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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0284
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59 Kimsiler-BiMGhmz.
in seinem Inneren zu einer seltenen Klarheit und Reinheit geläutert, lernte er Vittoria Colonna,
die Tochter Fabrizio Colonna's und Wittwe des Marchese von Pescara, Verwandte also der beiden
ersten Edelleute und Feldherren ihrer Zeit, kennen. Sie stand dem Michelangelo durch ihre geistige
Eigenart nahe. Gleich ihm ein groß und edel angelegter Charakter, gleich ihm durch die Schule
der Leiden hindurchgegangen, war auch sie zu jener milden Resignation und jener großartigen
Genügsamkeit gekommen, die vom Leben nichts mehr verlangt, als was das geistige Wesen zu
erhöhen und zu fördern vermag. Als Michelangelo und Vittoria sich im Jahre 1537 zu Nom
begegneten, stand sie im achtundvierzigsten, Michelangelo bereits im dreiundsechzigsten Lebensjahre.
Eines der seltensten Verhältnisse, ausschließlich auf gegenseitige Verehrung begründet und durch
gemeinsame Hingabe an das Höchste geknüpft, entspann sich nnd gewährte Beiden bis zum Tode
Vittoria's den Genuß geistigen Verkehrs nnd verständnißvollen Austausches. Sie liebte die hohe
und besonders die religiöse Kunst, und stnndenlang konnte sie dem gewaltigen Freunde in seiner
Werkstatt zuschauen und über die höchsten Dinge mit ihm reden. Ein Hauch derselben Groß-
artigkeit und Einzigkeit, wie über Michelangelos Werken, ruht über diesem schönen Verhältniß
Michelangelo fühlte sich durch dieseu Verkehr mit einer ähnlich empfindenden Seele tief beglückt,
wie neu geboreu. Seine Gedichte geben davon Zeugniß; zugleich aber auch von der reinen Geistig-
keit ihrer Beziehungen. Erst in dem Gedichte, das in rührender Weise ihren Tod beklagt, gedenkt
er ihrer körperlichen Schönheit; und am bezeichnendsten wohl ist jene Aenßerung, die er später zu
einem vertrauten Schüler that, nichts thue ihm so leid, wie daß er der Vittoria, da er sie auf dem
Leichenbette sah, nur die Hand, nicht anch Stirn und Antlitz geküßt habe.
Auch in dieser ganzen Seite seines Lebens steht der Mann wie ein Riese, in fast überirdischer
Hoheit vor uns, kaum daß wir armen Erdenmenschen ihn mit unserer Bewunderung erreichen
können. Einen Maßstab für ihn giebt es nicht; man darf sich erst rühmen, im höheren Sinne
Mensch zu werden, wenn man anfängt, ihn ahnend zu verstehen und seine Vorzüge so überwältigend
und einzig zu sehen, daß seine Schwächen, der geringe Tribut, den er dem irdisch Unvollendeten
zollt, zur vollständigen Bedeutungslosigkeit verschwinden.
Der Tod Vittoria's brachte den Greis fast zur Verzweiflung. Sein religiöfer Sinn und
seine Todessehnsucht entwickeln sich immer stärker. Aber auch darin ist 'er einzig. Es ist etwas
Verklärtes in ihm, wie wenn seine Füße den Boden des Irdischen nicht mehr berührten. Und doch
jeder Gedanke, jede Empfindung noch plastisch, noch greifbar deutlich ausgeprägt, noch zur künstle-
rischen Gestaltung abgeklärt. Er entwickelt eine Religiosität, wie die damalige Kirche sie nicht
kannte, wie nur die Lehren der großen Reformatoren, von dem gewaltigen Bahnbrecher Savonarola
an bis auf die großen Durchbrecher, unsere deutschen Reformatoren, sie entwickelt Hatten. Doch
auch über ihre Beschränkungen ist er erhaben. Seine Auffassung der Religion als des befreienden
Momentes zum Ziele höchster sittlicher und geistiger Vollendung drückte alle kleinlichen dogmatischen
und ceremoniellen Satzungen und Streitigkeiten zur vollkommenen Richtigkeit herab. Wahrschein-
lich hat kein Mensch diejenige Religiosität, in der sich dereinst die Menschheit brüderlich zusammen-
finden muß, in höherem Grade besessen als Michelangelo. Er lebte auch dariu in seinem Jahr-
hundert ein Bürger derer, die da kommen sollten.
In solcher Stimmung und Gesinnung gab der große Meister im Todesjahre seiner verehrten-
Vittoria 1547 endlich dem Drängen des Pabstes nach, die Leitung des Baues von St. Peter
 
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