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Nováček, Jan; Scheelen-Nováček, Kristina; Schultz, Michael; Bjørnstad, Gro; Steskal, Martin; Österreichische Akademie der Wissenschaften / Verlag [Hrsg.]; Österreichisches Archäologisches Institut [Mitarb.]
Das Grabhaus 1/08 in der Hafennekropole von Ephesos: Ergebnisse der anthropologischen und paläopathologischen Untersuchung kaiserzeitlich-spätantiker Kollektivgräber — Forschungen in Ephesos, Band 16,1: Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53060#0012
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11

1 EINLEITUNG
Während der Grabungskampagne 2008 in Ephesos erfolgte im Bereich der bis dahin wenig
erforschten Nekropole entlang des Hafenkanals (Hafen- oder Westnekropole) die systematische
Ausgrabung eines Grabhauses (Abb. 1. 2)1. Die Bergung der zahlreichen Bestattungen aus ins-
gesamt fünf Gräbern, die vom 2. bis zumindest in das frühe 5. Jahrhundert n. Chr. datieren - das
Grabhaus selbst wurde am Ende des 5. oder Anfang des 6. Jahrhunderts aufgelassen ermög-
lichte erstmalig in der Grabungsgeschichte von Ephesos die anthropologische Untersuchung einer
mehr als 100-köpfigen kaiserzeitlich-spätantiken Population aus einem in sich geschlossenen
Fundkomplex. Auf diese Weise ließen sich fundierte Einblicke in den demografischen Aufbau der
in dem Grabhaus bestatteten Population gewinnen (s. Kap. 5.2), die Informationen zur Geschlech-
terverteilung und der Sterbealtersstruktur erbrachten, welche wiederum Rückschlüsse auf die
Gesellschaftsstruktur im kaiserzeitlich-spätantiken Ephesos erlauben. Vor dem Hintergrund des
Vergleichs mit weiteren ähnlich datierten Populationen aus dem östlichen Mittelmeerraum sowie
schriftlichen Quellen entstand eine Kontextualisierung der Population im geografischen und
zeitlichen Umfeld.
Die paläopathologische Untersuchung kann das Spektrum der Aussagemöglichkeiten archäo-
logischer Skelettfunde und deren Interpretation immens erweitern. Die Kernfragestellung dieser
Untersuchung war eine möglichst vollständige Dokumentation der an den Skeletten nachweisba-
ren pathologischen Veränderungen und ihrer Ätiologie (s. Kap. 5.3). Die statistische Auswertung
der Häufigkeiten2 unterschiedlicher Krankheitsgruppen (Epidemiologie) ist dabei von entschei-
dender Bedeutung für die daraus resultierende Erfassung des Gesundheitszustands der Population
aus Grabhaus 1/08. Im Kontext der archäologischen Untersuchung ließ sich auf dieser Grundlage
ein realistisches Lebensbild der Zeit erstellen und - bis zu einem gewissen Grad - die Mensch-
Umwelt-Interaktion in der kaiserzeitlich-spätantiken Hafenstadt Ephesos nachvollziehen. Des
Weiteren erfolgte unter Einbeziehung klinischer Studien eine ausführliche Diagnostik mithilfe
moderner lichtmikroskopischer und radiologischer Verfahren. Diese ermöglichten eine bis dato
im Rahmen der Paläopathologie des östlichen Mittelmeerraumes nicht erreichte Präzision der
Zuordnung unterschiedlicher Spuren am Knochen zu tatsächlich möglichen Krankheitsbildern
des Menschen. Der umfassende Vergleich mit ähnlich datierenden Populationen aus dem angren-
zenden ägäischen Raum sowie anderen Fundplätzen des Römischen Reichs bot auch hier eine
ganzheitliche Einbettung im geografisch-zeitlichen Umfeld.
Die morphologische Untersuchung wird durch eine Reihe komplementär vorgenommener,
aktuell noch laufender Isotopen- und DNA-Analysen zu diesem Fundkomplex erweitert3. Im
Zuge dieser Analysen sollen weiterführende Fragen zu Ernährungsgewohnheiten, aber auch
Herkunft und Migration thematisiert werden. Die ersten Ergebnisse bezüglich der genetischen
Zusammensetzung der Population auf Grundlage der mitochondrialen Haplotypen (G. Bjornstad)
sind im vorliegenden Werk bereits enthalten (s. Kap. 6). Es handelt sich um die ersten publizierten
Daten zur genetischen Zusammensetzung einer Population aus dem kaiserzeitlich-spätantiken
Ephesos, und eine der wenigen aus dieser Zeit in Kleinasien überhaupt. Gestützt durch diese
Untersuchung ließen sich erste Einblicke zu Fragen bezüglich der offenbar stark von Migrati-
onsprozessen beeinflussten Bevölkerung der Metropole Ephesos gewinnen.

1 s. Kap. 4 zum archäologischen Befund.
2 Der medizinische Fachbegriff >Prävalenz< ist für die Bezeichnung der Krankheitshäufigkeiten im archäologischem
Befund eher weniger geeignet, da die Prävalenz, wie sie in der Epidemiologie verstanden wird, sich auf eine
vollständige, geschlossene Population zu einem bestimmten Zeitpunkt bezieht; diese Voraussetzungen erfüllt eine
archäologische >Population< eines Gräberfeldes in der Regel nicht. Es handelt sich meistens um einen Ausschnitt
einer Population (oft bedingt lediglich durch die Ränder der ausgegrabenen Fläche und nicht einmal der tatsäch-
lichen Ausdehnung des Gräberfelds), verteilt über die Belegungszeit des Gräberfelds, oder, wie im vorliegenden
Fall, des Grabhauses.
3 Die diesbezüglichen Studien erfolgen im Rahmen von Kooperationsprojekten mit der Simon Fraser University in
Bumaby/Kanada (M. P. Richards und M. Wong) und dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte Jena
(J. Krause).
 
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