mit
pechschwarzen Dampfwolken darauf gemalt und eine roth und
gelb angestrichene Figur mit 3 Punkten im Gesicht statt Augen
und Mund und darunter stand die Moral: „In alte» Zeiten
da liebte man treu, jetzt fährt die Liebe mit Dampf vorbei!"
„Er hat doch recht, der dumme Spruch!" sagte Grimmann
und in die dichten Rauchwolken seiner Pfeife mischte» sich aller-
hand trübe Gedanken, wie er doch so verrathen und verkauft
sei, kein Mensch kümmere sich um ihn, die Jungen in der Schule
suchten ihn nur zu quäle» und — „jetzt fährt die Liebe mit Dampf
vorbei!" seufzte er. Da zertheilte ein frischer Wind die Rauch-
wolken vor ihm und durch sie hindurch sah er im Nachbars-
garten eine weiße Gestalt, die immer aus und ab zu Hüpfen
schien. Da ihm das räthselhaft vorkam, setzte er die Pfeife
einen Augenblick bei Seite und — richtig! die weiße Gestalt hüpfte
noch immer auf und ab, es war aber kein Gespenst, sondern
ein anscheinend junges Mädchen, das ihm den Rücken zukehrte
und bemüht war, eine Leine über den dicken Ast eines Apfel-
baumes zu werfen. Neben ihr stand ein großer Korb mit frisch
gewaschener Wäsche und Grimmann hatte mit natürlichem Scharf-
sinne alsobald die Absicht des Mädchens crrathen, nämlich die
Wäsche an der Leine zum Trocknen aufzuhängen. Die Leine
wollte aber durchaus nicht ordentlich haften, sondern blieb in
den Aesten hängen oder fiel ganz wieder hinüber, aber das
junge Mädchen im weißen Kleide war nicht müde, sondern warf
immer wieder von Neuem. Des Oberlehrers Stirne wurde
merkwürdigerweise immer heiterer, von der Zornader war fast
nichts mehr zu sehen und wie ging das nur zu? Plötzlich
ging er vom Fenster weg und langsam auf die Thüre zu, auf
dem Gange ging er schon rascher, ohne sich dießmal auf den
Schlafrock zu treten, die Treppe ging es hinab, als ob er Flügel
hätte, aber je näher er der Gartenthüre kam, desto gemäßigter
ward wieder sein Schritt und als er in den Garten kam, schlcn-
derte er nur so langsam hin und pflückte hier und da eine
Blume, als wäre er nur so zufällig hieher gekommen. Sonder-
barerweise führte ihn der Weg aber doch ganz bis in die Nähe
des Platzes, wo das Mädchen noch immer mit dem Werfen
der Leine beschäftiget war, so daß er nur durch eine Hecke von
ihr getrennt war. Sic hatte schönes blondes Haar, das in
einer Flechte um den Kopf gebunden war und einen untadel-
hastcn Wuchs. „Soll ich Ihnen helfen?" sagte Grimmann
plötzlich laut. Das Mädchen drehte sich um aber ihm schlug
das Herz hörbar, als ihm ein wundcrlicbliches Gesichtchcn mit
hellen fröhlichen Augen entgcgcnlachte — die Augen aber wurden
sogleich zu Boden geschlagen und das Gesichtchcn erröthetc bis
zur Stirne hinauf. „Soll ich Ihnen Helsen?" fragte Grimmann
noch einmal, aber etwas leiser. „Sie sind sehr gütig," meinte
das Mädchen. „O man muß seinen Nebenmenschen zu helfen
immer bereit sein!" versetzte er würdig. Das Mädchen aber
sah auf und lächelte: „Ja, wie wollen Sie aber in Ihrem
Schlafrocke über die Hecke kommen?" Daran hatte er auch
noch nicht gedacht, es fiel ihm aber zum Glücke ein, daß er
in seiner Jugend ein großer Turnkünstler gewesen sei und rasch
entschlossen riß er eine Bohnenstange aus der Erde, setzte an
und schwang sich mit einem kühnen Satze über die Hecke —
aber ach! mochte nun die Stange schon alt und morsch gewesen
> 34
als Hotel's mit Fremden überfüllt und beklebten die weißen
Kalkwände ihrer alten gemüthlichen Zimmer mit bunten Tapeten,
daß sich keiner der alten Stammgäste mehr hineintraute. Kein
Wunder, daß nun auch heute alle diese guten Leute die Fund-
grube ihrer küustigen Reichthümer am Bahnhose begrüßen und
! de» Festzug mit anseheu wollten und es war daher so still und
ausgestorben in den Gassen, durch die der Zug nicht kommen
sollte, wie man es wohl von verzauberten Städten in Mährchen
liest. In dem kleinen schmucken Häuschen unfern des Walles
war unten die Hausfrau noch beschäftiget, sich zum Ausgehen
anzukleiden, die Tochter aber, ein großes, leidlich hübsches Mädchen,
kam die Treppe herunter und meinte: „Rein, Mutter, mit
Grimmann ist es heute wieder nicht zum Aushalten, er brummt
und schilt und es ist ihm Alles nicht recht. Du kannst wirklich
nicht verlangen, daß ich seinetwegen den Festzug versäumen soll.
Laß mich nur mitgehen, sein Schelten will ich nachher wohl er-
tragen!" „Na, meinetwegen, laß ihn sitzen, den alten Brumm-
bär" meinte die Mutter; die Tochter nahm Hut und Tuch und
hinaus gings zum Hause dem Bahnhose zu. Der Herr Ober-
lehrer Grimmann oben in der hübschen Stube, die nach dem
Garten und dem Wall hinaussah, hatte schon zum dritten Male
geklingelt und es kam kein Mensch. Er ging immer unruhiger
im Zimmer auf und ab und riß dann und wann einmal am
Klingelzuge, wobei ihm die Zornader auf der Stirne immer höher
schwoll. „Will man mich denn zum Besten haben?" ries er
endlich wüthend mit dem Fuße stampfend und klingelte so heftig
' und lange, bis endlich draußen die Schnur riß und der Glocken-
! zug ihm aus den Kops fiel. Da riß auch ihm die Geduld.
Er stürzte hinaus auf den Gang, wo er sich aber in der Eile
! auf den Schlafrock trat und der Länge nach hinschlug. Er
! sagte nichts mehr, aber die Wuth hatte den höchsten Grad bei
ihm erreicht. Die Treppe kam er glücklich hinunter und riß
! die Küchenthüre auf — es war Niemand in der Küche; er
lief in's Wohnzimmer — auch hier Alles leer; er stürzte zur
HauSthüre — sie war zugeschlossen! Er stand einen Augen-
blick still und lachte ganz leise, aber daß er cs nicht vor Ver-
gnügen that, hätte ein Kind sehen können. Langsam ging .er
die Treppe wieder hinauf indem er still und verbissen vor sich
j hinmurmeltc: „So! so!" In seinem Zimmer ging er ein
! Paar Mal auf und ab, die Hände auf den Rücken gelegt und
dachte über den Verrath nach, den die Menschheit an ihm be-
ging. Dann merkte er, daß er einen heißen Kopf habe, machte
i die Fenster auf und legte sich hinaus. „Mich einzusperren!"
! dachte er immerfort, vergaß aber, daß er ja selber eine» Haus-
schlüssel habe, und gar nicht die Absicht hege, hinaus zu gehen.
Die Morgenluft wehte ihn erfrischend an, die Sonne schien so
hell und freundlich durch die grünen Bäume auf dem Walle
hindurch und lächelte ihn an und von den Reseden im Garten
j stieg ein würziger Duft empor und dem Herrn Oberlehrer ge-
rade in die Nase. Er wurde ein Bischen ruhiger und fand
es endlich für gut, sich eine Pfeife zu stopfen. Seinen Pfeifcn-
kopf hatte er auf der Universität einmal zum Scherze von einem
Kameraden bekommen, es war eine ungestaltete Locomotive mit
pechschwarzen Dampfwolken darauf gemalt und eine roth und
gelb angestrichene Figur mit 3 Punkten im Gesicht statt Augen
und Mund und darunter stand die Moral: „In alte» Zeiten
da liebte man treu, jetzt fährt die Liebe mit Dampf vorbei!"
„Er hat doch recht, der dumme Spruch!" sagte Grimmann
und in die dichten Rauchwolken seiner Pfeife mischte» sich aller-
hand trübe Gedanken, wie er doch so verrathen und verkauft
sei, kein Mensch kümmere sich um ihn, die Jungen in der Schule
suchten ihn nur zu quäle» und — „jetzt fährt die Liebe mit Dampf
vorbei!" seufzte er. Da zertheilte ein frischer Wind die Rauch-
wolken vor ihm und durch sie hindurch sah er im Nachbars-
garten eine weiße Gestalt, die immer aus und ab zu Hüpfen
schien. Da ihm das räthselhaft vorkam, setzte er die Pfeife
einen Augenblick bei Seite und — richtig! die weiße Gestalt hüpfte
noch immer auf und ab, es war aber kein Gespenst, sondern
ein anscheinend junges Mädchen, das ihm den Rücken zukehrte
und bemüht war, eine Leine über den dicken Ast eines Apfel-
baumes zu werfen. Neben ihr stand ein großer Korb mit frisch
gewaschener Wäsche und Grimmann hatte mit natürlichem Scharf-
sinne alsobald die Absicht des Mädchens crrathen, nämlich die
Wäsche an der Leine zum Trocknen aufzuhängen. Die Leine
wollte aber durchaus nicht ordentlich haften, sondern blieb in
den Aesten hängen oder fiel ganz wieder hinüber, aber das
junge Mädchen im weißen Kleide war nicht müde, sondern warf
immer wieder von Neuem. Des Oberlehrers Stirne wurde
merkwürdigerweise immer heiterer, von der Zornader war fast
nichts mehr zu sehen und wie ging das nur zu? Plötzlich
ging er vom Fenster weg und langsam auf die Thüre zu, auf
dem Gange ging er schon rascher, ohne sich dießmal auf den
Schlafrock zu treten, die Treppe ging es hinab, als ob er Flügel
hätte, aber je näher er der Gartenthüre kam, desto gemäßigter
ward wieder sein Schritt und als er in den Garten kam, schlcn-
derte er nur so langsam hin und pflückte hier und da eine
Blume, als wäre er nur so zufällig hieher gekommen. Sonder-
barerweise führte ihn der Weg aber doch ganz bis in die Nähe
des Platzes, wo das Mädchen noch immer mit dem Werfen
der Leine beschäftiget war, so daß er nur durch eine Hecke von
ihr getrennt war. Sic hatte schönes blondes Haar, das in
einer Flechte um den Kopf gebunden war und einen untadel-
hastcn Wuchs. „Soll ich Ihnen helfen?" sagte Grimmann
plötzlich laut. Das Mädchen drehte sich um aber ihm schlug
das Herz hörbar, als ihm ein wundcrlicbliches Gesichtchcn mit
hellen fröhlichen Augen entgcgcnlachte — die Augen aber wurden
sogleich zu Boden geschlagen und das Gesichtchcn erröthetc bis
zur Stirne hinauf. „Soll ich Ihnen Helsen?" fragte Grimmann
noch einmal, aber etwas leiser. „Sie sind sehr gütig," meinte
das Mädchen. „O man muß seinen Nebenmenschen zu helfen
immer bereit sein!" versetzte er würdig. Das Mädchen aber
sah auf und lächelte: „Ja, wie wollen Sie aber in Ihrem
Schlafrocke über die Hecke kommen?" Daran hatte er auch
noch nicht gedacht, es fiel ihm aber zum Glücke ein, daß er
in seiner Jugend ein großer Turnkünstler gewesen sei und rasch
entschlossen riß er eine Bohnenstange aus der Erde, setzte an
und schwang sich mit einem kühnen Satze über die Hecke —
aber ach! mochte nun die Stange schon alt und morsch gewesen