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Schmiedeberg-Blume, Else von [Hrsg.]; Mal- und Zeichen-Unterricht GmbH <Berlin> [Hrsg.]; Meru, Johannes [Mitarb.]
Handbuch und Lehrkursus für die Kunst des Zeichnens und Malens (Band 1): Grundlagen der Technik und Komposition: mit 213 einfarbigen und farbigen Abbildungen — Braunschweig, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.23972#0220
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der Kunst, ihren verschiedenen Zweigen und besonders der figürlichen Darstellung. Ich
denke mir, daß Euch der augenblickliche Kampf der Kunstrichtungen weniger verwirren
wird, wenn Ihr nicht nur diesen kleinen Ausschnitt der Gegenwart seht, sondern einen
Überblick habt über das große Ganze.

Wenn Ihr selber figürlich arbeiten wollt, so tut Ihr gut, erst mit dem Kopf am
zufangen. Stellt Euch oder setzt Euch jemanden hin, dessen Kopf Euch interessiert, der
möglichst ausgeprägte Gesichtszüge hat, und dann zeichnet zuerst mal das Profil.
Fangt bei der Stirn an, zeichnet dann die Nase, die Nasenlippenfurche, die Lippen,
Kinn, Hals. Dann fangt Ihr wieder bei der Stirn an, geht über die Scheitelhöhe zum
Hinterkopf. Versichert Euch aber vorher durch Visieren, daß Ihr die Verhältnisse rieh*
tig getroffen habt, und zwar nicht nur die Verhältnisse der Längs* oder Breitseite,
sondern wie beides sich zueinander verhält. Erst prüft Ihr, wie Stirn und Nase zu*
einander stehen, dann meßt Ihr die Entfernung von der Nase zum Kinn, von da zum
Halse. Andererseits müßt Ihr feststellen durch Visieren, wie hoch das Ohr ansetzt,
welche Entfernung von der Nasenwurzel zum Auge, von da zur Schläfe ist usw. Sind
alle Punkte richtiggestellt und flüchtig skizziert, dann zeichnet Ihr das ganze
Profil, wie ich es Euch eben schilderte. Das Auge muß in seiner anatomischen
Bildung richtig beobachtet werden, auch die Nase, wie die Flügel gebildet sind, usw.
Gleiches gilt für das Ohr. Habt Ihr die richtige Konturzeichnung, dann setzt Ihr die
Schatten ein und modelliert im Halbton und Licht genau wie in der Landschaft oder
beim Stilleben.

Habt Ihr einen Profilkopf gezeichnet, so versucht es mit einem von vorn gesehenen.
Ihr verfahrt auch da so, daß Ihr Euch erst mit leisen Skizzierstrichen nach Feststellung
der wichtigsten Punkte die Hauptformen aufzeichnet. Am besten beginnt Ihr mit den
Augen und nehmt die als Maßstab für die Verhältnisse. Sehr wichtig ist es, die rieh*
tige Stellung herauszubekommen. Bei geneigtem Kopf rate ich Euch, die ganz lockere,
grobe Skizze nach dem Gefühl zu machen, dann aber durch Loten festzustellen, welche
Punkte untereinanderliegen. Ein Lot stellt Ihr Euch her, indem Ihr an einem langen
Bindfaden einen schweren kleinen Gegenstand befestigt. In Malutensiliengeschäften be*
kommt Ihr solche Lote, die ein kleines Bleigewicht haben, auch fertig zu kaufen. Bei
der Schattengebung bemüht Euch, ebenso wie bei der Landschaft, den Schatten in ge*
sammelten Flächen zu sehen, was durch Schließen des einen Auges, wie beim Visieren,
sehr leicht ist. Ihr tut gut, zuerst die stärksten Kontraste zu geben, das hellste Licht,
den tiefsten Schatten, dann erst die Zwischentöne, und so, aus dem groben Effekt die
Form modellierend, sie zu verfeinern.

Wollt Ihr eine Figur zeichnen, so setzt Ihr sie am besten erhöht und so weit ent*
fernt, daß Ihr sie voll übersehen könnt. Dann skizziert Ihr zuerst die Bewegung, die
Haltung mit ein paar großen Strichen. Darauf meßt Ihr wieder die Verhältnisse unter*
einander aus. Nachdem der Kopf in Ausmaß, Richtung, Bewegung festgestellt ist,
zeichnet Ihr den Umriß im Groben. Ich verstehe darunter, daß Ihr erst die große Form
skizziert und dann beim Durchzeichnen den Einzelheiten der Linie folgt, Falten beim
Gewand berücksichtigt usw. Figuren werdet Ihr sehr oft nur auf Bewegung skizzieren,
dabei lernt Ihr am meisten. In dem Fall könnt Ihr ganz auf Schatten verzichten oder,
wenn Ihr etwas davon geben wollt, ihn vereinfachen und auf den klaren Gegensatz
von Hell und Dunkel hinarbeiten. Dann ist es aber doch nötig, dazwischen wieder
Figuren ganz exakt durchzuzeichnen. Damit Ihr nun nicht nur Kleider zeichnet, sondern
Menschen, d.h., daß man unter der Hülle den Körper fühlt, ist es nötig, daß Ihr jede

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