Metadaten

Nováček, Jan; Scheelen-Nováček, Kristina; Schultz, Michael; Bjørnstad, Gro; Steskal, Martin; Österreichische Akademie der Wissenschaften / Verlag [Hrsg.]; Österreichisches Archäologisches Institut [Mitarb.]
Das Grabhaus 1/08 in der Hafennekropole von Ephesos: Ergebnisse der anthropologischen und paläopathologischen Untersuchung kaiserzeitlich-spätantiker Kollektivgräber — Forschungen in Ephesos, Band 16,1: Wien: Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.53060#0214
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
213

7 FAZITUNDAUSBLICK
Die Ergebnisse der anthropologischen und paläopathologischen Untersuchung der menschlichen
Überreste aus Grabhaus 1/08 zeigen teils erhebliche Unterschiede zwischen den in den fünf
Gräbern bestatteten Individuen auf.
Wie die vorgenommenen Radiokarbondatierungen am A.E. Lalonde AMS Laboratory in
Ottawa (Kanada) erwies, wurden die nur mit vergleichsweise wenigen Bestattungen belegten
Gräbern 4 und 5 über einen deutlich kürzeren Zeitraum genutzt als die drei größeren Gräber 1,
2 und 3. Die beiden großen Gräber 1 und 3 waren am längsten belegt, nämlich bis in das frühe
5. Jahrhundert, wie sich auch an der großen Zahl bestatteter Individuen zeigt. Die repräsentative
gemischte Belegung mit erwachsenen Frauen und Männern, aber auch sehr vielen Kindern unter
14 Jahren entspricht dem Bild einer kontinuierlichen Nutzung über Jahrzehnte hinweg. Dies gilt
auch für die Knochenüberreste aus Grab 2, bei denen es sich wohl um die Sekundärbestattung
der Skelette aus einem oder mehreren ausgeräumten Gräbern handelt. In allen drei Fällen wäre
zum Beispiel an Kollektivgräber unterschiedlicher Menschengruppen zu denken, wie etwa Teile
einer Familie oder auch eines Haushalts im weiteren Sinne. Diese Vermutung wird auch durch die
sich anhand der paläopathologischen Untersuchung abzeichnende unterschiedliche Krankheits-
belastung und -häufigkeit gestützt, die sich vor allem zwischen den Individuen aus den großen
Gräbern 1 und 3 häufig abzeichnet. Diesbezüglich wäre etwa an verschiedene Berufs- oder Sozi-
algruppen und häufig ausgeübte Tätigkeitsmuster zu denken. Aber auch Unterschiede hinsichtlich
der Körperhygiene und Ernährungsweise sowie genetisch determinierte Prädispositionen liegen
nahe. Zur Klärung dieses Sachverhalts sind für die Zukunft weiterführende genetische Untersu-
chungen auf Ebene der Kern-DNA angestrebt.
Sowohl auf skelettmorphologischer als auch paläogenetischer Basis wurde für Grab 2,3 und 4
ermittelt, dass hier einige Menschen mit einer nicht im europäisch-kleinasiatischen Gebiet anzu-
siedelnden Herkunft bestattet worden waren. Unter anderem legte die paläogenetische Untersu-
chung in mütterlicher Linie afrikanische und asiatische Vorfahren nahe, teilweise möglicherweise
auch mit Wurzeln auf dem indischen Subkontinent, im Zweistromland oder auf der Arabischen
Halbinsel (s. Kap. 6). Diese heterogene Mischung deutet daraufhin, dass in dem Grabhaus nicht
ausschließlich eine einzige genetisch verwandte Familie bestattet worden war, sondern eher
eine Gruppe von Menschen, die beispielsweise einem Haushalt im römischen Sinne texfcimilici
entsprach, zu dem auch Sklaven oder Hausangestellte gehörten (s. Kap. 4). Die Aufteilung der
bestatteten Mitglieder eines Haushalts in unterschiedliche Bereiche eines Grabhauses und auf
unterschiedliche Gräber, je nachdem, welche Position sie innerhalb texfcimilici innehatten, wird
beispielsweise in entsprechenden Inschriften aus Aphrodisias belegt274. Vor allem für Grab 4, in
dem paläogenetisch mehrere Menschen mit nichteuropäischer Herkunft nachgewiesen wurden,
liegt die Vermutung nahe, dass hier auch Sklaven oder Hausangestellte bestattet worden waren.
Es wäre aber auch an Menschen zu denken, die selbst oder deren (mütterliche) Vorfahren im
Zuge von Handelsbeziehungen oder mit dem Militär in die Hafenstadt Ephesos gekommen sind.
Der paläopathologische Befund belegt eine allgemein hohe Krankheitsbelastung der in Grab-
haus 1/08 beigesetzten Menschen. Spuren chronischer Entzündungen im Bereich der Nasenne-
benhöhlen und des Mittelohrs weisen auf eine geschwächte Immunabwehr der Menschen hin und
belegen Mängel hinsichtlich der Wohnsituation in der Großstadt, betreffend die Luftqualität -
exogene Reize wie z. B. Rauch - sowie die Bevölkerungsdichte (Wiederansteckungsgefahr).
Skorbut und Anämie, an denen offenbar vor allem viele der subadulten Individuen litten, könn-
ten mit Mangel- oder Fehlernährung in Zusammenhang gestanden haben. Die häufig beobach-
tete Komorbidität beider Krankheitsbilder weist auf multifaktorielle Ursachen hin. Neben den
erwähnten ernährungsbedingten metabolischen Störungen ist in Ephesos auch an hygienische
Probleme hinsichtlich der Abwasserentsorgung und Nahrungsmittelverarbeitung zu denken, die

274 Vgl. Ögüs 2017.
 
Annotationen