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58 Das Eramcn.

ganze» Tücke mir diesen Einen verfolgen wollte, alle Genossen
Heinrichs, selbst die zum Thcil in ihrem Wissen tief, tief unter
ihm standen, kamen glücklich durch das Eramcn und zogen wohl-
genntth in ihre Heimath, nur der arme Heinrich empfing die
abermalige trostlose Weisung, sich über ei» Jahr zu einer aber-
maligen Prüfung zu melden und schlich sich, geknickt an Leib
und Seele, in seine Heimath zurück.

Gehörte der alte Schulmeister schon an und für sich nicht
zu jenen heitern Joviskindern, die Mutter Natur zur Freude
für sich und ihre Mitmenschen geschaffen, und nicht zu jenen
beneidcnswerlhen Geschöpfen, die

„vom Mütterchen die Frohnatur"
geerbt haben und empfänglicher für die Freuden des Lebens,
unempfindlicher aber für dessen Schattenseiten sind, so war es
mit dem alten Schulmonarchen wie nicht mehr auszuhalten, als
der Heinrich zum zweiten Male, und nun seiner Meinung
nach für immer, die Hoffnungen vernichtet, die er denn doch
im Stillen an ihn geknüpft hatte. Auch der Pfarrer war
sichtlich auf das Unangenehmste überrascht, selbst aufLouischens
, Wangen waren die Rosen erbleicht und cs hatte sich über ihr
ganzes Wesen jene schmerzlich süße Freundlichkeit ergossen, in
welcher edle Nature», fern von Schmollen oder gar Vorwürfen,
ihre Trauer, ihr Mitgefühl kleiden, wenn der Gegenstand des
Mitleids ihrem Herzen nahe steht. So empfängt die Mutter
dcu Sohn, der ihr Herz gekränkt, ihre Hoffnung geknickt, un-
bewußt, daß ihre schmerzliche Freundlichkeit weit tiefer in die
Seele cinschncidct, als das ernste Zürnen deö Vaters. Und
gleich als ob die Stimmung der Menschen sich der Seele der
Thicrc mittheilte, selbst der alte Hofhund wedelte nur matt
und traurigen Blicks mit dem Schwänze, wenn er dem Heinrich
begegnete; das Hühnervolk im Hofe gackerte lange nicht so lustig,
als sonst, der Finke ini Bauer schlug nicht mehr so fröhlich
als bisher und das Rascheln des Hcrbstwindeö im vergilbenden
Laube vollendete daS Bild der Niedergeschlagenheit, die sich über
vier herzige Menschen in BoberSdorf gelagert hatte. Das waren
böse, böse Tage für den armen Heinrich.

Wohl war eS zuerst die Liebe, „jenes Stück Himmel",
das in unser armes Lebe» hcrcinhängt, welche daS Köpfchen
Louisens bald wieder hob, wohl war sic cs, die mit ihrem
freundlichen Auge dem Geliebten Muth und Hoffnung cinzu-
flößcn suchte, allein Heinrich, wenn er auch in Gegenwart
des geliebten Mädchens ihre Hoffnungen zu theilen schien, hing
um so trauriger den Kopf, wenn er wieder allein war. Doch
der Pfarrer war nicht der Mann, der sich so leicht entmnthigeu
ließ. Er hatte in Heinrich ein treffliches ehrliches Gemüth
erkannt, er wußte, daß er einen Schatz der gediegensten Kennt-
nisse in sich barg, er wußte, daß nur ein seltenes Mißgeschick
hämisch über dem jungen Manne gewaltet hakte. Es galt,
noch einmal sich aufzuraffen und den bösen Dämon der Schüch-
ternheit und Acngstlichkcit zu bannen. „Heinrich," sagte er eines
Tages zu seinem Schüler, „Heinrich, betrachte Dein Mißgeschick
als eine Fügung, als eine Prüfung Gottes, die Dir auferlegt
ist und in Demurh ertragen werden muß. Ich weiß, daß Du
au Deinem Mißgeschick die Schuld nicht trägst, ich weiß, daß
Du unschuldig leidest, verlaß Dich aus den Herrn, er wird es
wohl mit Dir machen. Raffe Dich auf, mein Sohn, fasse Muth,
suche Deiner Schüchternheit Herr zu werden und melde Dich noch
einmal zur Prüfung!" „Aber Herr Pfarrer —" „Kein Aber,
mein Sohn, ich weiß, cs ist nichts Leichtes, was ich von Dir
verlange, allein eS ist Deine Pflicht, Alles aufzubieten, um
in den Beruf cintrcten zu können, dem Du deine ganze Jugend
gewidmet hast. Du wirst die Prüfung dieß Mal bestehen,
das hoffe ich, daS weiß ich, sollte eS aber der Herr im Him-
mel anders beschlossen haben, nun dann beuge Dich seinem Willen,
Du wirst dann einen anderen Beruf wählen müssen und Du
wirst ihn finden. Deinen Vater werde ich nach und nach auf
unfern Entschluß vorbcrciteu."

Hiermit war bei dem Pfarrer und Heinrich jene Ruhe
gewonnen, welche nach Zweifeln und Bedenken ein fester Ent-
schluß hervorbringt. Nur der Schulmeister blieb nach wie vor
mißmuthig und brummig und die leisen Anspielungen des
Pfarrers im Betreffe eines abermaligen Examens, zu dem sich
Heinrich melden solle, harten bis jetzt nicht den geringsten sicht-
baren Erfolg gehabt. Nur das Eine war erreicht worden, daß
der Alte eines Tags den Heinrich nach dem Hergänge bei
der Prüfung wenigstens fragte.

„Sieh', Vater," erklärte ihn, da Heinrich ruhig und in
ehrerbietigem Tone, der dem Sohne dem Vater gegenüber ge-
ziemt, „sich' ich habe, wie Du wissen mußt, meine Zeit auf
dem Gymnasium und der Universität wohl angewendet, ich
habe daS Meinige gelernt, das wird Dir der Herr Pfarrer ge-
sagt haben, ich weiß, daß ich wenigstens dasselbe verstehe, wie
jeder der andern, die neben mir ihre Prüfung bestanden haben,
ich fühle mich auch befähiget und berufen zu einem geistlichen
Amte, wie sich jeder berufen fühlen muß, der sein Amt
nicht bloß als Erwerbsquelle, als melkende Kuh betrachtet.
So ging ich zuversichtlich zwar, doch mit jener Beklemmung
in das Examen, die mir von Jugend auf anhängt. Wohl
mochte man mir meine Aengstlichkeit ansehen und ob gerade
dcßwegen oder ob aus Zufall, weiß ich nicht, richtete der Ober-
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Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Das Examen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Geliebte <Motiv>
Student <Motiv>
Kummer <Motiv>
Trost <Motiv>
Schulversagen
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 660, S. 58

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