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der beiden erkannte Paul ſofort die von ihm Geſuchte,
die niedliche Frau von Plato, die andere dagegen er-
innerte er ſich nicht geſehen zu haben. Dieſe majeſtä-
tiſche Erſcheinung im dunkeln ſchwer herabraͤuſchenden
Trauergewande hätte ihm unbedingt auffallen müſſen.
Neugierig ruhten ſeine Blicke auf dem ſo ſtolz und doch.
ſo anmukhsvoll getragenen Haupte, das von einem
ſchwarzen Spitzenſchleier wittwenartig verhüllt, doch den
Schmuck des jugendlich üppigen blonden Haares, das
in reichen Locken bis auf den Rücken herabfloß, nicht
zu verbergen vermochte.
Der Gang, den die Damen herunterſchritten, war
nicht lang, ſie mußten ſich bald wenden. Aurelie er-
kannte Paul ſogleich und eilte ihm mit anmuthigem
Lächeln entgegen, ihre Begleiterin folgte nur langſam.
Paul's Augen richteten ſich mit geſpannter Erwartung
auf das ihm jetzt zugewandte, vom Lichte einer Ampel
hell erleuchtete Antlitz der Fremden — plötzlich fuhr
er erbleichend zurück. Träumte er? wachte er? Dieſen
herrlichen, von goldigem Haar umrahmten Kopf mit
den mantelförmigen Augen Und dem ſchwellend liebli-
chen Munde hatte er ja ſchon einmal geſehen. — Nein,
nein, er irrte nicht, vor ihm ſtand das Original jenes
Bildes, deſſen Anblick in Bodo ſo heftige Stürme düſte-
rer Melancholie wachgerufen, jenes Bildes, das auf
ihn ſelbſt einen ſo ſeltſamen Zauber ausgeübt und
das er ſeit jenem verhängnißvollen Nachmittage nicht
wiedergeſehen hatte. Eine nnexklärliche Angſt, ein
nie gefühltes Bangen erfaßte den jungen Mann — es
war ihm als müßte er fliehen und doch hielt ihn die
Gewalt dieſer wunderſamen braunen Augen faſt wider
ſeinen Willen gefeſſelt.
„Ach, Herr Gruber!“ rief Aurelie und ſchaute ſtau-
ſiand zu Paul auf, der bleich und unbeweglich vor ihr
tand. ö
„Sie weilen im Geiſte wohl noch in jenem Zauber-
lande der Muſik, das Sie uns eben durch Ihren ſchö-—
nen Geſang aufgeſchloſſen. Starren Sie uns Beide
doch an, wie Erſcheinungen aus einer andern Welt, als
müßte ſich ihr irdiſches Auge erſt wieder an den An-
blick ſterblicher Weſen gewöhnen.“
Paul fuhr zuſammen, er ſuchte ſich zu faſſen —
ſein Blick ſenkte ſich von der herrlichen Erſcheinung der
Freuden auf die zierliche Geſtalt Aurelien's herab —
ein Lächeln umſpielte plötzlich ſeine Lippen — er war
wieder er ſelbſt. — Die kokette Frau hatte zuviel Ir⸗—
diſches an ſich, um nicht den Zauber, der von ihrer
ſchönen Gefährtin ausſtrömte, in etwas wenigſtens zu
brechen. ö
„Ich träumte allerdings“, ſagte er, ſich artig ver-
neigend, „und mußte mich erſt beſinnen, ob in dieſen
märchenhaft ſchön geſchmückten Räumen andere Weſen
als Feen ſich bewegen dürfen?“ ö ö
Aurelie lächelte. ͤ ö
„Liebe Conſtanze!“ wandte ſie ſich an ihre Beglei-
terin, „erlaube, daß ich Dir den jungen Sänger vor-
ſtelle, deſſen Vortrag Dich eben ſo erfreut hat.“
„Herr Gruber — meine Schwägerin, Frau Gräfin
Landsfeld.“ ö ö

Paul verneigte ſich tief, die Augen der Gräfin ruh-
ten einen Moment mit ſeltſamem Glanze auf ihm:
„Ihre Auffaſſung des ſchönen Schumann'ſchen Lie-
des“, wandte ſie ſich mit anmuthigem Neigen des Haup-
tes zu Paul, „hat mich in der That ungemein ange-
ſprochen. Ich habe daſſelbe noch nie mit ſolcher Ge-
walt der Empfindung ſingen hören, als heute von Ih-
nen. Sie folgten ganz der Intention des Komponiſten,
die ſich in dieſem Liede ſo meiſterhaft dem dichteriſchen
Gedanken angeſchloſſen hat.“
Paul lauſchte wie berauſcht; der Klang ihrer
Stimme war von jener melodiſchen, ergreiſenden Tiefe
die ſo gewaltige Macht über das Herz des Menſchen
auszuüben vermag..
„Ihr Geſang hat meiner Schwägerin ſo gefallen“,
warf Frau von Plato ein, augenſcheinlich bemüht, die
Aufmerkſamkeit Paul's mehr auf ſich zu lenken, „daß
ſie gleichfalls wünſcht, Ihre Schülerin zu werden.“
Paul verneigte ſich abermals und noch tiefer vor
. •— eine ungemeſſene Freude erfüllte ſeine
ruſt —
„Ihr Lob beſchämt mich — gnädigſte Gräfin“, ſtam-
melte er.
Die Gräfin ſchaute ihn ernſt an. „Verdientes Lob
kann nie beſchämen“, ſagte ſie fraundlich. „Es ſollte
den Künſtler nur anſpornen, immer höher zu ſtreben,
immer größere Aufforderungen an ſich ſelbſt zu ſtellen.“
„Sehr wahr, gnädigſte Gräfin, es ſollte ſo ſein!
Doch der Künſtler iſt Menſch, iſt in Beziehung auf Lob
und Tadel vielleicht ein ſchwächerer Menſch, als An-
dere —“ ö
„Er gerade ſollte ſich nach dieſer Richtung hin von
Schwäche frei zu halten ſuchen“, unterbrach ihn die
Gräſin — „die Ausübung der Kunſt muß den Men-
ſchen über die Menge erheben —“
„Ganz recht, gnädigſte Gräfin — auch meine An-
ſicht iſt das durchaus. Der Künſtler muß ſich von je-
der Beeinfluſſung, die außerhalb ſeiner Kunſt liegt,
frei zu halten ſuchen —“ ö
„Sie meinen alſo, der Künſtler müſſe auf das Lob
oder Tadel Anderer nichts geben?“
„Jedenfalls kann er es Allen zugleich niemals recht
machen, das Urtheil des Publikums darf ihn nicht be-
einfluſſen, wenn er einer großen Kunſtrichtung ſich zu-
wenden will.“ ö ö
„Schätzen Sie das Urtheil des Publikums ſo gering“
„Wenn ich offen ſein ſoll, ja, gnädigſte Gräfin —
es hängt dieſes Urtheil ſo viel von angenblicklichen
Stimmungen, von oberflächlichen Einflüſſen ab, baſirt
ſo wenig auf Verſtändniß des Schönen und wahrhaſt
Künſtleriſchen, unterwirft ſich o ganz der Mode, die
nach Laune dieſen oder jenen Künſtler auf den Herr-
ſcherthron grhebt, daß ein Achten auf daſſelbe nur zu
Oberfachlichkett, zu Geizen nach augenblicklichen Erfol-
gen führen dürfte. Dem Streben nach künſtleriſcher
Vollendung ſteht es geradezu feindlich und hindernd
gegenüber.“ ö *
„Sie ſprechen ſehr . und beſonnen für einen
ſo jungen Mann“, ſagte dien Gräfin mit einem feinen
 
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