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319

Der letzte Vorläufer der Reformation.
ö Von Guſtas Jaquet.

In einer Zeit vielfacher Bewegung auf religiöſem
und politiſchem Gebiete, wie die unſrige es iſt, dürfte
es am Platze ſein, eines Vorläufers der großen Kir-
chenreformatoren Luther, Melanchthon, Zwingli und
Calvin zu gedenken, welcher an Geiſt und Gemüth, an
reichem Wiſſen und Begeiſterung für die von ihm ver-
fochtene Sache keinem der Genannten nachſtand, gleich-
wohl aber — von den Zeitumſtänden minder begün-
ſtigt als ſie — in dem großen Kampfe, in welchen er
kühnen Muthes eingetreten war, unterlag; eines Man-
nes, deſſen Namen viel weniger bekannt iſt, als er es
verdient, und der doch durch ſein tragiſches Geſchick
geeignet iſt, unſere vollſte Theilnahme in Anſpruch zu
nehmen. Dieſer Mann iſt Savonarola, der Gei-
ſtesheld von Florenz; der Zeit nach, doch nicht der
Bedeutung nach, der letzte unter den Vorläufern und
Vorkämpfern der großen Kirchenreformation des ſechs-
zehnten Jahrhunderts.
Girolamo (d. i. Hironymus) Savonarola
wurde am 21. September 1452 zu Ferrara in Mittel-
italien, damals der Hauptſtadt eines eigenen, dem
Hauſe Eſte gehörigen, Herzogthums geboren. Sein
Vater, welcher erſt im Beginn des Mannesalters ſich
nach Ferrara gewendet hatte, entſtammte einer Patri-
zierfamilie der altberühmten oberitaliſchen Univerſitäts-
ſtadt Padua. Als Enkel eines in weiten Kreiſen ge-
ſchätzten Arztes, welcher die Familie zu Vermögen und
Anſehen gebracht, ſollte nach der Eltern Willen auch
Giroiamo der Arzneiwiſſenſchaft ſich widmen, und wurde
dieſe Beſtimmung ihm ſchon frühzeitig mitgetheilt.
Doch hatte für ſolche der Jüngling wenig Neigung,
und als er eine Lebensbeſchreibung des heiligen Tho-
mas von Aquino, eines dem Dominikaner⸗Orden ange-
hörenden, namhaften Kirchenlehrers des dreizehnten
Jahrhunderts geleſen, beſchloß er, Geiſtlicher zu werden.
Wie Jener unter ähnlichen Umſtänden gethan, entfloh
er, als ſein Wunſch auf ein entſchiedenes väterliches
Veto ſtieß, dem elterlichen Hauſe, erſt fünfzehn Jahre
alt. Er begab ſich nach dem nahen Bologna, damals
einer ſelbſtſtändigen Republik, und fand hier trotz ſei-
ner Jugend, Aufnahme in dem dortigen Dominikaner-
Kloſter.
Bei ſolchem Eifer für den geiſtlichen Stand und
ausgeſtattet mit ſehr guten Anlagen konnte es nicht
fehlen, daß der fleißige, dem Studium der theologiſchen
Wiſſenſchaft obliegende Girolamo in dieſer ſo raſche
Fortſchritte machte, daß er ſchon mit zweiundzwanzig
Jahren, alſo noch vor erreichtem Mannesalter, die
Prieſterweihe empfangen konnte. Er wurde nun in
das Dominikaner⸗Kloſter nach Florenz verſetzt und be⸗—
trat in dieſer Stadt zum erſtenmale die Kanzel, aber
mit einem ſeinen Erwartungen ſo wenig entſprechenden
Erfolge, daß er ſchon nach drei⸗ oder viermaligem
Auftreten derſelben zu entſagen, und ſtatt der Theo⸗-
logie ſich fortan der Mathematik und Phyſik, deren

——

der Theologie, zurück. Zwar

Bologna ſah,

Studium er zu Bologna neben dem der Gottesgelehrt-
heit obgelegen, zu widmen beſchloß. Er erbat und er-
wirkte von ſeinen Ordensoberen ſeine Zurückverſetzung
nach Bologna. Hier nun trat er, nachdem er zuvor
noch ein Jahr lang durch fleißiges Selbſtſtudium ſeine
Kenntniſſe in dieſen beiden Disciplinen vermehrt hatte,
als Lehrer der Mathematik und Phyſik an der Univer-
ſität auf. Seine Vorträge fanden bald Beifall und
ein zahlreiches Auditorium. Da ſie indeſſen ſeine Zeit
nicht ausfüllten, ſo widmete Savonarola ſich nebenbei
auch noch dem Studium der Philoſophie und kehrte
ſpäter auch wieder zu ſeiner erſten Lieblingswiſſenſchaft,
trat er als Kanzelredner
in Bologna nicht auf, dafür aber veröffentlichte er ne-
ben ein paar philoſophiſchen auch verſchiedene kleinere
Schriften theologiſchen Inhalts.
Der Beifall, welchen dieſe Schriften, gleichwie ſeine
Katheder-Vorträge, fanden, veranlaßte den berühmten
Lorenzo von Medici, welcher ſeit dem Jahre 1478 un-
ter dem Titel „Podeſta“ (d. h. „Gebietiger“), mit
fürſtlicher Gewalt an der Spitze der, ſchon damals den
größten Theil von Toscana umfaſſenden Republik Flo-

renz ſtand und welcher als eifriger Förderer von Wiſ-

ſenſchafſt und Kunſt jeder Art, wie als freigebiger Gön-
ner der Gelehrten und Künſtler hohen Ruhm ſich er-
warb, zu dem Wunſche, den ausgezeichneten Domini⸗—
kaner als Lehrer an der florentiniſchen Hochſchule wirk-
ſam zu ſehen. Da Savonarola, durch ſein Ordensge-
lübde zu ſtrengſtem Gehorſam verpflichtet, nicht frei
über ſich ſelbſt verfügen konnte, ſo theilte Lorenzo von
Medici ſein Anliegen denn auch nicht ihm, ſondern dem
in Rom reſidirenden General des Dominikaner-Ordens
mit. Dieſer konnte dem Wunſche des mächtigen und
wegen ſeiner Wiſſenſchaftsliebe in ganz Italien hochge-
ſchätzten Podeſta ſich nicht gut unwillfährig zeigen und
ſo verfügte er denn, ſo ungern man ſolches auch in
die Verſetzung Savonarola's nach Flo-
renz, in das Dominikanerkloſter von San⸗Marco.
So kehrte denn, Anfangs 1489, nach faſt vierzehn-
jähriger Abweſenheit, Girolamo nach Florenz zurückz
reicher nicht blos an Jahren, ſondern auch an Wiſſen
und Anſehen, namentlich aber auch an Erkenntniß des
Richtigen. Als er zu Bologna in den Dominikaner-
Orden getreten, und auch noch als er die prieſterliche
Weihe empfangen, war er ein blindgläubiger Katholik
geweſen; hatte, was ihm aus Prieſtermund geſagt wor-m
gen, ihm als Orakel und der Papſt ihm als eine Ver-
körperung Gottes auf Erden gegolten. Dank ſeiner
Beſchäftigung mit der Philoſophie und der Phyſik aber

— zwei Wiſſenſchaften, welche ganz beſonders dazu

geeignet ſind, den Geiſt aufzuhellen und das Urtheils-
vermögen zu ſchärfen — war die Binde von ſeinen

Augen gefallen, war es in ſeiner Seele Licht und aus

ihm ein Anderer geworden, als er zur Zeit ſeines er-
ſten Aufenthaltes in Florenz geweſen; wie ſich bald
zeigen ſollte. ö
ö (Fortſetzung folgt.)
 
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