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Das Er am c n.

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consistorialrath mit einem, wie mir schien, stechenden Blicke die
erste Frage an mich. Da richteten sich die Augen aller Zu-
hörer aus mich und ich wurde dadurch so besangen, daß ich
eine kurze Zeit bedurfte, um mich zu sammeln und die an sich
gar nicht schwere Frage zu beantworten und eben als ich aus
dem Punkte war, meine Antwort zu geben, richtete der Obcr-
consistorialrath dieselbe Frage an meinen Nachbar, der sic rasch
beantwortete. Was dann wieder mit mir vorgegangcn ist, weiß
ich eigentlich nicht recht. Meine Bestürzung darüber, daß die
Eraminirendcn und die Zuhörer mein augenblickliches Schweigen
sür das Schweigen des Nichtwissens, der Ignoranz, auslegen
könnten, war so groß, daß ich alle weiter an mich gerichteten
Fragen entweder gar nicht, oder ganz verkehrt und immer mit
Beziehung aus die erste, längst beseitigte Frage beantwortete.
Lieber Gott, die Herren kennen mich ja gar nicht, sic mußten
wohl mein Verhalten für Unwissenheit halten und so konnte
ich freilich das Eramcn nicht bestehen. So war es das erste,
so war cs und noch fast in größerem Maße beim zweiten Male
der Fall, denn da heftete der Obcrconsistorialrath seine Augen,
wie mir schien, noch viel stechender oder höhnischer auf mich
und ich war der festen Ucberzcugung, daß er mir entgelten

lassen wollte, wie schlecht ich beim ersten Male bestanden. Vater,

lieber Vater, sei nicht bös ans mich, meine Aengstlichkcit war

an allein Schuld, vielleicht hat cs der Herr gar nicht so bös

mit mir gemeint."

„Hm!" war alles, was dcc alte Schulmeister auf diese
kindliche Hcrzcnscrgießung des geliebten Sohnes antwortete, aber
in der rauhen Schale steckte ein weicher trefflicher Kern und
wenn er cs auch gerade nicht aussprach ^ so ergriff ihn doch
das unverschuldete Mißgeschick des einzigen Sohnes ganz ge-
waltig und neben den sanften Regungen des Vatcrhcrzcns con-
centrirte sich sein ganzer Haß auf den vermeintlichen Verfolger
und böswilligen Zerstörer seines Lebcnsglücks, den Oberconsisto-
rialrath. Aber auch das sprach er nicht aus.

In dieser Zeit und während seiner nichts weniger als
rosige» Stimmung geschah cs, daß eines Tages ein wohlgc-
klcidetcr, wohlbeleibter Fremder in das Schulzimmcr trat, in
welchem eben der würdige Schullehrer der hoffnungsvollen Jugend
von Bobcrsdorf die ersten Elemente der Lcsekunst docirte und
das muß man sagen, auf Disciplin hielt der Alte trotz seiner
siebcnzig Jahre, daß eS eine Lust war. Denn kaum war der
Fremde in das Zimmer getreten, als der ganze Chorus sich
von den Bänken erhob und ihn in taktvollem Chore mit den
Worten: „Schönen guten Morgen!" begrüßte.

„Herr Schullehrer, ich wünschte gern das Altargemälde
von Lucas Kranach in Ihrer Kirche zu sehen, Sic hätten wohl
die Güte, mir daffclbc zu zeigen!" bat nach erfolgter Be-
grüßung der Fremde.

„Wenn Sic warten können, bis ich meine Stunde been-
digt habe, recht gern!" antwortete der Alte und wanderte dann
mit dem Fremden in die Kirche, wo wirklich ein Lucas Kranach
hing, der öfter von Fremden besucht wurde.

Bewegte sich anfänglich die Unterhaltung des Fremden mit
dem Schullehrer nur um das Bild und um die Kirche, so ging

sic doch bald auf die persönlichen Verhältnisse des letztern, dessen
würdige Gestalt und finster-trauriges Wesen dem Fremden auf-
ficl, über, und obwohl der Alte nichts weniger als geschwätzig
und mittheilsam war, das freundliche, Zutrauen erweckende und
dabei doch imponircndc Wesen des Fremden, der theilnehmcnd
nach dem Kummer fragte, der ihm auf dem Herzen lastete, hatte
cs gemacht, daß der Fremde bald Alles wußte, was dem
Alten auf dem Herzen lag. Daß des Obcrconsistorialraths da-
bei nicht in den schmeichelhaftesten Ausdrücken gedacht worden,
ist leicht denkbar.

„Da habe ich nun den Jungen, an den ich Gut und Blut
gewendet, da sitzen. Unser trefflicher Pfarrer sagt freilich, der Hein-
rich wäre nicht alle,in brav und gut, sondern auch geschickt und ge-
lehrt, was hilft ihm das aber Alles, er kann's ja im Eramcn
nicht von sich geben und da denken die einfältigen dummen
Menschen dort in der Hauptstadt, er habe nichts gelernt. Und
wenn sie ihn erst predigen hören sollten, wahrlich das Herz im
Leibe lacht Einem, wie der das Wort Gottes auslegt. Ta
sitzt er nun drüben auf der Pfarre und schwadronirt mit dem
Pastor griechisch und lateinisch, was hilft ihm aber das, der
abscheuliche Obcrconsistorialrath läßt ihn doch nicht aufkommen.
'S ist ein wahrer Jammer!"

So schloß der Alte seine Rede.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Examen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Fremder <Motiv>
Lehrer <Motiv>
Bild <Motiv>
Kirchenbau
Malerei <Motiv>
Gespräch <Motiv>
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Cranach, Lucas, der Ältere

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 660, S. 59

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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