82
Brausepulver
Mittlerweile hatte der alte Steuerrendant sein Mittags- I
schläfchen ausgeschlafen und sich streckend und dehnend, fiel jetzt
sein noch etioas umflorter Blick auf den verhängnißvollcn Glas-
sturz. Ein wahlwollendes Lächeln umspielte dabei die Lippen
des Alten, denn er gedachte seines Sohnes kindlicher Regung
i und gleichzeitig siel ihm jetzt ein, daß die Beinkleider seines
Erst- und Letztgcbornen sehr durchsichtig zu werden begannen.
Heute wollte er dem Jungen ein Paar tüchtiger Winter-
Hosen kaufen, uni das kindliche Gemüth vor den frostigen Ein-
flüssen der rauhen Jahreszeit zn schützen.
Und der Steuerrendant machte sich auf den Weg nach
dem Judenviertel der Stadt, zum alten Schmeikelcs, bei dem
er sicher war, das uothwcndige Kleidungsstück, wenn auch nicht
ganz neu, aber dennoch vollkommen brauchbar und vor Allem
nicht zu theuer zu finden.
Während der Trödler eine Stunde später unter seinen
| Vorrüthen wühlte, um des alten Steuerbeamten Wünschen Nach-
kommen zu können, musterte dieser die Geschmeide, Uhren und
Dosen, welche als Pfänder in einem kleinen Glasschrank ihrer
Erlösung harrten.
Wie erschrack er aber plötzlich, wie weiß wurden seine
j Lippen und wie schwoll die Zornesader auf seiner Stirne immer
mehr und mehr an, als er jener Gegenstände ansichtig ward,
l die ihre seit einem halben Jahrhundert behauptete Stellung noth-
gedrungener Weise hatten verlassen müssen, um ihren echt christ-
katholischen Grundsätzen entgegen, in der koschersten Atmosphäre
jetzt über Sein und Nichtsein nachzudenken!
Wie sie hierhergekommen, darüber blieb dem armen Alten
leider kein Zweifel. Sündige Annexionsgelüste hatte er für
! jugendliche Gewissenspein gehalten. Er mußte sich Gewißheit
> verschaffen. „Schmeikeles," begann der Steuerrendant, als dessen
Gestalt unter einem Wust alter Hosen wieder sichtbar ward,
„Schmeikeles, wie kommen Sie zu den Ringen, zu dem Petschaft'?"
„Ehrlicher Weise, soll mich Gott behüten," versicherte der
Hebräer.
„Das habe ich nicht bezweifelt," meinte der zitternde
Vater, „aber durch wen sind Sic in Besitz dieser Gegenstände
gekommen?"
„Von einem jungen Menschen Hab' ich das Pfand," er-
j widerte der Jude, „und Hab' ihm darauf geborgt blanke 30
Gulden in Papier."
„Dreißig!" versetzte innerlich weinend der arme Alte. „Es
ist die verhängnißvolle Zahl, mit welcher der Verrath historisch
geworden. Und ich habe an die Unverdorbenhcit des nichts-
würdigen Buben geglaubt! Aber er soll mir das büßen!"
Letztere Worte hatte er leise gemurmelt und dabei einen Blick
auf seine muskulöse Hand geworfen, der dem Sprößling nichts
Gutes künden mochte.
Darauf wehrte er die auf ihn cindringendcn Unaussprech-
lichen ab und stürmte fort, als habe er und nicht sein Sohn
einen Frevel begangen.
Sein erster Gang war in's Collegium. Dort hatte man
Fröbcl den Jüngeren seit endloser Zeit ohne Schmerzen ver-
mißt. Darauf begab er sich zu dem vorgeschützten Correpetitor
und Cognac.
und dieser kannte seinen soit disant Zögling nur dem Name»
nach. Wo nun den Entarteten suchen?
Mittlerweile war es dunkel geworden. Der Steuerbeamte,
dem der Schnee ganze Wolken in's Gesicht blies und den seine
jüngsten Erfahrungen just nicht zu den glücklichsten Vätern gM*
duirten, hatte den Hut tief in die Stirne gedrückt und eilte a»
dem Gebäude vorüber, welches kein rechtlich Denkender für eine»
Tempel der Musen gehalten haben würde, als er die Stimme
seines verlorenen Sohnes zü vernehmen glaubte. Er blieb stille
stehen in seinem Lauf und horchte. Er hatte sich nicht getäuscht-
„Halt!" schrie eben Stuarts Wächter dem nach Lampenöt
duftenden Eclaireur zu, „halt, Sic dürfen nicht hinein, das
Fräulein studirt!"
„Ist mir Alles eins," replicirte mit stoischer Ruhe der
Lichtbeflissene, „meine Stund' hat geschlagen und die soll ei»
anderes Mal lernen!" Und er suchte den Jungen von der
Thüre zu drängen.
„Haben Sie denn so wenig Respekt vor den Studien, Sic
rücksichtsloser Mensch?" wetterte Fröbclchen und der Lampen-
anzünder wollte wahrscheinlich eben in kategorischer Weise ant-
worten, als er einen Ersatzmann fand im Rendanten.
Dieser stellte sich dem jungen Tenipclwüchtcr gegenüber und
frug ihn, die Arme kreuzend, mit fürchterlicher Ruhe: „Be-
sitzest Du denn Respekt den Studien gegenüber?"
Hätte der Blitz vor ihm in den Boden geschlagen, wäre
eine Flammenquelle aus demselben entsprungen und brennend
unter seinen Füßen dahingeriefelt, das Entsetzen des Bursche»
konnte nicht fürchterlicher zu Tag getreten sein.
„Der Vater!" glitt es über seine schreckensbleichen Lippen,
als die Hand desselben ihn bereits — wenn auch nicht zui»
Ritter — geschlagen hatte. Eine Ohrfeige war's, deren sich ei»
Götz von Bcrlichingen nicht zu schämen gebraucht hätte.
Eben wollte der Acceptant den Empfang derselben nM
einem Wehcschrci quittiren, als ihr auch schon ein Zwilling ge-
boren wurde.
Gleichzeitig, als wäre der klatschende Schall das Zeichen
gewesen, welches Maria Stuarts Studien zum Abschluß bringe»
sollte, öffnete sich die Gardcrobethüre, ein großer corpulenter
Mann trat aus derselben, stieß in der Dunkelheit an den nM
dem Vater just in so unsanfte Berührung gekommenen Soh»,
der eben die verhängnißvolle Dritte zu gewärtigen schien u»d
ein lautes „Pardon!" machte den ohnedies vernichteten Jüng*
ling noch um Vieles elender.
Dieses „Pardon", cs kam ja aus dem'Munde eines Men-
schen, der nie ein „Pardon" für ihn gehabt, wenn er als Jgiw-
rant vor demselben gestanden, dieses „Pardon" gehörte seine»'
Professor, dem vr. Bumbs, an und dieser hatte wohl cbe»
eine dramatische Lektion ertheilt.
Ach, dies „Pardon" war die dritte, zwar eine moralische
aber die fürchterlichste Ohrfeige, die er erhalten und Fröbcl
junior folgte Fröbel senior nach Hause, stumm wie ein Fisch'
elend wie die complete Niederlage.
Am nächsten Morgen wanderte das historische Familie»^
gcschmeidc wieder aus der Judenstadt hinüber unter den tato-
Brausepulver
Mittlerweile hatte der alte Steuerrendant sein Mittags- I
schläfchen ausgeschlafen und sich streckend und dehnend, fiel jetzt
sein noch etioas umflorter Blick auf den verhängnißvollcn Glas-
sturz. Ein wahlwollendes Lächeln umspielte dabei die Lippen
des Alten, denn er gedachte seines Sohnes kindlicher Regung
i und gleichzeitig siel ihm jetzt ein, daß die Beinkleider seines
Erst- und Letztgcbornen sehr durchsichtig zu werden begannen.
Heute wollte er dem Jungen ein Paar tüchtiger Winter-
Hosen kaufen, uni das kindliche Gemüth vor den frostigen Ein-
flüssen der rauhen Jahreszeit zn schützen.
Und der Steuerrendant machte sich auf den Weg nach
dem Judenviertel der Stadt, zum alten Schmeikelcs, bei dem
er sicher war, das uothwcndige Kleidungsstück, wenn auch nicht
ganz neu, aber dennoch vollkommen brauchbar und vor Allem
nicht zu theuer zu finden.
Während der Trödler eine Stunde später unter seinen
| Vorrüthen wühlte, um des alten Steuerbeamten Wünschen Nach-
kommen zu können, musterte dieser die Geschmeide, Uhren und
Dosen, welche als Pfänder in einem kleinen Glasschrank ihrer
Erlösung harrten.
Wie erschrack er aber plötzlich, wie weiß wurden seine
j Lippen und wie schwoll die Zornesader auf seiner Stirne immer
mehr und mehr an, als er jener Gegenstände ansichtig ward,
l die ihre seit einem halben Jahrhundert behauptete Stellung noth-
gedrungener Weise hatten verlassen müssen, um ihren echt christ-
katholischen Grundsätzen entgegen, in der koschersten Atmosphäre
jetzt über Sein und Nichtsein nachzudenken!
Wie sie hierhergekommen, darüber blieb dem armen Alten
leider kein Zweifel. Sündige Annexionsgelüste hatte er für
! jugendliche Gewissenspein gehalten. Er mußte sich Gewißheit
> verschaffen. „Schmeikeles," begann der Steuerrendant, als dessen
Gestalt unter einem Wust alter Hosen wieder sichtbar ward,
„Schmeikeles, wie kommen Sie zu den Ringen, zu dem Petschaft'?"
„Ehrlicher Weise, soll mich Gott behüten," versicherte der
Hebräer.
„Das habe ich nicht bezweifelt," meinte der zitternde
Vater, „aber durch wen sind Sic in Besitz dieser Gegenstände
gekommen?"
„Von einem jungen Menschen Hab' ich das Pfand," er-
j widerte der Jude, „und Hab' ihm darauf geborgt blanke 30
Gulden in Papier."
„Dreißig!" versetzte innerlich weinend der arme Alte. „Es
ist die verhängnißvolle Zahl, mit welcher der Verrath historisch
geworden. Und ich habe an die Unverdorbenhcit des nichts-
würdigen Buben geglaubt! Aber er soll mir das büßen!"
Letztere Worte hatte er leise gemurmelt und dabei einen Blick
auf seine muskulöse Hand geworfen, der dem Sprößling nichts
Gutes künden mochte.
Darauf wehrte er die auf ihn cindringendcn Unaussprech-
lichen ab und stürmte fort, als habe er und nicht sein Sohn
einen Frevel begangen.
Sein erster Gang war in's Collegium. Dort hatte man
Fröbcl den Jüngeren seit endloser Zeit ohne Schmerzen ver-
mißt. Darauf begab er sich zu dem vorgeschützten Correpetitor
und Cognac.
und dieser kannte seinen soit disant Zögling nur dem Name»
nach. Wo nun den Entarteten suchen?
Mittlerweile war es dunkel geworden. Der Steuerbeamte,
dem der Schnee ganze Wolken in's Gesicht blies und den seine
jüngsten Erfahrungen just nicht zu den glücklichsten Vätern gM*
duirten, hatte den Hut tief in die Stirne gedrückt und eilte a»
dem Gebäude vorüber, welches kein rechtlich Denkender für eine»
Tempel der Musen gehalten haben würde, als er die Stimme
seines verlorenen Sohnes zü vernehmen glaubte. Er blieb stille
stehen in seinem Lauf und horchte. Er hatte sich nicht getäuscht-
„Halt!" schrie eben Stuarts Wächter dem nach Lampenöt
duftenden Eclaireur zu, „halt, Sic dürfen nicht hinein, das
Fräulein studirt!"
„Ist mir Alles eins," replicirte mit stoischer Ruhe der
Lichtbeflissene, „meine Stund' hat geschlagen und die soll ei»
anderes Mal lernen!" Und er suchte den Jungen von der
Thüre zu drängen.
„Haben Sie denn so wenig Respekt vor den Studien, Sic
rücksichtsloser Mensch?" wetterte Fröbclchen und der Lampen-
anzünder wollte wahrscheinlich eben in kategorischer Weise ant-
worten, als er einen Ersatzmann fand im Rendanten.
Dieser stellte sich dem jungen Tenipclwüchtcr gegenüber und
frug ihn, die Arme kreuzend, mit fürchterlicher Ruhe: „Be-
sitzest Du denn Respekt den Studien gegenüber?"
Hätte der Blitz vor ihm in den Boden geschlagen, wäre
eine Flammenquelle aus demselben entsprungen und brennend
unter seinen Füßen dahingeriefelt, das Entsetzen des Bursche»
konnte nicht fürchterlicher zu Tag getreten sein.
„Der Vater!" glitt es über seine schreckensbleichen Lippen,
als die Hand desselben ihn bereits — wenn auch nicht zui»
Ritter — geschlagen hatte. Eine Ohrfeige war's, deren sich ei»
Götz von Bcrlichingen nicht zu schämen gebraucht hätte.
Eben wollte der Acceptant den Empfang derselben nM
einem Wehcschrci quittiren, als ihr auch schon ein Zwilling ge-
boren wurde.
Gleichzeitig, als wäre der klatschende Schall das Zeichen
gewesen, welches Maria Stuarts Studien zum Abschluß bringe»
sollte, öffnete sich die Gardcrobethüre, ein großer corpulenter
Mann trat aus derselben, stieß in der Dunkelheit an den nM
dem Vater just in so unsanfte Berührung gekommenen Soh»,
der eben die verhängnißvolle Dritte zu gewärtigen schien u»d
ein lautes „Pardon!" machte den ohnedies vernichteten Jüng*
ling noch um Vieles elender.
Dieses „Pardon", cs kam ja aus dem'Munde eines Men-
schen, der nie ein „Pardon" für ihn gehabt, wenn er als Jgiw-
rant vor demselben gestanden, dieses „Pardon" gehörte seine»'
Professor, dem vr. Bumbs, an und dieser hatte wohl cbe»
eine dramatische Lektion ertheilt.
Ach, dies „Pardon" war die dritte, zwar eine moralische
aber die fürchterlichste Ohrfeige, die er erhalten und Fröbcl
junior folgte Fröbel senior nach Hause, stumm wie ein Fisch'
elend wie die complete Niederlage.
Am nächsten Morgen wanderte das historische Familie»^
gcschmeidc wieder aus der Judenstadt hinüber unter den tato-