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Die Gartenkunst — 14.1912

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Arntz, Wilhelm: Gartenkunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20815#0321

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314

DIE GARTENKUNST.

XIV, 20

Es gibt solche, die auch vor und nach der Blüte wert-
voll sind, und andere, die nur in der Blüte ihren Ver-
wendungszweck haben. Aber das sagt nicht genug.
Denken wir nur daran, wie die Luft zu den verschie-
denen Jahreszeiten verschiedene „Gestalt“ und Farbe
hat und wie in der Frühjahrsluft ganz andere Töne
der Blütenfarbe schlummern als in der des Sommers
und der des Herbstes. Wir haben aber heute eine
solche Fälle unsäglich feiner, dabei stets für die Art
charakteristischer Färb- und Formvariationen unserer
Hunderte von Freilandblumenarten, daß sie wohl die
vatikanische Mosaikfarbenskala mit ihren Vieltausenden
von Nuancen an Zahl wie an Zartheit oder Kraft und
Lebendigkeit weit, weit hinter sich läßt. Denken wir
auch daran, wie jeder Garten seinen Eigencharakter
auch in der Farbe hat und wie dieser seine ganz be-
stimmten Forderungen für die Blumenfarben hat und
sie für die einzelnen seiner Teile, seiner Glieder noch
dringender ausspricht. Und denken wir schließlich an
den Charakter des Klimas. Nicht nur aus praktischen,
nein, auch aus rein schönheitlichen Gründen wird man
in München etwa, mit seiner klaren, scharfen Höhen-
luft, einen ganz anderen Gartenton nicht nur durch den
Zufall hervorbringen lassen, sondern selber stark aus-
prägen, als in Frankfurt oder Cöln, und da wieder
einen anderen als in Berlin, und dort einen anderen
als in Hamburg oder Bremen, und diesen wieder anders
als in Dresden. Hierbei kommt freilich nicht nur die
Farbe, auch der Gehölze und der Architektur, in Be-
tracht, sondern die große Form wird verschieden, so-
wohl durch die klimatischen wie durch gesellschaftliche
und Gewohnheitsbedingungen. Hier wird jenes, dort
ein anderes Glied mit besonderer Neigung und in be-
sonderer Form ausgebildet. — Und alles bestimmt
einander auch gegenseitig und muß von allem Anfang
an aus einer einheitlichen Vorstellung hervorgehen, in
der auch blauer Himmel und Sonnenschein und grauer
Nebel leise einspielen, da sie in der Verwirklichung
eine ebenso große Rolle spielen wie die ganze engere
und weitere Umgebung.

Das Problem der Einfügung in die Umgebung ist
eines der allerdringendsten geworden. Noch ist die
kurzsichtige Roheit des „Ich pfeife auf den Nachbar“
nicht überwunden. Vor nicht allzulanger Zeit hatte ich
ein Gespräch mit einem „gebildeten“ Manne über einen
neuen Friedhof, dessen große Kosten er verdammte.
Dabei sagte er: „Mein Grab mag mich eine ganze
Million kosten, aber für den Friedhof als Ganzes gebe
ich keinen Pfennig.“ Der Tor sah nicht ein, daß ein
bescheidenes Grab in einem schönen, würdigen Fried-
hof stärkeren Eindruck macht als sein Millionengrab
in einem erbärmlichen Konglomerat solcher Millionen-
gräber. Die Anschauungsweise ist im Landhausbau
langsam im Schwinden, aber man zieht noch nicht
genug die weiteren Konsequenzen, am wenigsten im
Garten. DerGarten jedoch ist eines der wirksamsten Mittel,
um in die Gesamtsiedelung Einheitlichkeit, Struktur,
Ausdruck zu bringen und sie in die Landschaft orga-

nisch einzufügen. Die größten sachlichen Schwierig-
keiten entstehen aus der unabsehbaren Anhäufung
kleinster Einfamilienhäuser. Da ist ein Hindernis, vor
dem die ganze Hausbauarchitektur noch hilflos dasteht.
Denn statt eines ruhevollen, in sich starken, befreienden
Eindrucks gegenüber der Miethauswüste hat man nur
ein niederschmetterndes Gefühl der Kleinlichkeit. Was
könnte man aber hier durch großzügige Planung der
Gärtchen, bei aller Individualität im einzelnen, durch
einen einheitlichen Charakter erreichen! Es ist doch
eine so naheliegende Wahrheit: Je stärker die große
Form — um so mehr Freiheit im einzelnen.

Neben dem Willen zu unbedingter Erfüllung der
realen, praktischen Aufgaben ist das Streben nach
organischer Einheit unentbehrlich. In der Organisation
großer Einheiten auch in Hinsicht auf Ausdruck und
schöne Erscheinung muß sich die gesunde Gestaltungs-
kraft des Menschen erweisen. Nicht nur Einheit von
Haus und Garten, sondern auch Einheit von Haus und
Garten mit der Umgebung, sei sie Natur, sei sie von
Menschen geschaffen. Aber beileibe nicht auf dem
Weg, den Pudor predigt, der einen Rückfall ins Hilflos-
Kindische bedeuten würde, durch Schaffung von „natür-
lichen“ Übergängen und Durchdringungen, Bächlein
und Teichen und Angern! Wir brauchen nicht die
Zufallsformen, wir dürfen sie nicht gebrauchen! Der
Natur, dem Weltorganismus widerstrebt es, wenn wir
unser zweckbewußtes, planvolles Schaffen in die Lüge
des zufälligen Gewordenseins kleiden. Da gehört doch
höheres, da gehört wirkliches Können dazu, unsere
Menschenwerke, also auch den Garten, als solche ehr-
lich und stolz zu Schönheit und Harmonie zu schaffen,
den erforderlichen Formausdruck zu finden, die Raum-
werte und Forderungen abzuwägen, das ruhevolle Sich-
verbinden des Charakters herzustellen und dabei stets
wir selbst zu bleiben. Das allein ist der Weg zum Or-
ganischen, der Weg, den uns die Natur von Ewigkeit
vorangeschritten ist. Die uns heute unentbehrliche
malerische Milde bringen, ebenso wie in der Natur,
ganz von selbst die gegebenen Bedingungen und von
außen einwirkenden Faktoren. Wohl ist das möglich,
daß man Gärten und Siedelungen anlegt unter rein
malerischen Gesichtspunkten, unbeschadet ihrer Zweck-
mäßigkeit und inneren Wahrheit. Man hat dann eben
von vornherein eine malerische Enderscheinung im
Auge, die nichts darstellen, nichts scheinen will, son-
dern eben ausschließlich auf die malerische Raumver-
teilung sich gründet. Das ist wohl denkbar. Aber es
ist gefährlich und nur für gesunde und hochbegabte
Sinne möglich. Sowie auch nur leise die Tendenz
hervortritt, den Anschein zu erwecken, „als ob“ das
so geworden sei von Natur, ist die Lüge da, und statt
Schönheit fühlt man sentimentale Erbärmlichkeit. Und
auf der andern Seite können Stümper eine grenzen-
lose Barbarei mit dem Malerischen anrichten. Wie
unübertrefflich innig und vornehm selbstbewußt zugleich
fügen sich die streng architektonischen italienischen
Renaissancevillen in ihre Berg- und Hügellandschaften,
 
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