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Die Gartenkunst — 14.1912

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Brandes, Gustav: Ein moderner Terrasengarten
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https://doi.org/10.11588/diglit.20815#0129

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XIV, 8

DIE GARTENKUNST.

121

Gartenanlage J., Apenrade: Ansicht der Besitzung vom Wasser aus. Gartenarchitekten: Schnackenberg & Siebold, Hamburg.

geistes nach dem Anschein einer zufälligen Begegnung
des Gebäudes mit der freien Natur.

In unserer Zeit endlich, die die Menschenmassen
in der engen Umklammerung der Großstädte gefangen
hält, hat die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies
der Natur die luftfrischen Höhen zu vielbegehrten An-
bauplätzen werden lassen. Man denke an die steilen
Ufer des Rheins und der Mosel, des rechten Elbufers
unterhalb Hamburgs, der Höhen von Loschwitz, an die
jäh abfallenden Erdrücken der Ostseeküste oder an
die Hügellandschaften Norddeutschlands im Havelge-
biet, in der Holsteinischen Schweiz und sogar in der
Lüneburger Heide. Überall erheben sich auf sanft-
gerundeten grünen Kuppen und auf vorspringenden
Bastionen schmucke Landhäuser, und die zahlreichen
Terraingesellschaften sorgen schon dafür, daß es nicht
bei vereinzelten Ansiedlungen bleibt.

Der heutige Gartenarchitekt wird damit verhältnis-
mäßig oft vor die Aufgabe gestellt, ein mehr oder
weniger stark ansteigendes Gelände durch eine zweck-
entsprechende und künstlerisch befriedigende Gestaltung
für die weitere Gartenausführung herzurichten. Die
konsequenteste Lösung dieser Aufgabe ist die voll-
ständige Auflösung des Terrains in ein System von
Terrassen. Diese Behandlung gewährleistet vor allen
Dingen eine innige Verbindung von Haus und Garten.
Ist es doch schon ungemein wichtig, die aus der
Wohnung übernommene Gewöhnung an eine Fortbe-
wegung auf horizontaler Ebene und an die Überwindung
der Niveauunterschiede durch Treppenstufen mit in
die Gartenumgebung hinauszunehmen. Man bekommt
ohne weiteres ein Gefühl der Zusammengehörigkeit
beider Teile; aus der angenehmen Benutzbarkeit er-
wächst die Grundlage für den wohnlichen Charakter
der Anlage. Aus dem über die Mauern des Hauses
hinaus fortwirkenden Gegenspiel der horizontalen und
vertikalen Mächte aber schöpft die Idee der Einheit
des Gartens mit der zugehörigen Architektur ihre
entscheidenden Gestaltungsmittel.

Bekanntlich nutzten die am weitesten entwickelten
Renaissanceschöpfungen dieser Art (Villa d’Este), so-
wie die Beispiele aus dem 17. und 18. Jahrhundert

(Sanssouci) die Situation zur Durchführung einer
mächtigen Terrassenkomposition von genauer sym-
metrischer Gliederung und strenger axialer Beziehung
auf die Gebäudefront aus. Daneben beschränkte man
sich freilich in zahlreichen Fällen", zumal in den nor-
dischen Ländern, auf eine möglichst vorteilhafte Aus-
nutzung der gegebenen Bodenverhältnisse, unter Ver-
zicht auf den bis ins letzte durchgedrückten einheitlichen
Rhythmus einer fortschreitenden symmetrischen Be-
wegung. Die straffe Einbeziehung des Hauses in das
Gesamtkunstwerk eines Terrassensystems ist hier aber
fast nie zu finden. Im Norden war eben immer eine
mehr zur malerischen Gestaltung hinneigende Tendenz
lebendig, als im Süden, wo ein ungleich größerer
Sinn für die ehernen Gesetze der Architektur vor-
handen ist.

Viel seltener noch, als in jenen vergangenen
Zeiten einer großen Gartenkunst, wird ein derartig
streng durchgeführtes Schema der Geländegliederung
eines Abhangs in der Gegenwart angebracht sein.
Ganz abgesehen davon, daß die Herstellung umfang-
reicher architektonischer Substruktionen in Form von
Stützmauern und Treppen, sowie eine durchgreifende
Erdbewegung ungemein kostspielig ist, gestattet auch das
verfügbare Grundstück meistens nicht eine beliebige
Entwickelung der Gartenanlage. Zweifellos wurde in den
Perioden der klassischen Gartenarchitektur eine Örtlich-
keit oft schon mit Rücksicht auf die Ausführungsmög-
lichkeit einer vorhandenen Idee gewählt, während heute
die Aufgabe im allgemeinen so gestellt wird, daß aus
den gegebenen Bedingungen die Anregungen für die
Gestaltung zu schöpfen sind. Dazu kommt, daß das
moderne bürgerliche Landhaus gebieterisch eine Orien-
tierung der Hauptwohnräume nach den in hygienischer
Hinsicht vorteilhaftesten Himmelsgegenden verlangt.
Diese Forderung wird ohnehin schon oft in Rücksicht
auf die Ausnutzung der schönsten Aussichten zu
mancherlei Kompromissen geneigt sein. Es müssen
also schon ganz besonders günstige Umstände obwalten,
wenn eine einheitliche, durch mächtige Achsen sym-
metrisch aufgeteilte Terrassierung im Sinne der ent-
wickelten Anlagen der Renaissance und des Barocks
 
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