N°. 19,
HEIDELBERGER
1843
JAHRBÜCHER ©ER LITERATUR,
von Reichlin - Meldegg: Die Autolatrie der Jung - Hegel’~
sehen Philosophie.
(Beschluss.)
Zur absoluten Idee brauchte man weder Physik noch Chemie,
weder Wasser- noch Sauerstoff; aus ihr liess man, wie ehemals der
Schöpfer in der Genesis, durch ein freilich weniger verständliches Wort,
als das berühmte „es werde“, durch das neu gefundene Wort „Anders-
seyn der absoluten Idee“ die Welt nicht in 6 Tagen, sondern in so viel
Zeit entstehen, als nöthig war, eine Eneyklopädie der Philosophie zu
schreiben. Hegel hatte die Eneyklopädie geschrieben, und man war
wenigstens auf dem Katheder mit dem Weltprocesse fertig.
Bald aber stritten sich die Schüler des Meisters, den seine Ver-
ehrer inner- und ausserhalb Berlins ihren Jesus Christus und den Inbe-
griff aller Philosophie, den Schlusspunkt in ihrer Geschichte nannten^
und den sie nicht nur in der Manier des Philosophirens, sondern, wie
mir von glaubwürdigen Augenzeugen versichert wurde, auch in der des
Tabakschnupfens, in der letztem vielleicht richtiger nachahmten, um
das, was Hegel gesagt hatte, weil es eben nicht gar zu deutlich war,
oder, wie einst zwei theologische Parteien über den Ausspruch eines
Papstes, über das, was der grosse Philosoph gesagt hätte, wenn er etwas
gesagt hätte.
Wie wenig die Schüler darüber im Reinen sind, was der Meister
sagte, oder, was er sagen wollte, geht schon daraus hervor, dass eine
Partei der Hegel’sehen Philosophen in einer rückschreiten-
den Frömmigkeit das Heil erwartet, und in der Philosophie HegeEs
den Stützpunkt für die orthodoxe Theologie gesucht bat^ während
nach einer andern selbst der als Mystiker und Qbscurant gilt,
der an Gott und die Unsterblichkeit der Seele glaubt.
Vornehm, mit voll tönenden, zum Theil poetisch klingenden Phra-
sen, von oben herab den Blitz der Vernichtung gegen Andersdenkende
schleudernd, und, dem Pferde in einem Mühlrade gleich, nie aus dem
Geleise des Wortlautes der Schule herauskomraend, halten sich viele
unserer modernen Philosophen an das aussergewöhnliche Denken, wie
sie es nennen; sie verachten das Gewöhnliche und protestiren gegen die
Anwendung des gesunden Menschenverstandes in ihrer Philosophie, weil
sie recht gut wissen , dass in derselben nicht viel davon gefunden wird,
und schämen sich nicht, das Paradoxeste unter dem Titel der Philosophie
zu verbreiten, was Nichtprivilegirte schwerlich anders, als unter der
XXXVI, Jabi’g. 2. Doppelheft. |Q
HEIDELBERGER
1843
JAHRBÜCHER ©ER LITERATUR,
von Reichlin - Meldegg: Die Autolatrie der Jung - Hegel’~
sehen Philosophie.
(Beschluss.)
Zur absoluten Idee brauchte man weder Physik noch Chemie,
weder Wasser- noch Sauerstoff; aus ihr liess man, wie ehemals der
Schöpfer in der Genesis, durch ein freilich weniger verständliches Wort,
als das berühmte „es werde“, durch das neu gefundene Wort „Anders-
seyn der absoluten Idee“ die Welt nicht in 6 Tagen, sondern in so viel
Zeit entstehen, als nöthig war, eine Eneyklopädie der Philosophie zu
schreiben. Hegel hatte die Eneyklopädie geschrieben, und man war
wenigstens auf dem Katheder mit dem Weltprocesse fertig.
Bald aber stritten sich die Schüler des Meisters, den seine Ver-
ehrer inner- und ausserhalb Berlins ihren Jesus Christus und den Inbe-
griff aller Philosophie, den Schlusspunkt in ihrer Geschichte nannten^
und den sie nicht nur in der Manier des Philosophirens, sondern, wie
mir von glaubwürdigen Augenzeugen versichert wurde, auch in der des
Tabakschnupfens, in der letztem vielleicht richtiger nachahmten, um
das, was Hegel gesagt hatte, weil es eben nicht gar zu deutlich war,
oder, wie einst zwei theologische Parteien über den Ausspruch eines
Papstes, über das, was der grosse Philosoph gesagt hätte, wenn er etwas
gesagt hätte.
Wie wenig die Schüler darüber im Reinen sind, was der Meister
sagte, oder, was er sagen wollte, geht schon daraus hervor, dass eine
Partei der Hegel’sehen Philosophen in einer rückschreiten-
den Frömmigkeit das Heil erwartet, und in der Philosophie HegeEs
den Stützpunkt für die orthodoxe Theologie gesucht bat^ während
nach einer andern selbst der als Mystiker und Qbscurant gilt,
der an Gott und die Unsterblichkeit der Seele glaubt.
Vornehm, mit voll tönenden, zum Theil poetisch klingenden Phra-
sen, von oben herab den Blitz der Vernichtung gegen Andersdenkende
schleudernd, und, dem Pferde in einem Mühlrade gleich, nie aus dem
Geleise des Wortlautes der Schule herauskomraend, halten sich viele
unserer modernen Philosophen an das aussergewöhnliche Denken, wie
sie es nennen; sie verachten das Gewöhnliche und protestiren gegen die
Anwendung des gesunden Menschenverstandes in ihrer Philosophie, weil
sie recht gut wissen , dass in derselben nicht viel davon gefunden wird,
und schämen sich nicht, das Paradoxeste unter dem Titel der Philosophie
zu verbreiten, was Nichtprivilegirte schwerlich anders, als unter der
XXXVI, Jabi’g. 2. Doppelheft. |Q