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Der Sprachlehrer.

gefeiert und verabredet, daß der Kaufmannssöhn bei seiner
Zurückkuuft das Geschäft des Vaters übernehmen und des rei-
chen Müllers Tochter als Braut heimführen solle. Des .jungen
Mannes Ansichten aber mochten sich in seinem neuen Aufent-
haltsorte über den Horizont seines Heimathstädtchens erweitert
haben, denn, statt zurückzukehren, überfiedelte er mit einem jun-
gen Freunde zu dessen Eltern nach Warschau, wo er sich schon
einige Jahre aufhält und ans dem Punkte stehen soll, Com-
pagnon eines großen Handlnngshauses zu werden.

Nun habe er zwar den.Wunsch seiner Eltern dahin durch-
kreuzt, daß er nicht daheim die Stütze ihrer alten Tage ge-
worden, sei jedoch seiner Verlobten eingedenk, erkundige sich in
jedem Briefe um sic, und werde sie wohl demnächst nach
Warschau entführen. Dies mag in dem Müller den Wunsch
rege gemacht haben, den Bräutigam mit der polnischen Sprach-
kenntniß der Tochter zu überraschen und daher seine Freude,
einen Sprachkundigen getroffen zu haben.

Die Wirthin ricth mir noch, den Vorschlag des Müllers
anzunehmen, da er mir den Aufenthalt bei sich gewiß so an-
genehm als möglich machen würde, bot mir eine gute Nacht
und ließ mich allein.

Kaum war ich im Dunkeln, als das böse
Gewissen in mir erwachte. Ich hatte wohl schon
einmal bei einem Landrathe, dessen Sohn mein
lateinischer Schüler war, die Tochter im Zeichnen
unterrichtet, ohne daß ich selbst je im Stande ge-
wesen, ein Vergißmeinnicht halbwegs kenntlich zu
entwerfen. Dennoch machte meine Schülerin be-
deutendere Fortschritte, als ihr halsstarriger Bru-
der im Donat. Aber polnisch! — Was wußte
ich armer Klosterschülcr von dieser Sprache weiter,
als daß sic eristire?!

Meine leere Tasche hätte es zwar entschul-
digt, wenn ich chinesisch docirt hätte, denn ich
konnte ja weder bleiben »och gehen, weder vor-
noch rückwärts. Aber den Müller so zu betrügen,
die Tochter, die Braut so zu hintcrgehen, es war
nicht zu rechtfertigen!

Ich verschob endlich meinen Entschluß auf
den künftigen Morgen und versuchte cinzuschlafen.

Aber die schrecklichsten Träume von polnischen
Dörfern, in denen ich hungrig bettelte, von zahllosen Wölfen,
die mich verfolgten, ängstigten mich bis Sonnenaufgang.

Ermattet stand ich auf und zog mich schnell an, gab der
Wirthin meinen letzten halben Gulden -für Zehrung und Nacht-
lager und wollte flieh». Da klopfte cs an der Wirthsstube
und ein blondes Bübchen von etwa zehn Jahren frug nach mir.
Es war des Müllers Sohn, dessen Schwester von mir polnisch
lernen sollte. Er meldete mir einen Gruß von seinem Vater,
und daß er den Auftrag habe, mich sogleich in die Mühle zu
geleiten. Willenlos folgte ich, wohin mich der Kleine führte.

Wir trafen den Müller bei einem gedeckten Tischchen; er
lud mich sogleich ei», bei ihm Platz zu nehmen und mit ihm
zu frühstücken, erzählte mir, was ich schon wußte, daß seine Toch-

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ter demnächst ihrem Bräutigam nach Polen folgen sollte, und
er demselben Freude zu machen hoffte, wenn sie einige Vor-
kenntnisse der Landessprache mitbringe u. s. w. Ich lobte au-
ßerordentlich des Müllers Zartgefühl, seinen Schwiegersohn auf
eine so sinnige Weise zu überraschen und soudirte zu gleicher ;
Zeit sein Wissen und seine Erfahrungen, wobei ich fand, daß
meine Unkcnntniß weder hier noch sonst im Städtchen Gefahr
der Entdeckung lief.

Immer noch schwankend und bei dem kleinsten Hindernisse
bereit, meinen Posten iin Stiche zu lassen, wußte ich indessen
nichts Besseres zu thuu, als den Müller vor lauter Hören nicht
zum Nachdenken kommen zu lassen. Ich gab daher das Ge-
spräch nie aus der Hand und umspann den Müller mit einem
kunstgerechten Knäuel von Worten, als mir plötzlich der Faden
riß, das Blut in die Wangen schoß, ich verlegen aufstand,
mich noch verlegener verbeugte; es war vor Anna, des Müllers
Tochter, die sich wie eine überirdische Erscheinung meinen
Blicken darbot. Ucbcr und über roth durch mein steifes Com-
pliment setzte sic mit zitternder Hand das Frühstück aus den
Tisch und nahm den leeren Platz neben mir ein.*)

Was waren alle gepriesenen Schönheiten meiner Univer-
sitätsstadt gegen dieses wunderholde crröthcnde Mädchen! In
diesem Augenblicke wichen alle Gcwisscnsscrupel vor der zwei-
deutigen Rolle, die ich hier zu spielen hatte, ich bleibe, sprach
es in mir, und stünde der Galgen d'rauf, ich bleibe! wieder-
holte ich halblaut, daß mich der Müller ganz verdutzt ansah,
als ich aus meinen Träumen erwachend mich endlich faßte.

„Ihr immerwährender Schuldner bleibe ich," ergänzte ich

*) Der Herr Künstler hat wieder die zwei Stühle vergessen, auf welche
sich der Sprachmeistcr und das Fräulein setzen sollen, oder glaubt
vielleicht der Herr, .die soll der Schriftsetzer hincinsetzcn, wie es im
Theater die Bedienten machen? Ich für meinen Theil verwahre
mich. Anm. des Setzers.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Sprachlehrer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
(andere Titelschreibeweise: Sprachlehrer statt Sprachmeister)

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Sprachlehrer
Tochter <Motiv>
Attraktion <Psychologie>
Junger Mann <Motiv>
Müller <Motiv>
Karikatur
Zimmer <Motiv>
Junge Frau <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 27.1857, Nr. 638, S. 91

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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