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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0273
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Michelangelo. 39
ein verwittertes, schmutziges Ansehen geben könne, wie wenn er lange Zeit in der Erde gelegen
hätte, so wolle er selbst, Lorenzo, das Werk nach Rom schicken, wo es als Antike theuer bezahlt
werden würde. So geschah es. Der Cardinal von S. Giorgio kaufte die frisch gebackene Antike,
und der Unterhändler Messer Baldassare del Milanese zahlte dem einnndzwanzigjährigen-
Meister dreißig Ducaten dafür. Er hatte aber zweihundert von dem Cardinal bekommen.
Die Sache ward endlich doch in Rom ruchbar, und ein Edelmann wurde nach Florenz geschickt,
um Erkundigungen einzuziehen. Er that, als suche er Bildhauer für Rom zu engagiren; und als
er unter Anderen auch von Michelangelo Proben seiner Kunst zu sehen wünschte, nahm dieser eine
Feder und zeichnete damit vor den Augen des staunenden Römers eine große Hand mit sicheren
Strichen auf's Papier. Dann zählte er seine bereits vollendeten Bildwerke auf, und hatte es gar
kein Arg, darunter auch den schlafenden Amor zu nennen. Nach der Verständigung über den Be-
trug, dem man beiderseits zum Opfer gefallen , entschloß sich Michelangelo leicht nach Rom zu
kommen. Er traf schon am 25. Jnni 1496 daselbst ein.
Im gleichen Alter wie Raphael, als er die Vermählung der heiligen Jungfrau malte, Hatte er
an Lebenserfahrung und Kunsterfolgen mehr aufzuweisen als dieser. Keine Schule durfte, was er
geschaffen, auch nur als die Fortbildung und höchste Vollendung dessen, was sie erstrebt hatte, für
sich in Anspruch nehmen. Er war — nach dem herrlichen Worte Leone Battista Alberti's — „sein
eigener freier Bildner" gewesen, und Hatte Alles studirend, Nichts nachahmend eine ganz neue
Kunstweise hervorgebracht. Was hinter ihm lag, hatte nicht das Ansehen einer Schul- und Bil-
dungsepoche, sondern eben so fertig wie neu tritt seine Thätigkeit hervor.
So macht ihm auch die neue Welt in Rom vom ersten Augenblicke an nicht die geringsten
Skrnpel. Nachdem er Verschiedenes betrachtet, worauf ihn der Cardinal aufmerksam gemacht,
schreibt er: „Fürwahr, mir scheint, es giebt hier viele schöne Sachen"; und als der Cardinal ihn
fragt, ob er sich getraue, etwas Schönes zu machen, antwortet er, wie wir in seinem ersten Briefe aus
Rom vom Sonnabend dem 2. Juli 1496 lesen: „er wolle nicht große Dinge versprechen, der Car-
dinal werde ja selbst sehen, was er zu Stande brächte"; und unmittelbar weiter: „wir haben nun
ein Stück Marmor zu einer lebensgroßen Figur gekauft, und Montag fange ich an zu arbeiten".
Freilich aber wurde sein kühner Muth bald gedämpft. Mit dem Cardinal gerieth er in Un-'
einigkeit. Von der lebensgroßen Figur verlautet nichts wieder. Papst Alexander VI. Borgia
und seine Sprößlinge waren der Kunst nicht günstig. So ist dunkel, was er zunächst geschaffen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach griff er zum Pinsel zurück und begann das unvollendet gebliebene, erst
l857 wieder bekannt gewordene, doch wohl nicht zu bezweifelnde Temperabild des Mr. Labouchere
(jetzt bei Lord Taunton in London), Maria mit dem Kinde, umgeben von vier Engelgestalten und
Johannes dem Täufer. Die zwei fertig gewordenen Engel zur Rechten sind von einer wunderbar
ergreifenden und vollkommen anmuthigen Schönheit; die Jnngfran glänzt in unnachahmlicher Größe
und blickt doch so sanft und lieb. Die beiden Kinder zeigen die köstlichste Naivetät und sehr schöne Formen.
Michelangelo hat manchem seiner Werke die letzte vollendende Hand vorenthalten; meist wohl
seines regen Geistes wegen, weil neue Pläne ihn bewegten; hier aber ist vielleicht eher anzunehmen,
daß erwünschtere Beschäftigung ihn das nur als Lückenbüßer betrachtete Werk zurückstellen ließ.
Wir wissen, daß Jacopo Galli, ein römischer Edelmann, bei ihm eine Statue des jugendlichen
Bacchus bestellte. Mil erstaunlicher Meisterschaft ist in der schön gebildeten Jünglingsfignr das

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