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Die Gartenkunst — 14.1912

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Arntz, Wilhelm: Gartenkunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20815#0305

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298

DIE GARTENKUNST.

XIV, 19

daß in ihm das Leben erst zu voller Göttlichkeit: zum
Bewußtsein und Beherrschen seiner selber, kommt.
Seine Göttervorzugsgabe, die Vernunft, entfaltet wach-
send ungeahnte Wirkungskraft, seine Irrungen und
Schwächen zu verkämpfen und seine Lebenskraft zu
gesunden und zu steigern und verfeinern und vertiefen.

Er braucht sein Schaffen nicht mehr zu verachten.
Noch liebt er die Natur, vielleicht wahrhaftiger als je,
aber versteht sie mehr; hat ihren tiefen Sinn erkannt,
mit dem sie ihren Kindern Leben gibt: „Sei du, sei
du!“ Nicht muttersehnsuchtsvoll nach rückwärts
flüchten, sondern der Mutter würdig uns nach vorwärts
kämpfen, unsere Bahn zum frostumklirrten, unwegsamen,
himmelfernen Ziel der vollen Menschlichkeit. Dann
wird mit wachsender Feinfühligkeit und Gestaltungs-
kraft auch das uns glücken, daß unsere Werke nicht
durch Schein, sondern wahrhaftig mit der Natur in
Schönheit sich zusammenfügen, kraftvoll und aufrecht,
zu einer höheren, weltumspannenden Einheit von Natur,
weil ihr wahrhaft Blut und Leben eines und dasselbe ist.

Ein lebenzeugender, goldener Niederschlag aus
der allmächtigen Glut ohnmächtigen Naturverlangens
ist geblieben. Das ist jener schon relativ stark differen-
zierte Gedanke, der in der „Gartenbewegung,, (im
weitesten Sinne) sich zur Tat umzusetzen strebt. Die
rückschauende Sehnsucht hat sich gewandelt in zukunft-
freudige, schaffende Liebe. Ihre Aufgaben und Möglich-
keiten sind noch nicht abzusehen. Es gilt eine der
Grundlagen für eine gesunde Kultur, eine harmonische
Höherentwickelung zu schaffen, und die heißt: In Gärten
geruhsames, freudenreiches, innerliches Leben finden,
die Kinder gesund und im Reichtum edler Eindrücke
sich herantummeln lassen, für die aber, denen ein
eigener Garten vorenthalten bleibt, die Häusermeere
wenigstens mit Gartenluft und Gartenfrieden und Garten-
schönheit zu durchdringen.

Damit ergibt sich eine Fülle der verschiedensten
Aufgaben, und jede hat ihre eigenen Bedingungen,
Grenzen und Begabungen. Es harren da nicht nur
die Gärten der Einzelnen, von der Unzahl winziger
Arbeitergärtlein und dem bescheidenen Einfamilienhaus-
garten bis zum behäbigen Landhausgarten und dem
idealen, ausgedehnten Garten der seltenen Reichen,
auf eine glückliche, tüchtige Gestaltung. Auch die
monumentale Gartenkunst, wie sie die alten Fürsten-
und Adelssitze pflegten, ist nicht am Ende, sie geht
über auf Unternehmungen der Selbstorganisationen und
der Allgemeinheit. Eine unabsehbare Entwickelung vor
sich hat da neben Volkspark und Friedhöfen der Bau-
block in den Großstädten. Es mehren sich die Ver-
suche der Bewältigung des großen Problems, ihn zu
einer organischen, praktischen, erfreulichen Einheit zu
verarbeiten, die plötzlich eine unendlich wertvollere
Ausnützung ermöglicht. Aus einer Vielzahl enger,
dumpfer, dunkler Höfe wird ein großer, luftiger, wür-
ziger, sonniger, freudiger Innengarten, der im Verein
mit der Ausbildung des Gebäuderinges in einer künf-
tigen Gestalt und Ausstattung vielleicht sogar dazu

führen wird, den vielen da zusammen wohnenden Familien
einen gewissen Zusammenschluß durch gemeinsame
Pflichten, Interessen und Freuden zu geben, sie im
großen Meer der Namenlosen wieder zu einer Art Ge-
meinde zusammenzuschließen. So könnte ein zäher,
zielbewußter Wille durch die bloße Gestaltungskraft
aus monströsen Wucherungen wertvolle, fundamentale
Organe machen. Und die Großstädte könnten aus sich
selbst heraus gesunden, nicht unter dem Banne roher
Naturflucht, sondern des unerschütterlichen Willens
zum Menschentum. Zögernd, halb widerwillig und
kurzsichtig knausernd, haben sie einen solchen Weg
doch schon einschlagen müssen in der Anlage großer
Volksparke, Baumpflanzungen und kleineren Anlagen
und in der Waldgürtelerhaltung. Schon lernen sie so-
gar, diese Dinge in den Gesamtorganismus einzuarbeiten
in zwar immer noch rohen, aber doch entwickelungs-
fähigen Systemen. Diese städtebauliche Disposition
solcher Dinge ist die umfassendste unter den prak-
tischen Forderungen, bis man sich einst zu einem
noch Größeren verstehen wird: Der weitschauenden
Organisierung des ganzen Landes.

In solchem Aufschwung mußte das uralte Form-
problem des Gartens neue Gestalt gewinnen. Laien
und die meisten Künstler sind sich immer noch nicht
klar geworden, daß der Garten von seinem Urkeime
an einen Zwiespalt in sich trägt, jenen Zwiespalt, der
sich schon früh zu dem Gegensatz zwischen archi-
tektonischer, bauender und malerischer, darstellender
Form entwickelt hat. Erbitterte Kämpfe sind darüber
entbrannt. Beide Richtungen beanspruchen absolute
Geltung, Alleinrichtigkeit. Mit dem Augenblicke aber,
da man erkannt haben wird, wie beider Wurzeln gleich
tief reichen und wie beide ihre Kunstwerte besitzen,
wird man die endgültige Lösung des Konfliktes finden.

Auf der einen Seite kann man charakterisieren:
Empfindung der malerischen Schönheit der lebenden
Pflanze, des Charakterträgers im Garten, und ihres
Auftretens — Zurückhaltung des Menschen, Herrschen
der Pflanze — die Kunst eine rein darstellende. Auf
der anderen Seite aber: Zwecknotwendigkeit — Schön-
heit der menschlichen Formgestaltung — Stärke des
Gestaltungsdranges — bloßer Materialwert der Pflanze —
die Kunst eine rein bauende. Denn das sind ja die
beiden großen Stämme der Kunst, die sich mit dem
Fortschreiten der Entwickelung stets schärfer unter-
scheiden: Darstellung, d. i. die reinste, freieste
Kunst und Herstellung (Bauen), die vom Zweck
geborene und geprägte Kunst.

Der Garten als Gegenstand praktischer Zwecke,
auch wenn sie nicht auf der tiefen Stufe des bloßen
Nahrungslieferns stehen, gehört ganz entschieden
dem letzteren Stamme, dem Bauen bzw. Gebaut-
werden, an. Aber als Gegenstand rein genießender
Betrachtung gehört er ebenso unleugbar dem ersteren,
der Darstellung, an. Die einen der Gegner behaupten
nun, daß der malerische, der ,,Natur“garten die ent-
wickelungsgeschichtliche, vollständige Ablösung des
 
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