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Keine Rose ohne Dornen.

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indem sie ihrer Tochter heimlich zublinzelte, ob der Herr Ober-
lehrer wohl an ihrem einfachen Frühstück Theil nehmen wolle.
Grimman», obgleich er „die gelbe Here" und ihre Tochter „die
Bohnenstange" eigentlich im Stillen recht gründlich haßte, war
heute doch so liebevoll gesinnt, daß er unmöglich Jemanden etwas
abschlagen konnte und so setzte sich das Kleeblatt denn zu Tische.
Grimmann aß wenig und was er sprach, war auch ohne viel
Zusammenhang, denn er war mit seinen Gedanken noch bei
dem Blumenbeete, der wirklichen Bohnenstange, der Wäsche und
dem Loch in der Hecke, vor Allem aber bei seiner reizenden
Nachbarin und indem er sich deren allerliebstes Frühlingsgesichtchcn
recht lebhaft ausmalte, geschah cs ihm einmal sogar, daß er
sein bedeutend älteres Hausfräulein mit einem ganz verliebten
! Blick beglückte, worauf diese allerdings die Augen sittig und
jungfräulich verschämt nieder schlug, aber doch nicht umhin
konnte, jenen Blick bald darauf mit einem nicht minder aus-
drucksvollen zu erwidern. In der Mutter, der dicß Miencn-
spicl nicht unbemerkt geblieben war, begann sich eine dunkle
Vorstellung von Verlobung, Hochzeit und kleinen Enkeln zu
regen, und wie Grimmann einmal in der Verwirrung anstatt
seiner Gabel die neben ihm auf dem Tische ruhende Hand seiner
jungen Tischiiachbarin ergriff, sie zum Munde führte, und erst
dicht vor seinen Lippen mit Schrecken fallen ließ, da ward der
glücklichen Mutter, die jenes Mauoeuvrc als den schüchternen
Versuch eines liebevolle» Handkuffes auslegtc, eine dunkle Vor-
' stellung zur unzweifelhaften Gewißheit und eine übergroße Zu-
vorkommenheit gegen ihren künftigen Schwiegersohn war das
Ergcbniß ihrer Berechnungen.

Man schied endlich allerseits sehr zufrieden gestellt und als
Mutter und Tochter allein waren, warf sich die holde Jungfrau
mit hochklopfendem Herzen an ihrer Mutter Brust und lispelte
verschämt: „Mutter, ich glaube, er liebt mich!" worauf die

erfahrene Frau die goldene Moral erwiderte: „Laß ihn nur

nicht wieder entwischen!" Ahnungslos ging unterdessen -der
glückliche Bräutigam in sxe (wenigstens in spe seiner Haus-
genossinen) zum Kunstgärtner und suchte sich für schweres Geld
die schönsten Moos- und Theerofen aus, die er in seine Woh-
! nung zu bringen befahl. Dann rannte er um den ganzen
Wall, der die Stadt umzog und focht dabei mit den Armen
, in der Luft umher, machte mit seinen langen Beinen auch wohl
! dann und wann einen lustigen Satz, daß alle Begegnenden ihm
verwundert nachsahen und das Unglück wollte, daß unter diesen
Begegnenden auch zwei seiner Schüler waren, die ihn erst höflich
' gegrüßt hatten, ohne daß er eö bemerkt hätte und in denen
nun der sehr natürliche Gedanke aufstieg, daß es bei ihrem
Lehrer nicht recht richtig im Kopfe sei» müßte. Als er Nach-
mittags zu Hause ankam, empfing ihn die Hausfrau mit unge-
mein freundlichem Gesichte und sagte mit einer schlaue» Betonung:
' „sic habe die prächtigen Rosen einstweilen in sein Zimmer
hinauftragen laffen, da sie doch nicht gewiß wußte, für wen
er dieselben bestimmt hätte" was er sehr natürlich fand und
ziemlich kalt erwiderte, er sei ihr sehr dankbar dafür. Den
ganzen übrigen Tag blieb er auf seinem Zimmer, schrieb und
zerriß das Geschriebene wieder und legte sich endlich sehr früh

zu Bette, denn er hatte ein großes Unternehmen vor und wollte
dazu am andern Morgen ganz früh aussteheu. In der Nacht
hatte er sehr unruhige Träume von verschiedentlichen hölzernen
und lebendigen Bohnenstangen, die über ihn herzufallen drohten,
aber ein schirmendes Dach von wunderschönen Rose», unter
welchem er lag, errettete ihn immer wieder, wobei sich schließlich
das schönste Moosroscnkuösplein in das goldumlocktc Gesichtchcn
seiner kleinen Nachbarin Johanna verwandelte, das ihn ganz
freundlich anlächelte. Als er sich aber erheben wollte, um es
zu küssen, wachte er ganz verwirrt und mit glühendem Gesichte
auf und da schimmerte in sein Kämmerchen schon die Morgen-
dämmerung hinein, welche einzelne Spätzchen vor seinem Fenster
mit vergnügtem Piepen begrüßten. Rasch stand er auf und
warf seinen Schlafrock um, dann ging er zu seinen Rosen und
trug einen Stock um den andern bis zu dem Loche in der Hecke
hinunter, indem er sich bei dem letzten noch mit seinem gewich-
tigen Brotmesser bewaffnete. Dann kroch er vorsichtig in den
Nachbarsgarten und nun räumte er mit großer Behendigkeit
mit den Fingern und dem Messer die gestern von ihm zerknickten
Rosen Johannas aus dem Beete und setzte die seinigen in schöner
Reihe in die weiche Erde hinein. Er hatte sich das Geschäft
doch wohl leichter und rascher auszuführc» gedacht, denn als er
endlich fertig war, vergoldeten die ersten Strahlen der Morgen-
sonne schon die Gipfel der alten Lindenbäume auf dem Walle
und er mußte an schleunigen Rückzug denken. Als er eben
seinen Kopf wieder durch die Hecke steckte — hu! was war das
für ein Schrecken! Da stand eine lange Gestalt in weißem
Negligee vor ihm mit einem Kopse, wie eine Furie, denn die
Locken waren in Papillotten gewickelt und starrten wie Schlangen-
köpfe nach allen vier Weltgegendeu. Rasch wollte er sich wieder
zurückziehen, aber die Gestalt hatte ihn schon bemerkt und rief
ihm in höchst erstauntem Tone zu: „Aber, Herr Oberlehrer,

was machen Sic denn da unten?" Da half nun wohl nichts
mehr, dem Kopf mußte der Körper folgen und bald stand der
unglückliche Grimmann das gewichtige Messer in der arg be-
schmutzten Hand, de» Schlafrock über und über mit Erde bedeckt
vor der in ihrer Morgentoilette gleichfalls sehr wenig reizenden
Gestalt seines liebevollen Haussräuleins.

„Aber mein Gott, wie sehen Sic aus? was habe» Sie
denn gemacht?" war deren nochmalige erstaunte Frage. Ja,
da war die Antwort schwer, aber Geistesgegenwart ist eine vor-
treffliche Gabe, die sich auch hier an Grimmann bewährte:
„Ich — ich wollte Rcgenwürmer ausnehmen" erwiderte er.
„Regenwürmer?" Ja wohl, Regenwürmer!" fuhr er jetzt eifriger
fort, „Rcgenwürmer, denn Sic wissen wohl, ich bin ein enragirter
Fischer und zum Fische» braucht man Regcuwürmcr, die habe
ich mir mit dem Messer ausgegrabcn."

„Aber, wo sind sic denn?" fragte das Hausfräulein noch
immer etwas ungläubig, da sic von einer Fischerleidenschaft
Grimmanu's noch nie etwas bemerkt hatte, und warum haben
Sie die denn nicht lieber in unferm Garten gesucht?" „O,
ich habe sie hier schon gesucht, aber keine gefunden, und da
dacht' ich denn, nebenan wären vielleicht eher welche und bin
da durch das Loch geschlüpft, habe aber auch da keine gefunden."
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