von der Wissenschaft noch zurückgestellte Stilepoche zu einem eindeutigen Resultat führen.
Manche Forscher stehen auf dem Standpunkt, daß ein Werk nur dann einem Künstler abge-
sprochen werden sollte, wenn man es gleichzeitig einem anderen zuweisen kann. Ich teile
diesen Standpunkt nicht. Gerade die hier obdachlos gewordene Zeichnung ist nunmehr imstande,
wiederum das Interesse zu wecken, das schließlich zu ihrer Fixierung führen wird.
II
Über die figuralen Zeichnungen Tizians herrscht Unstimmigkeit: von Hadeln veröffentlichte
1924 in seinem Buch „Zeichnungen des Tizian" 36 Blätter, die er für echt hielt, L. Fröhlich-
Bum stellte 1928 (Kunsthistorisches Jahrbuch, N. F. II.) eine andere Liste von 45 Blättern
zusammen, in die 13 Blätter aus Hadelns Buch nicht aufgenommen wurden.1 Kurz vor das
Erscheinen von Hadelns Buch fällt die Neuerwerbung der Albertina, die ,,zwei Kirchenväter"
(Abb. 5), die A. Stix, in ,,Albertina" N. F. II. (Wien 1925) unter Hinweis auf die Studie zum
hl. Bernhard auf dem Votivbild des Dogen Gritti (Uffizien, Hadeln Nr. 23) und auf eine Zeich-
nung der Sammlung Königs (Hadeln Nr. 32) als ein Werk Tizians veröffentlichte. Im Katalog
der Albertina (von 1926) wurde das Blatt als Nr. 41 als Tizianzeichnung ohne nähere Datierung
in die Liste der Fröhlich-Bum (1928) mit dem Zusatz: nach 1560 aufgenommen. 0. Fische}
hat in seiner Besprechung der Stixschen Veröffentlichung (Repertorium) die Zuschreibung ab-
gelehnt, ohne einen andern Namen zu nennen; von Hadeln bei derselben Gelegenheit (Zeit-
schrift für bildende Kunst 1927,1. Heft) das Blatt einem „zweitrangigen Meister, etwa Damiano
Mazza" zugeschrieben. Venturis 1934 erschienener Band 9/VII der Storia D'Arte ermöglicht
es, die richtige Bestimmung einzusetzen: das Blatt ist nicht von Tizian, sondern die unmittel-
bare Vorzeichnung Palma Giovanes zu den Hl. Augustinus und Ambrosius von 1600 im Ateneo
Veneto in Venedig (Abb. 6). Dieses, die ehemalige Scuola di San Girolamo, im Pfarrsprengel
von Santa Maria Zobenigo, ist ein Bau des Alessandro Vittoria. Die Malereien, die Palma in
dreizehn Feldern der Decke ausführte, illustrieren ein durchdachtes Programm: In den drei
mittleren wird dargestellt, was die Seelen im Fegefeuer durch die für ihr Heil gelesenen Messen,
durch päpstliche Ablässe und durch milde Gaben der Gläubigen gewinnen. In den vier Längs-
feldern, die die Mittelfelder trennen, sind die befreiten Seelen, in den übrigen sechs Feldern je
zwei Figuren von Kirchenvätern und anderen dargestellt, die über das Purgatorio geschrieben
haben (Moschini, Guida per la Cittä di Venezia, 1815, I, p. 627).
Bei der großmaschigen Vorstellung, die wir von der venezianischen Kunst der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts besitzen, ist jede unerschütterliche Fixierung von Wichtigkeit. Der Spät-
stil Tizians ist ein so eindringlicher Anschlag, daß wir ihn gerne leicht ein halbes Jahrhundert
nachklingen lassen, bis in eine Zeit hinein, da schon jüngere Generationen Tizians frühere Phasen
in Renaissancen wiederauferstehen ließen.
1 Während der Drucklegung dieser im Frühling 1935 abgeschlossenen Arbeit erschien im Jahrbuch der kunst-
historischen Sammlungen in Wien, N. F. X, unser Aufsatz über die Zeichnungen Tizians, wo der Versuch
gemacht ist, auf neuer Grundlage eine Liste der beglaubigten Zeichnungen aufzubauen. Grundsätzliche Er-
gänzungen hiezu enthält ein im Erscheinen begriffener Aufsatz über venezianische Zeichnungen in der Critica
d'Arte (1937).
90
Manche Forscher stehen auf dem Standpunkt, daß ein Werk nur dann einem Künstler abge-
sprochen werden sollte, wenn man es gleichzeitig einem anderen zuweisen kann. Ich teile
diesen Standpunkt nicht. Gerade die hier obdachlos gewordene Zeichnung ist nunmehr imstande,
wiederum das Interesse zu wecken, das schließlich zu ihrer Fixierung führen wird.
II
Über die figuralen Zeichnungen Tizians herrscht Unstimmigkeit: von Hadeln veröffentlichte
1924 in seinem Buch „Zeichnungen des Tizian" 36 Blätter, die er für echt hielt, L. Fröhlich-
Bum stellte 1928 (Kunsthistorisches Jahrbuch, N. F. II.) eine andere Liste von 45 Blättern
zusammen, in die 13 Blätter aus Hadelns Buch nicht aufgenommen wurden.1 Kurz vor das
Erscheinen von Hadelns Buch fällt die Neuerwerbung der Albertina, die ,,zwei Kirchenväter"
(Abb. 5), die A. Stix, in ,,Albertina" N. F. II. (Wien 1925) unter Hinweis auf die Studie zum
hl. Bernhard auf dem Votivbild des Dogen Gritti (Uffizien, Hadeln Nr. 23) und auf eine Zeich-
nung der Sammlung Königs (Hadeln Nr. 32) als ein Werk Tizians veröffentlichte. Im Katalog
der Albertina (von 1926) wurde das Blatt als Nr. 41 als Tizianzeichnung ohne nähere Datierung
in die Liste der Fröhlich-Bum (1928) mit dem Zusatz: nach 1560 aufgenommen. 0. Fische}
hat in seiner Besprechung der Stixschen Veröffentlichung (Repertorium) die Zuschreibung ab-
gelehnt, ohne einen andern Namen zu nennen; von Hadeln bei derselben Gelegenheit (Zeit-
schrift für bildende Kunst 1927,1. Heft) das Blatt einem „zweitrangigen Meister, etwa Damiano
Mazza" zugeschrieben. Venturis 1934 erschienener Band 9/VII der Storia D'Arte ermöglicht
es, die richtige Bestimmung einzusetzen: das Blatt ist nicht von Tizian, sondern die unmittel-
bare Vorzeichnung Palma Giovanes zu den Hl. Augustinus und Ambrosius von 1600 im Ateneo
Veneto in Venedig (Abb. 6). Dieses, die ehemalige Scuola di San Girolamo, im Pfarrsprengel
von Santa Maria Zobenigo, ist ein Bau des Alessandro Vittoria. Die Malereien, die Palma in
dreizehn Feldern der Decke ausführte, illustrieren ein durchdachtes Programm: In den drei
mittleren wird dargestellt, was die Seelen im Fegefeuer durch die für ihr Heil gelesenen Messen,
durch päpstliche Ablässe und durch milde Gaben der Gläubigen gewinnen. In den vier Längs-
feldern, die die Mittelfelder trennen, sind die befreiten Seelen, in den übrigen sechs Feldern je
zwei Figuren von Kirchenvätern und anderen dargestellt, die über das Purgatorio geschrieben
haben (Moschini, Guida per la Cittä di Venezia, 1815, I, p. 627).
Bei der großmaschigen Vorstellung, die wir von der venezianischen Kunst der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts besitzen, ist jede unerschütterliche Fixierung von Wichtigkeit. Der Spät-
stil Tizians ist ein so eindringlicher Anschlag, daß wir ihn gerne leicht ein halbes Jahrhundert
nachklingen lassen, bis in eine Zeit hinein, da schon jüngere Generationen Tizians frühere Phasen
in Renaissancen wiederauferstehen ließen.
1 Während der Drucklegung dieser im Frühling 1935 abgeschlossenen Arbeit erschien im Jahrbuch der kunst-
historischen Sammlungen in Wien, N. F. X, unser Aufsatz über die Zeichnungen Tizians, wo der Versuch
gemacht ist, auf neuer Grundlage eine Liste der beglaubigten Zeichnungen aufzubauen. Grundsätzliche Er-
gänzungen hiezu enthält ein im Erscheinen begriffener Aufsatz über venezianische Zeichnungen in der Critica
d'Arte (1937).
90