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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0199
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Nordschweiz und Oberrhein (16.—17. Jahrhundert)

b) Der Hortus conclusus. Gruppe Luzern-Schaffhausen. Wand-
teppiche allegorischen und satirischen Inhalts.

Merkwürdigerweise verliert ausgerechnet das unruhevolle Motiv des Hortus conclusus
auch im vorgeschrittenen 16. Säkulum nicht seine Anziehungskraft. Benutzt wird der alte
Karton des Teppichs im Schweizerischen Landesmuseum. Geringe Abwandlungen ver-
suchen dem geänderten Zeitgeschmack dürftige Zugeständnisse zu machen — seitliche
Rahmung durch Renaissancepilaster und dgl. mehr —; ein Exemplar mit der Jahreszahl
1554 eignet dem Kloster Samen, mit dem Wappen der Züricher Familien Zoller und
Schmid24), ein zweites von 1549 der Pariser Sammlung des Grafen Paul Durrieu, ein drittes
(1563) der Münchener Kunsthandlung J, Böhler (Abb. 157, H. 1,20 m, L. 3,40 m). Eine ab-
geschwächte, stark vergröberte Kopie der Einhornjagd im Schweizerischen Landesmuseum
kehrt wieder auf einem Kissenblatt von 1589, das aus der Sammlung Meyer-am-Ryhn in
unbekannten Besitz abwanderte25). Weit naturalistischer gibt sich ein gleichfalls ober-
rheinisches Kissen in deutschem Privatbesitz (Abb. 158). Ein besonders interessantes Stück
(Abb. 159, H. 0,90 m, L. 1,90 m) kam mit der Sammlung Leopold Ikl6 (Nr. 783) zur Ver-
steigerung. Wie üblich ist Wolle, Seide sowie Goldlahn verwandt. Zwei Szenen — die alle-
gorische Einhornjagd, als Symbol der unbefleckten Empfängnis —

„Uss him[m]el[s] thron ich heb gejagt

verkünd vil guts der reinen magt",

Hagar und der Engel am Brunnen

„Agar treit om ire son gross Leid

hört [hört] bald vom Engel trost vnd bescheid"

—- sind dem Rankengrund reichlich unvermittelt aufgelegt (ob der ursprüngliche Zustand?),
in den Ecken erscheinen die Wappen des Ludwig Pfyff er von Luzern, des „Schweizerkönigs"
(1524—1594) und seiner zweiten Frau SalomeBodmer vonBaden (geb. 1564, Hochzeit 1592,
gest. 1623), der Tochter des Ratsherrn Heinrich Bodmer und der Katharina Oswald von
Schaffhausen. Die Gewächse des rahmenden Hintergrundes kehren wenig verändert wieder
in einem Antependium (Abb. 160a, H. 0,90 m, L. 2,70 m) — Anbetung mit den kleinen Stif-
terfiguren, St. Benedikt, St. Bernhardt — mit der Jahreszahl 1600 und den Zeichen des Kano-
nikus Petrus Emberger und der Äbtissin Anna Hartmann31). Der Behang (im Schweizerischen
Landesmuseum zu Zürich) entstammt dem ehemaligen Zisterzienserinnen Kloster zu Lu-
zern. Beide Wirkereien dürften in Luzern entstanden sein. Das gleiche gilt von einer Kind-
heitsgeschichte Jesu von 1598 im Frauenkloster St. Anna im Bruch bei Luzern, die 1928
auf der Sonderavisstellung der „Salfa" (im Berner Historischen Museum) weiteren Krei-
sen zugänglich wurde. Die bemerkenswerte Verbindung Luzern—Schaffhausen kehrt
wieder in der gewirkten Bordüre eines Betthimmels, gleichfalls im Schweizerischen Landes-
museum zu Zürich, mit Episoden aus dem Leben Christi und Mariä, von der Verkündigung
bis zur Taufe, der Jahreszahl 1583 und den Wappen Im Thum und Stocker (Schaffhausen)
(Abb. 161, 5,50m X 0,40m ohne Fransen). Den etwas gröberen Typ verkörpert ein
Judicium Salomonis (Abb. 162a, H. 0,53 m, L. 0,60 m im Schweizerischen Landesmuseum)
und eine primitive Auffindung des Mosesknaben in der gleichen Sammlung (Abb. 162 b,
H. 0,44 m, L. 0,75m), die bereits dem Beginn des 17. Jahrhunderts angehört.

Ob Virgils Ehebrecherfalle (ehedem in der Wiener Sammlung Dr. Figdor Abb. 163 a,
H. 0,45 m, L. 0,50 m), ein Kissenblatt von 1585, das die Wappen des Berner Patriziers
DavidTscharner (gest. 1611) und seiner zweiten Gattin Barbara Wurstemberger (gest. 1587)
trägt, eine Neuschöpfung oder nur die Nachempfindung einer spätgotischen Arbeit ist, steht
dahin28). Die schlaue Kaiserin steckt die Hand in den Rachen des auf dem Tisch auf-
gestellten zauberhaften Bronzelöwen und schwört zu Recht, daß außer dem dreisten Narren

24 Göbel, Wandteppiche III.

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