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geld vou zwei Thalern monatlich zu zahlen, aber für
ſein Käthchen war ihm kein Opfer zu groß. Zweimal
wöchentlich ging ſie auch mit einer großen Notenmappe
zum Kantor Gruber hinüber und wurde dort im Kla-
vierſpiel unterrichtet.
beſte Klavierlehrer des Ortes und hatte Käthchen nach
dreijährigem Unterricht bereits ſo weit gebracht, daß

ſie recht artig eine Senate bon Mozart, ja ſelbſt hin

und wieder eine Sonate von Beethoven zu ſpielen ver⸗—
mochte. Doch Käthchen war auch außer der Klavier-
ſtunde oft drüben in dem kleinen Kantorhauſe. Gru-
ber und Ketterer waren alte Freunde, nannten ſich
„Bruder“ und „Du“, weil ſie Beide der Loge angehör⸗—
ten, und hatten Freud' und Leid in ihren Familien
ſeit langen Jahren mit einander getheilt. Kantor
Gruber war ein muſikaliſch recht begabter Mann; aber
ſein Talent ging in den Sorgen um das tägliche Brod
unter; denn er mußte den ganzen Tag Stunden geben
um das Brod für ſeine zahlreiche Familie zu verdienen.
Seine beiden älteſten Söhne Robert und Paul hatten
des Vaters muſikaliſche Begabung geerbt, beſonders der
Jüngere der Beiden, Paul, zeigte ganz ungewöhnliche
Fertigkeiten. Durch den Beiſtand wohlhabender Ver-
wandten war es Gruber möglich geworden, ſeine Söhne
auf das Gymnaſium der nächſten großen Stadt ſchicken
zu können. Robert hatte indeſſen das Gymnaſium ſchon
verlaſſen und war in ein kaufmänniſches Geſchäft in
die Lehre getreten; er war ein hochgewachſener Jüng-
ling mit ſcharfen Zügen und eckigem Weſen, das aber
eine unerſchütterliche Redlichkeit und tief ernſtes Stre-
ben in ſich barg. Er hatte die Geige zu ſeinem In-
ſtrumente erkoren und ſpielte dieſelbe, wenn auch nicht
mit vollendeter Technik, ſo doch mit Verſtändniß und
Empfindung. Aus den weichen, zuweilen mit ſchmerz-
licher Melancholie durchhauchten Phantaſie, die er oft
des Abends in ſeinem ſtillen Kämmerlein dieſem ge-
ſangreichſten aller Inſtrumente entlockte, ſprach eine
ſeinem rauhen Aeußern entgegengeſetzte zarte tief füh-
lende Seele. Aber dieſe Seele lag verborgen vor den
Augen der Menſchen in ſeiner Bruſt. ö
Das volle Gegentheil von Robert Gruber war deſ-
ſen zwei Jahre jüngerer Bruder Paul. Mit einem
ſchlanken, elegant gebauten Körper und einem Kopf,
der mit ſeiner reichen Lockenfülle und den dunkeln ſtrah-
lenden Augen einem Apollo gar nicht ſo übel geſtanden
hätte, verband er die ganz leichtlebige Luſt, welche der
Jugend ſo gut ſteht, wenn auch bedächtige Leute ſie
nicht ohne Sorge zu betrachten pflegen. Zu allen die-
ſen äußeren Vorzügen geſellten ſich noch bei Paul Gru-
ber ſeine ſchon vorher angedeuteten inneren Gaben. Er
hatte in der Stadt, wo er noch das Gymnaſium be-

ſuchte, durch ſein mufikaliſches Talent bereits Aufſehen

erregt. Er ſpielte das Klavier mit anzuerkennender
Virtuoſität, ſang mit wohlklingender, obwohl noch nicht

zu ihrer ganzen Kraft entwickelten Stimme und hatte

ſchon als Knabe Kompoſitionen geliefert, welche ſelbſt
Muſikverſtändige auf's Höchſte überraſcht und den Vater
mit ſtolzer Freude erfüllt hatten. In der größeren
Stadt, in der er das Gymnaſium beſuchte, war er ſei-

Der Kantor Gruber war der

nes Talentes wegen in einige der bedeutenderen Ge-
ſellſchaftskreiſe gezogen worden und hatte dort leicht
und mit großem Geſchick ſich die Manieren der feinen
Welt anzueignen gewußt, ſo daß er in Verbindung mit

ſeiner einnehmenden äußeren Erſcheinung gar leicht für

einen Sprößling ariſtokratiſchen Blutes gelten konnte
und auch ſchon zuweilen dafür gegolten hatte, was er
nicht ohne ſtolzes Selbſtbewußtſein zu Hauſe erzählte.
In dieſem Augenblick war er auf Ferien zu Hauſe
und bewegte ſich mit ſeinem Bruder Robert, der gleich-
falls von ſeinem Prinzipal zur Heimreiſe einige Tage
Urlaub erhalten hatte, in der Schaar der muntern
Jugend, die um das Geburtstagskind rerſammelt war.
Man ſpielte eben Fanchon⸗Zeck. Paul ſtand mit Käth-
chen in der Reihe und lächelnd beobachteten die zu-
ſchauenden Eltern, wie die beiden jungen Leute beim
Spiel immer zuſammenblieben und trotz der Mühe der
Andern nicht zu trennen waren.
Die Hofthüre, die an der Seite des Hauſes nach
der Straße führte, öffnete ſich jetzt und Kantor Gruber
trat mit ſeinen kleineren Kindern, der zehnjährigen
Getrud und Ernſt und Fritz zu den Spielenden. Die
gute Frau Gruber war ſeit einem Jahre todt und der

„Wittwer ging, wie man ſagte, auf Freiers Füßen; der

mit Kindern geſegnete Mann bedurfte ja unumgänglich
der Hausfrau und Mutter.
Das magere, von Sorgen durchfurchte Antlitz des
Kontors glänzte heute vor Freude: „Ketterer!“ rief er
ſchon von Weitem mit vor Erregung bebender Stimme:
„Heute muß noch eine Bowle ſpendirt werden, wir fei-
ern ein Doppelfeſt. Paul!“ rief er dann, ſich den
Spielenden zuwendend, „komm' her, Junge, Dir iſt
heute ein großes Glück zugefallen! —“ ö
Die Spielenden trennten ſich raſch und ſchaarten
ſich neugierig um den Kantor. ö
„Nun, was iſt's!“ rief der alte Ketterer, freudig
dem Freunde die Hand reichend, während Frau Agnes
fragend aufſchaute, „Erzähle raſch!ꝰ ö
Der Kantor zog ein Schreiben mit großem Siegel
aus der Taſche und öffnete es. ö
„Sieh hier, Ketterer!“ rief er, und hielt dem
Freunde das Papier hin — „aus dem Kultusminiſterium!
Paul hat auf die Empfehlung des Präſidenten von
Roden, bei dem er, wie Du weißt, manchmal geſpielt
hat, von des Königs Gnade ein Stipendium erhalten
um ſein muſikaliſches Talent in der Reſidenz auszu-
bilden. Vom 1. Oktober an ſoll er in's Konſervato-
rium der empfohlen i eintreten, wo er dem Direk-
eſtens empfohlen iſt.“ ö
10r — alte Ketterer nahm die Brille von der Naſe
und wiſchte ſie mit dem Taſchentuche ab, eine Thräne
der Freude hatte die Gläſer getrübt. Frau Agnes
reichte dem Sohne mit herzlichem Glückwunſch die Hand;
auch die andern jungen Leute drängten ſich Glück
wünſchend um Paul. —
(Fortſetzung folgt.) —

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