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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0068
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Deutschlands Kvnstschatze.

„Meister Mignard, wollt Ihr Euch hier Herrn Gherardesca, den Ihr nur ein Mal in Eurem
Leben saht, genauer betrachten und dann gestehen, daß es die unverzeihlichste Unbesonnenheit war,
wenn Ihr behauptet, diesen Euch so fremden Mann in der Verkleidung eines zum Ueberfluß noch
verlarvten Sträflings erkannt zu haben?" sagte Lullh.
„Herr Oberintendant", sagte Duchambeau, „erlaubt, wenn ich hier unser Quartett dirigire."
„Der Dieb hatte breitere Schultern, däucht mir .. .", bemerkte Mignard.
„O, er wird auch einen dickern Kittel getragen haben, als Herr Gherardesca . .. Bitte, Herr
Balletdirector, sprecht Französisch, damit Herr Mignard Euch hört!"
„Meine Kenntniß Eurer Sprache ist höchst unvollständig", sagte der Dichter.
„Nun, Mignard, ist das die Stimme Eures nächtlichen Gastes? Der Dialect?"
„Nein; wenn der Dieb spräche, würde ich ihn unter Tausenden erkennen. Ich vergesse den
rauhen, unbarmherzigen Ton im Leben nicht!"
„Gut; aber Herr Gherardesca ist Schauspieler", bemerkte Duchambeau. „Das fällt in's Ge-
wicht. Er hat soeben noch erklärt, daß er den Dieb um das Bild beneide . . ."
„Das ist doch kein Verbrechen!" rief Lullh.
„Nein, aber ein Fingerzeig für mich ... Ihr erinnert Euch nicht, Herr Mignard, daß irgend
Jemand ein gleich starkes Verlangen, wie Signor Gherardesca, kundgegeben hat, das fragliche
Bild zu besitzen?"
„Nein, mein Herr! Außer dem Oberintendanten und Herrn Gherardesca hat Niemand das
Bild gesehen!"
„Und wann ward's gestohlen? Wiederholt das, Mignard!"
„Zwischen Mitternacht und Ein Uhr!"
„Wo wart Ihr zu dieser Zeit, Gherardesca?"
„Ich? Nun im Bett, gewiß."
„Mein Portier kann bezeugen", fügte Lullh hinzu, „daß mein Gast, der Herr Balletdirector
mit mir um elf Uhr aus der italienischen Oper heimkehrte und später das Haus nicht ver-
lassen hat."
„Ja doch! Der Portier achtet auf die Thüren; aber die Fenster haben auch Löcher zum Hin-
ausschlüpsen", meinte Duchambeau.
„Gherardesca schläft im zweiten Stockwerk!"
„Glaub's wohl; aber unser Dieb kann klettern! Da Gherardesca ein vollendeter Tänzer ist,
wird man ihm die Geschicklichkeit zutrauen können, an einem Seile sich ein paar Dutzend Fuß
hinabzulassen, sogar wieder dran emporzukommen!"
„Ich habe derartige Künste nie versucht", antwortete Gherardesca kalt... „Ich sehe es,
Herr Polizeimeister, Ihr wollt mich einkerkern lassen, obwohl kein Schatten eines haltbaren Ver-
dachts gegen mich vorliegt ... Ich berufe mich auf Seine Majestät, den König!"
„Auf Allerhöchsten Befehl eben ist gegen Euch das Verfahren eröffnet worden", sagte Ducham-
beau achselzuckend. „Gesteht und gebt das Bild heraus — das ist mein Rath; dann kann diese
Sache, eben weil sie sehr delicater Natur ist, sich schnellstens zum Guten wenden. Nun?"
„Ich kann nichts gestehen, was ich nicht weiß und nichts heraus geben, was ich nie besessen
Habe..."
 
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