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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0169
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Franken

leben ist erheblich, sofern der lebhafte Drang nach erzählender Perspektive — wenn sie
naturgemäß auch noch in der Konstruktion verfehlt ist —, das Suchen nach Neuem, für
die Bildwirkerei ein Gewinn ist. War es dem Patronenzeichner noch möglich, die Figuren-
gruppe mit der vielfach gegliederten Stadtarchitektur in glaubhafte Verbindung zu bringen,
so liegt in dem zweiten Bilde, der Fahrt der Heiligen und ihrer Ordensschwestern übers
Meer — „virginibus • sacris ■ trasiens • mare ■ sibi ■ iunctis" —, das Schiff wie eine Schau-
kel auf seltsam geformtem Wellengewoge, das eher einem Schnitt durch blaugeäderten Achat
als einer bewegten Wasserfläche gleicht. Vorzüglich in der Bewegung sind die Figuren des
Steuermanns und des Schiffers, die in Tracht und Ausdruck eine ausgesprochene Abhängig-
keit von der flämischen Tafelmalerei erkennen lassen, die möglicherweise nach einer
Brüsseler oder Tournaiser illuminierten Handschrift kopiert sind. Umso steifer mutet die
Frauengruppe, als drittes und letztes Bild des oberen Streifens, an. Die Jungfrauen werden
von St. Bonifazius in Mainz empfangen: „Maguncie • bonifacium ■ pervenit ■ sanctum". Die
Szene spielt in einer Kirche oder Kapelle vor diagonal gestelltem Altar. Das Wappen des
Erzbistums Mainz — ein silbernes Rad in Rot —, das zweimal erscheint, läßt über den Ort
der Handlung keinen Zweifel. Die vierte Episode (untere Reihe rechts) spielt in einem
durch drei Bogen (in magerer Holzkonstruktion) geöffneten Gemach; charakteristischer-
weise ist der Graswuchs in das holzgetäfelte Zimmer einbezogen, In dem mittleren Bogen
steht als Einzelfigur die Heilige, in den beiden Seitennischen nehmen ihre Frauen Auf-
stellung. Auf die Gestalt der St. Walpurga mündet ein graubrauner, schwerer, mehrfach
geteilter Balken, das göttliche Licht, das der Heiligen in Heidenheim erscheint: „In • hey-
dehey • virgini ■ kux ■ celito ■ splenduit ■ illi". Über dem Gemach tauchen unregelmäßige
Häuser und Dachkonstruktionen auf, ein turmartiger Bau trägt aufgenäht das Wappen
Englands. Im fünften Bilde vollzieht sich die wundersame Heilung der Tochter des Burg-
herrn. Die Heilige schreitet, der Legende gemäß, über die Zugbrücke, ohne daß ihr die
Hunde — im Teppich ein fadendünner Köter — etwas zuleide tun. Das Gemach, in dem
sich das Mirakel vollzieht, ist in der üblichen Weise nach dem Beschauer zu geöffnet. An
dem Bette des kranken Mädchens stehen die Eltern; St. Walpurga faßt die Hand des Kindes.
Das Wasser des Wallgrabens wird in der seltsamen opalisierenden Manier der zweiten
Episode, der Meerfahrt, wiedergegeben. Die Legende kündet: „hec ■ sanat ■ virginem • In ■
castro • grando ■ laguent". Die Schlußszene zeigt die Grabstätte der Heiligen in Eichstätt.
Unter dem Leichnam öffnet sich ein Schrein; von der Decke sickert das heilige Öl in eine
breite Schüssel. Zu beiden Seiten sind kielbogenförmige Türen angeordnet, von denen die
zur Rechten in die Kapelle führt. Der Stifter, Bischof Johannes von Eych, kniet im blühen-
den Bunt der Wiese, die bis dicht an das Grab herangezogen ist, neben seinem Wappen-
schild mit dem Spruchband: „ora • pro ■ nobis ■ s • walpurga". Die Legende glossiert: „Ex
• eius • tumba ■ manat • sacri • pectoris • unda"48). Bei aller Verwandtschaft mit den Fol-
gen des Katharinenlebens finden sich doch Verschiedenheiten, die sich nicht ohne weiteres
aus der späteren Zeit der Entstehung erklären lassen. Zunächst weichen die Farben nicht
unerheblich ab. Nach wie vor sind Rot, Blau und Grün die Haupttöne. Das kräftige, für
das deutsche Färbereiverfahren des Mittelalters typische Tiefblau (mehrfache Waidfär-
bung) ist einem kalten Schieferblau gewichen, das sich sowohl in den Gewändern der Bene-
diktinerinnen als auch im Wasser gleichermaßen findet und die allgemeine farbige Stim-
mung fröstelnd beeinflußt. Entsprechend ist das Rot stark abgedämpft; braungelbe, ockrige
und graue Nuancen tragen nicht gerade zur Belebung bei. Die Abweichungen von dem für
Nürnberg typischen Farbzirkel mögen H. Schmitz veranlaßt haben49), den Walpurgatep-
pich der Werkstätte des Klosters Eichstätt zuzuschreiben, deren Tätigkeit — in Technik
und Stil ganz und gar von dem Walpurgabehang verschieden —, soweit nachweisbar, erst
im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts einsetzt. Es erscheint ausgeschlossen, daß ein

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