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Der tobte Senator war seinen Mitbürgern eine größere
Plage geworden, als es der lebende in der Zeit seiner scham-
losesten Räubereien gewesen war.
Die Felder blieben brach liegen und Sinnbaar ging allem
Anscheine nach einer Hungersnoth entgegen.
Wie aber jede Landescalamität für irgend einen Stand
Gutes mit sich bringt, so war dieses auch mit dem Sinnbaarer
National-Unglück der Fall.
Wer davon prositirte waren die Mönche des Franciska-
nerstifts in Sinnbaar, die mehr Messen bezahlt erhielten als f
sic zu lesen vermochten und deren weitläufiges Klostergebäude
mit Geschenken aller Art vollgestopft wurde, wofür sie sich an-
heischig machen mußten, den spukenden Senator durch lateinische
Erorzismcn buchstäblich aus dem Felde zu schlagen.
Ob sie nun den rechten Spruch nicht fanden, oder ob
die Sünden des Senators schwerer wogen, als die Bannsprüche
der Mönche — genug — das Gespenst wich nicht, rückte
vielmehr den elenden Sinnbaarern immer näher auf den Leib
indem es sich sogar am Hellen Mittage dicht vor den Thoren
des Städtchens sehen ließ, ingleichen auch sein Geschrei all-
nächtlich verstärkte.
Die geplagten Einwohner faßten endlich den heroischen
Entschluß, ihren seit undenklichen Zeiten innc gehabten Thal-
kesscl zu räumen und sich mit Weib und Kind anderswo an-
zusiedeln, indem ihnen die Einguartierungen kaiserlicher oder
schwedischer Truppen immer noch erträglicher schienen, als die
Nachbarschaft des spukenden Senators.
In der Nacht vor dem Tage, wo dieser große Entschluß
zur Ausführung kommen sollte, nahte sich aus einem der be-
schriebenen Fußstege dem Städtchen ein junger Mann, den die
Lust zum Dreinschlagcn vor mehreren Jahren aus demselben
in den Krieg geführt hatte und der jetzt bedeutend klüger, aber
mit einem Arme weniger, als er hinausgetragen, heimkehrte.
Die Kriegslust war verraucht in ihm und er wußte jetzt genau,
daß man aus dem Schlachtfeldc eher einen Arm verlieren, als
den Generalsrang, von dem er geträumt hatte, gewinnen könne.
Mit gestärkter Liebe zu seinen: Geburtsort im Herzen
schritt er rüstig über den Berg. Hätten die Sinnbaarer nicht
einige Tage vorher die Verhaue weggeräumt, um leichter aus-
zichcn zu können, so wäre der invalide Jüngling trotz seiner
Ortskenntniß in dieser Nacht schwerlich nach Hause gekommen.
Von Allem, was in der Heimath während seiner Abwesenheit
j vorgesallcn war, wußte er nichts. Man kann sich daher seine
Verwunderung denken, als er den ihm bekannten Senator mir
^ einer schweren Last Steine auf dem Rücken in der mondhellen
j Mitternacht über die Felder schreiten sah! Hell auflachen aber
j hätte er mögen, als der Senator plötzlich mit surchtbarcin
1 Pathos schrie: „Wo soll ich sic hinsetzen?—" „Wo Ihr
sie hergenommen habt!" rief gemüthlich der Soldat und
, erwartete von diesen Worten seine Erkennung und einen freund-
I lichen Empfang.
Sein Erstaunen wuchs aber zum Schrecken, als aus kiese
Antwort hin der Senator dicht vor seinen Augen verschwand,
ohne daß er begriff, ans welche Weise dies geschehen konnte.
Er eilte spornstreichs nach Hause, klopfte seine Verwandten
heraus und erzählte ihnen mit Uebergchung der Ursachen seiner
plötzlichen Wiederkehr und seiner Schicksale im Kriege, das so
eben Erlebte.
Da aber hätte man verklärte Gesichter sehen können.
Sie fielen dem Neuangekommenen um den Hals und priesen
ihn laut als deu Retter seiner Vaterstadt, was diesem erst
verständlich wurde, als er später vernahm, welchen Drangsalen
seine Heimath in der letzten Zeit ausgesctzt gewesen sei. Noch
in derselben Nacht wurde der Magistrat geweckt und von der
guten Botschaft unterrichtet, worüber die Väter der Stadt vor
Freude zitterten. Als am andern Morgen die Sache ruchbar
wurde, dachte keiner mehr an's Auswandcrn. Drei Tage lang
schoß man mit Pistolen und Böllern in die Luft und mit allen
Glocken wurde unausgesetzt geläutet, woraus man aus den
Grad der Tortur schließen kann, den die armen Leute erduldet
hatten. Nachdem nun gar der Flurschütze meldete, draußen
seien alle Grenzsteine zum Nachthcil des Senators und zum
Vorthcil der von ihm Beschädigten, wieder in ihre alten Stel-
len gerückt, kannte der Jubel keine Schranken mehr. Der
junge Mann wurde in einem von seinen Freunden gezogene»
Wagen nach dem Rathhause gebracht und dort als regierender
Senator auf Lebenszeit feierlich proclamirt. Die schöne und
reiche Tochter des verstorbenen Senators, wegen der er in den
Krieg gezogen war, weil sie von einer Verbindung mit dem
armen, zweiarmigen Jüngling nichts wissen wollte, hcirathete
mit Freuden den einarmigen Senator, dem sic die Erlösung
ihres Vaters verdankte. Geehrt und glücklich erreichte er ein
hohes Alter und sei» Geschlecht blüht noch heute hochgeachtet
in Sinnbaar. —
Grabschrist.
Hier liegt der Mit- und Nachwelt unvergessen,
Der grundgelehrte Doktor Sturm;
Ihn werden nimmermehr die Würmer fressen,
Denn er war selbst ein Bücherwurm.
Und Würmer kennen ihre Pflicht:
Es frißt ein Wurm den andern nicht.
Noble Passionen.
Baron A. „Wie war das letzte Wettrennen in T.,
lieber B.? Du weißt, ich konnte nicht hin."
Graf B. „Nicht der Rede werth. Es ist vorbei mit
der Größe unserer edlen Institutionen. Nur ein Genick und
fünf Beine zerbrochen, hast Du je eine solche Bagatelle erlebt ?"
Unzeitige Besorgnis?.
Ertrapostrciscnde: „Ist Er der Postillon, der mich
fahren wird? "
Postillon: „Ja; mein gutes Madamchen!"
Reisende: „Er wird doch aber auch gut fahren können?"
Postillon: „I, wie sollte ich denn nicht, kennen Sic
mich denn nicht mehr? ich habe Sie ja schon einmal gefah-
ren , wiffcn's denn nicht mehr, wo der Wagen so umschmiß,
daß mer Alle in den Graben fulen?"
Der Bannspruch.
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Der tobte Senator war seinen Mitbürgern eine größere
Plage geworden, als es der lebende in der Zeit seiner scham-
losesten Räubereien gewesen war.
Die Felder blieben brach liegen und Sinnbaar ging allem
Anscheine nach einer Hungersnoth entgegen.
Wie aber jede Landescalamität für irgend einen Stand
Gutes mit sich bringt, so war dieses auch mit dem Sinnbaarer
National-Unglück der Fall.
Wer davon prositirte waren die Mönche des Franciska-
nerstifts in Sinnbaar, die mehr Messen bezahlt erhielten als f
sic zu lesen vermochten und deren weitläufiges Klostergebäude
mit Geschenken aller Art vollgestopft wurde, wofür sie sich an-
heischig machen mußten, den spukenden Senator durch lateinische
Erorzismcn buchstäblich aus dem Felde zu schlagen.
Ob sie nun den rechten Spruch nicht fanden, oder ob
die Sünden des Senators schwerer wogen, als die Bannsprüche
der Mönche — genug — das Gespenst wich nicht, rückte
vielmehr den elenden Sinnbaarern immer näher auf den Leib
indem es sich sogar am Hellen Mittage dicht vor den Thoren
des Städtchens sehen ließ, ingleichen auch sein Geschrei all-
nächtlich verstärkte.
Die geplagten Einwohner faßten endlich den heroischen
Entschluß, ihren seit undenklichen Zeiten innc gehabten Thal-
kesscl zu räumen und sich mit Weib und Kind anderswo an-
zusiedeln, indem ihnen die Einguartierungen kaiserlicher oder
schwedischer Truppen immer noch erträglicher schienen, als die
Nachbarschaft des spukenden Senators.
In der Nacht vor dem Tage, wo dieser große Entschluß
zur Ausführung kommen sollte, nahte sich aus einem der be-
schriebenen Fußstege dem Städtchen ein junger Mann, den die
Lust zum Dreinschlagcn vor mehreren Jahren aus demselben
in den Krieg geführt hatte und der jetzt bedeutend klüger, aber
mit einem Arme weniger, als er hinausgetragen, heimkehrte.
Die Kriegslust war verraucht in ihm und er wußte jetzt genau,
daß man aus dem Schlachtfeldc eher einen Arm verlieren, als
den Generalsrang, von dem er geträumt hatte, gewinnen könne.
Mit gestärkter Liebe zu seinen: Geburtsort im Herzen
schritt er rüstig über den Berg. Hätten die Sinnbaarer nicht
einige Tage vorher die Verhaue weggeräumt, um leichter aus-
zichcn zu können, so wäre der invalide Jüngling trotz seiner
Ortskenntniß in dieser Nacht schwerlich nach Hause gekommen.
Von Allem, was in der Heimath während seiner Abwesenheit
j vorgesallcn war, wußte er nichts. Man kann sich daher seine
Verwunderung denken, als er den ihm bekannten Senator mir
^ einer schweren Last Steine auf dem Rücken in der mondhellen
j Mitternacht über die Felder schreiten sah! Hell auflachen aber
j hätte er mögen, als der Senator plötzlich mit surchtbarcin
1 Pathos schrie: „Wo soll ich sic hinsetzen?—" „Wo Ihr
sie hergenommen habt!" rief gemüthlich der Soldat und
, erwartete von diesen Worten seine Erkennung und einen freund-
I lichen Empfang.
Sein Erstaunen wuchs aber zum Schrecken, als aus kiese
Antwort hin der Senator dicht vor seinen Augen verschwand,
ohne daß er begriff, ans welche Weise dies geschehen konnte.
Er eilte spornstreichs nach Hause, klopfte seine Verwandten
heraus und erzählte ihnen mit Uebergchung der Ursachen seiner
plötzlichen Wiederkehr und seiner Schicksale im Kriege, das so
eben Erlebte.
Da aber hätte man verklärte Gesichter sehen können.
Sie fielen dem Neuangekommenen um den Hals und priesen
ihn laut als deu Retter seiner Vaterstadt, was diesem erst
verständlich wurde, als er später vernahm, welchen Drangsalen
seine Heimath in der letzten Zeit ausgesctzt gewesen sei. Noch
in derselben Nacht wurde der Magistrat geweckt und von der
guten Botschaft unterrichtet, worüber die Väter der Stadt vor
Freude zitterten. Als am andern Morgen die Sache ruchbar
wurde, dachte keiner mehr an's Auswandcrn. Drei Tage lang
schoß man mit Pistolen und Böllern in die Luft und mit allen
Glocken wurde unausgesetzt geläutet, woraus man aus den
Grad der Tortur schließen kann, den die armen Leute erduldet
hatten. Nachdem nun gar der Flurschütze meldete, draußen
seien alle Grenzsteine zum Nachthcil des Senators und zum
Vorthcil der von ihm Beschädigten, wieder in ihre alten Stel-
len gerückt, kannte der Jubel keine Schranken mehr. Der
junge Mann wurde in einem von seinen Freunden gezogene»
Wagen nach dem Rathhause gebracht und dort als regierender
Senator auf Lebenszeit feierlich proclamirt. Die schöne und
reiche Tochter des verstorbenen Senators, wegen der er in den
Krieg gezogen war, weil sie von einer Verbindung mit dem
armen, zweiarmigen Jüngling nichts wissen wollte, hcirathete
mit Freuden den einarmigen Senator, dem sic die Erlösung
ihres Vaters verdankte. Geehrt und glücklich erreichte er ein
hohes Alter und sei» Geschlecht blüht noch heute hochgeachtet
in Sinnbaar. —
Grabschrist.
Hier liegt der Mit- und Nachwelt unvergessen,
Der grundgelehrte Doktor Sturm;
Ihn werden nimmermehr die Würmer fressen,
Denn er war selbst ein Bücherwurm.
Und Würmer kennen ihre Pflicht:
Es frißt ein Wurm den andern nicht.
Noble Passionen.
Baron A. „Wie war das letzte Wettrennen in T.,
lieber B.? Du weißt, ich konnte nicht hin."
Graf B. „Nicht der Rede werth. Es ist vorbei mit
der Größe unserer edlen Institutionen. Nur ein Genick und
fünf Beine zerbrochen, hast Du je eine solche Bagatelle erlebt ?"
Unzeitige Besorgnis?.
Ertrapostrciscnde: „Ist Er der Postillon, der mich
fahren wird? "
Postillon: „Ja; mein gutes Madamchen!"
Reisende: „Er wird doch aber auch gut fahren können?"
Postillon: „I, wie sollte ich denn nicht, kennen Sic
mich denn nicht mehr? ich habe Sie ja schon einmal gefah-
ren , wiffcn's denn nicht mehr, wo der Wagen so umschmiß,
daß mer Alle in den Graben fulen?"
Der Bannspruch.
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