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Die Gartenkunst — 14.1912

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Arntz, Wilhelm: Gartenkunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20815#0306

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XIV,19

DIE GARTENKUNST.

299

architektonischen sei. Doch sollten, ganz abgesehen
von tieferen Gründen, die unerträglichen Kompromisse
und Halbheiten, Unreinheiten, zu denen sie in einiger-
maßen ausgeprägten Zweckanlagen führt, allein schon
einen vernünftigen Menschen darauf aufmerksam
machen, daß da etwas nicht in Ordnung sei. Die
Gegenseite wiederum geht in der Verallgemeinerung
des architektonischen Prinzips blindlings darüber hin-
weg, daß es doch recht viele Fälle gibt, wo der ein-
zige bestimmende Zweck des Gartens der ist, den in
ihm oder außer ihm Lustwandelnden einfach ein er-
quickendes, malerisches Bild zu bieten, ganz abgesehen
von dem Fall, wo solche Anlagen tatsächlich in die
Zone der reinsten Kunst getragen wurden dadurch, daß
sie überhaupt nur dem Drange, eine innere Vorstellung
zu verkörpern, ihre Entstehung verdanken. Der Vor-
wurf, daß die malerischen, z. B. die sogenannten eng-
lischen Anlagen deshalb kein Gegenstand von Kunst
sein könnten, weil sie ja nicht in einem anderen Mate-
riale als das Vorbild geschaffen würden, oder weil
ihre Wirkung bloß in der „Natur“ läge, ist bei näherem
Zusehen nicht haltbar. Freilich tritt hier die Tätigkeit
des Schöpfers sehr zurück, und doch beruht die End-
wirkung vielleicht ausschließlich auf seiner Phantasie,
Gestaltungs- und Ausdruckskraft. Im übrigen sollte
schon das zu denken geben: Bei einiger Freiheit von
Vorurteil findet man in guten landschaftlichen An-
lagen, die freilich selten sind, sehr viel Schönheit, und
nicht nur die, sondern auch Ausdruck, und zwar Aus-
druck einer menschlichen Phantasie.

So wird man schließlich in unserem Zeitalter die
Lösung des Streites finden, nicht indem es gelingt,
die eine oder andere Richtung auszuschalten, sondern
indem man mit klarem Auge und feinem Empfinden
in jedem Fall erkennt, ob Darstellen oder Bauen das
Geforderte sei. Da kann kein Zweifel sein, daß in
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die bauende
Gartenkunst ins Recht tritt.

Damit kommen wir wieder in die Lage, Schönheit
und praktischen Wert zu vereinen, vielmehr ihre voll-
ständige Einheit zu fordern. Es wird dann doch lang-
sam allgemeine Selbstverständlichkeit werden, daß man
dem praktisch tüchtigen Werke nicht erst hintennach
das „künstlerische" Mäntelchen überhängt, sondern
daß Zweckmäßigkeit und Schönheit von allem Anfang
an einander bedingend vereint sein müssen. Schon
die schlichte Zweckmäßigkeit mit der nackten Nutz-
form hat Wunder gewirkt. Mit ihrer ehernen Wahr-
haftigkeit zermalmt sie allen lügenhaften Oberflächen-
wust, gleißenden Schein und kindische Spielromantik,
und hat noch nicht einmal genug zermalmt. Gleich-
wohl : sie allein genügt nicht, ebensowenig wie der
Verstand zum Leben. Wie der bloß Mittel, nicht aber
Wert und Ausdruck des Lebens ist, so muß auch hier
das innere Wesen, gleich dem Gefühl, die nüchterne
Zweckform durchdringen, beleben — beseelen. Die
f°te, starre Form wird zum vollen Ausdruck. Viel-
leicht ist gerade das sogar die besondere Stärke unserer

Epoche und wird zuletzt die ersehnte eigene Formen-
sprache liefern. Und doch ist es nur eben eine Stufe.
Damit wir ganze Freude an den Dingen haben, müssen
sie Grundforderungen erfüllen, die man vielleicht als,
wenn auch relativ, unveränderliche bezeichnen kann,
die bei der Raumkunst im Raum und bei der Zeit-
kunst im Geschehen Ursache und Gegenstand haben.
Ein Komplex von Eigenschaften, die zwar immermehr
aus dem instinktmäßigen Ahnen zur Kontrollierbarkeit
durch den Intellekt gelangen, aber gleichwohl aus-
schließlich im Empfinden wurzeln. Sie zielen darauf
ab, die Erscheinung für den Vorgang der Wahrnehmung
möglichst angenehm, rein und unmittelbar zu machen.
Das heißt, die Dinge müssen, im engeren Sinne, schön
sein. Und das ist ebenso nötig für die Wirkung des
Inhalts, wie die Gesundheit des Leibes mit den Sinnen
für die der Seele.

Für beide Formen der Gartengestaltung hat das
Geltung. Eine neue Aufwärtsentwickelung ist nur dann
möglich, wenn es zur Selbstverständlichkeit geworden
sein wird, daß das Rückgrat jedes Kunstwerkes seine
räumliche Erscheinung ist, daß wahrer Stoff und Gegen-
stand zugleich der Raum ist, ganz gleichgültig, ob auf
der Fläche dargestellt oder im tatsächlichen Raum ge-
staltet, und daß erst durch ihn die jeweilige geistige
Vorstellung zu reinem und unmittelbarem Ausdruck
gebracht werden kann.

Man klebt aber im Verständnis dessen immer noch
zu sehr an der Auffassung im Sinne des umschlossenen
Raumes, der doch nur ein, allerdings überwiegender,
besonderer Fall von Raum an sich ist. Vor allem
aber beschränkt man das Streben nach Erkennen und
Vertiefen der Raumprobleme in der Gartenkunst völlig
mißverständlicher Weise einzig auf die architektonische
Form, während es doch für die darstellende Form
genau ebenso notwendig ist, wenn man sie aus
dem Tiefland des Dilettantenhaften endlich zur Höhe
heben will.

Die „Natur“darstellung wird sich — das folgt aus
dem früher Gesagten — vor allem auf große Park-
anlagen erstrecken, die ausschließlich als Gebiete er-
quickenden Lustwandeins und Ruhensf ür die Bevölke-
rung angelegt werden, dann auch auf kleinere Gärten und
Ansammlungen solcher, da wo die Rücksicht auf eine
vorhandene Landschaft dies fordert und das Zurück-
treten der praktischen Gesichtspunkte es erlaubt. Sie
wird aber auch eine Bereicherung ihrer Anwendung
erfahren, indem man in größere, den Gesetzen mensch-
licher Formgebung unterstehende Anlagen einzelne
oder zusammenhängende Bildausschnitte aus der durch
Pflanzen charakterisierten Landschaft einbaut; etwa
ähnlich wie man die strengen Flächen eines Innen-
raumes mit Freskomalereien oder Tafelbildern schmückt.
Das wird sogar die idealste Möglichkeit für die dar-
stellende Gartenkunst sein, und hier erst wird sich
das Künstlerische des Darstellens frei entfalten können.
Der Umfang und sogar der Maßstab des Bildes ist der
Grenzen nach unten ledig, es lassen sich aus dem
 
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