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Unverhofftes

deck des Schiffes gestiegen war, um beim Gepäckc etwas zu
ordnen, warf sich der fünfundvierzigjährige Justus vor seiner
Angebeteten auf das Knie, und legte das edle Bckenntniß ab,

wie er nur durch ihr Erscheinen in dem Posthause zu G..
veranlaßt worden wäre, sie aus dem Eilwagen nach Dresden
bis zur nächsten Station zu begleiten, um auf diese Weise zu
erfahren, ob sic sich seiner und ihres früheren Vcrhältniffes
noch erinnere, zog darauf sein Gcdenkbuch hervor, und zeigte
ihr mit zärtlichem Blicke den von ihr bei seinem Abschiede aus
dem Hause des Fürsten P. zum ewigen Andenken niederge-
schricbcnen VcrS: „Erinnerung ist'S, die mit dem Zaubcrstabe
den Weg uns schmückt, im Leben bis zum Grabe!" indem er
auf die Unterschrift einen Kuß drückte.

Thcilnchmcnd und mit crröthenden Wangen hatte ihm
Frau von Güldcnhelm Anfangs zugchört, doch als der Schwär-
mer mit erhöhter Stimme und ausgcmuntcrt durch den innigen
Blick ihrer Augen — mit einer vollständigen Liebeserklärung
hcrausrücktc, war die sonst so heitere Dame ganz betrübt. —
Sie sah ihn wehmüthig an, Thräncn füllten ihre schönen Augen,
und mit den Worten: „Justus, Justus, warum haben Sie mir
das gcthan!" erhob sie sich weinend von ihrem Sitze und ver-
ließ ihn. — Der licbeglühcndc Postmcister-Erspcctant war bei
diesem Auftritte plötzlich erstarrt und aus all' seinen Him-
meln hcrabgetaumelt; wehmuthsvoll verließ er die Eajütc,
um seine beleidigte Freundin aufzusuchen; die Hoffnung auf
Erfüllung seiner Jugcndträume schien ihm entschwunden, und
verzweifelnd an seinem Schicksale, wünschte er sich zurück in die
Hände jenes Kosaken, die ihn zum Tode führen sollten, in die
eisigen Gefilde des Czarcnrcichcs!

All' seine Bemühungen waren vergebens, Frau von Gül-

Wiederfinden.

dcnhelm wurde den ganzen Tag hindurch mit ihrem Oheim
nirgends sichtbar. — Der so getäuschte Lieutenant ward sich
nach und nach seiner wieder bewußt; er hatte alle Ursache,
über sein heutiges verwegenes Betragen, welches seinen im Ver-
laufe der Reise schon begangenen Unbesonnenheiten unbezwcifelt
die Krone aufsctztc, ernste Betrachtungen anzustellen. Mit tie-
fer Reue mußte er sich gestehen, daß er unverzeihlich gehandelt
habe, indem er bei Frau von Güldcnhelm Gefühle geweckt und
Wunden aufgeriffen, die er doch bei den bestehenden Verhält-
nissen nicht beschwichtigen und heilen konnte. — Erst spät
begab er sich zur Ruhe, ohne solche zu finden, angstvoll und
beklommen wälzte er sich auf seinem Lager, dachte an Louise
und ihre Bctrübniß, au seine kärgliche Pension und an seine
trüben Postcandidatcn-Aussichten. Hätte er doch seine Gefühle
noch unterdrückt und sein erwogen: „Ach, wie doch eine Klei-
nigkeit zwei treue Herzen oft entzweit!" Schon graute der
Morgen, als er in kurzen Schlummer fiel, der so lange an-
hiclt, bis ein Schiffsjunge in die Eajütc trat und dem noch
schlaftrunkenen Lieutenant ankündigte, das Dampfschiff habe an-
gelegt.

„Wo sind wir denn?" fragte er gähnend, indem er sich

erhob.

„Vor Hamburg," lautete die Antwort.

„Vor Hamburg?" seufzte schmerzhaft der Lieutenant. Fast
70 Meilen von G. entfernt, auf welche abenteuerliche Weise
und auö welcher Veranlassung! Der arme JustuS laborirtc
vollständig an einem moralischen Katzenjammer.

Eine neue Verlegenheit entstand für den Postmeister in
sxs, als er berechnete, was seine Reise bereits gekostet, und
daß, wenn er dem Oheim die Auslagen erstatten wolle, er
unmöglich die Mittel übrig behalte, um wieder in seinen
Wohnort zu gelangen. Er stieg auf das Verdeck, um sich dem
Oheim im Vertrauen zu entdecken. Da war aber Niemand
mehr zu finden; cs hieß, die Fremden seien mit dem Kahne
schon nach der Stadt gerudert. Der Herr Lieutenant müsse
hier an's Land steigen, weil ein zweiter Kahn nicht vorhanden
wäre. — „Das Paffagicrgeld sei bereits bei der Abfahrt in
Magdeburg berichtigt," lautete die Antwort auf die gestellte
Frage.

Für unfern Justus entstand abermals eine Verlegenheit;
wo sollte er Frau von Güldcnhelm und ihren Begleiter wieder
finden? — Er eilte der Stadt zu, fand zwar den Hafen, aber
Niemand konnte ihm sagen, wo die Reisenden aus dem Kahne
ihr Abstcigquarticr genommen. Nach vielem Suchen gelangte
er endlich über den neuen Wall nach dem Jungfcrnsticgc; eine
neue Welt zeigte sich hier seinen suchenden Augen und gab ihm
Hoffnung in den vielen Hotels seine erzürnte Louise zu finden.
Erschöpft von der Anstrengung und dem vielen Laufen, ging
er in den Alster-Pavillon, um eine Erfrischung zu nehmen und
neue Kräfte zu sammeln.

Als ihm der Kellner den Portwein und die Zeitungen
überreichte, griff er mechanisch nach den letzter». Ein am näch-
sten Tische sitzender Herr, der ihn beobachtet hatte, trat zu ihm
und fragte ihn: „Haben Sie schon von dem bedeutenden Post-
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Unverhofftes Wiederfinden"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
abweichende Titelschreibweise: "Wiederfinden" statt "Wiedersehen"

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Kummer <Motiv>
Liebeserklärung <Motiv>
Karikatur
Frau <Motiv>
Kniefall
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 673, S. 162
 
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