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Sie ſchaute ihm beruhigt in's Auge — ein Strahl
unendlichen Glückes flog über ihr Geſicht.
„Ich vertraue Dir ganz und voll!“ ſagte ſie innig
und reichte ihm die Hand hin. ö
Er ergriff ihre Hand, aber die ſeinige zitterte hef-
tig, als ihre feinen Finger ſie feſt umſchloſſen. Wie
von innerer Unruhe getrieben, ſprang er auf: „Laß
uns zur Mutter gehen, Käthchen!“ ſagte er — „ich
habe ja noch gar nichts von Euren Zukunftsplänen
gehört, und morgen in aller Frühe muß ich Euch ſchon
wieder verlaſſen.“
Hiermit ergriff er Käthchen's Arm und ſetzte ſich
mit ihr zu den Andern, in gefliſſentlicher Weiſe ſich
an den Berathungen betheiligend. ö

Fünfzehntes Kapitel.

Wochen und Monde waren ſeit dem Begräbniß des
Schulmeiſters vergangen. Der Schnee, der den Grab-
hügel, gleich nachdem er aufgeworfen worden, in ſei-
nen weißen Mantel eingehüllt hatte, war bereits wie-
der geſchmolzen, milde Lüfte begannen zu wehen und
lockten die erſten Frühlingsblüthen, die kleinen zarten
Schneeglöckchen, aus der aus langem Winterſchlaf er-
wachenden Erde hervor. ö

Käthchen ſtand in dem kleinen Gärtchen hinter dem
Schulhauſe nud betrachtete ſinnend die lieblichen Früh-
lingskinder, die eins nach dem andern ihr Köpfchen
aus dem zarten Grün der Blätter ihr entgegenſtreck-
ten; aber nicht freudig wie ſonſt begrüßte ſie dieſe
erſten Boten des Frühlings, Thränen glänzten in ihren
Augen, ſie bückte ſich, pflückte ein Schneeglöckchen und
drückte es wehmüthig an die Lippen. Es war ja das
letzte Mal, daß ſie in ihrem Gärtchen, auf dem ihr
eigen gehörigen, ſo ſorgſam gepflegten Blumenbeete
die Frühlingsblüthen emporkeimen ſah — die Zeit
rückte immer näher heran, wo das väterliche Haus ge-
räumt werden und ſie die Heimath für immer verlaſ-
ſen mußte. Die Stimme der Mutter rief Käthchen
in's Haus zurück. Frau Aßnes ſtand vor einem ge-
öffneten Koffer und war eifrig mit Sondern und Ein-
packen von Kleidungsſtücken beſchäftigt. Käthchen blickte
überraſcht auf das Thun der Mutter, war es doch
noch einige Wochen hin, bis der Umzug bewerkſtelligt
werden ſollte. Lächelnd blickte die Mutter auf das
fragende Antlitz. ö
„Beſinne Dich nicht lange“, rief ſie Käthchen heiter
zu, „ſondern lege raſch mit Hand an — morgen oder
übermorgen geht es fort nach der Reſidenz.“
Käthchen's Wangen färbten ſich mit dem Purpur
der Ueberraſchung und Freude.
„Nach der Reſidenz?“ fragte ſie bebend.
„Ja, nach der Reſidenz!“ rief die Mutter, ſprang
auf und drückte ihr liebliches Kind innig an die Bruſt.
„Der Hebnng meiner Erbſchaft wegen müſſen wir doch
in nächſter Zeit nach der Reſidenz. Warum alſo nicht
ebenſo gut heute als morgen die Reiſe unternehmen?“

— Käthchen blickte ihre Mutter noch immer in faſſungs-
loͤſem Staunen an.
„Du ſollſt Deinen Paul wiederſehen,“ fuhr Frau
Agnes mit glücklichem Lächeln fort, „ſollſt ihn inmitten
der Freude ſeines erſten Künſtlererfolges überraſchen.“
Bei dieſen Worten reichte ſie Käthchen ein Zei ·
lugszblatt hin, das neben ihr auf dem Tiſche ge-
egen. ö
Lies“, ſagte ſie, und blickte auf das in freudiger
Erregung ſich immer dunkler färbende Antlitz Käth-
chen's. Das Blatt zitterte in Käthchen's Hand, als
ſie mit den Augen die ihr von der Mutter bezeichuete
Stelle überflog. Es war eine Konzert-Anzeige. Eine
Anzahl vornehmer Damen und Herren hatten ein
Komite gebildet, um zu einem wohlthätigen Zwecke ein
Konzert zu arrangiren, das der hochklingerden Namen

der Mitwirkenden und des hochgeſtellten Preiſes wegen

eine gute Einnahme in Ausſicht ſtellte. Als Unterneh-
merin des Ganzen war die Gräfin Conſtanze von Lands-
feld unterzeichnet, als Dirigent: Paul Gruber. Die
beiden Namen ſtanden untereinander, Käthchen's Au-
gen hafteten darauf mit einem ſeltſamen Gefühle pein-
voller Angſt. Sie wurde ſehr bleich und ihre Hand
ſtützte ſich auf den Tiſch. ö
Frau Agnes blickte ſie erſchrocken an und faßte ſie
beſorgt in ihre Arme.
„Um Gott, Kind, was iſt Dir? Was bewegt Dich
ſo? Iſt es Freude oder Schmerz? —“ ö
Käthchen ſuchte ſich zu faſſen: „Die Ueberraſchung“
— ſtotterte ſie — ö
Frau Agnes ſah bald Käthchen, bald bas Zeitungs-
blatt an: „Ich begreife Dich nicht“, ſagte fie endlich,
„oder wie?“ ſetzte ſie hinzu und ſah der Tochter for⸗—
ſchend in's Auge, das ſich verlegen vor dieſem Blicke
ſenkte — „iſt es Eiferſucht, die Dich bewegt — die
Gräfin Landsfeld?“ — Käthchen's Wangen färbten
ſich mit dunkler Gluth, ſie zuckte zuſammen — ö
„Alſo das iſt es?“ fuhr die Mutter langſam fort
und hob der Tochter geſenktes Haupt in die Höhe. —
„Sprich, was iſt es mit Paul und der Gräfin?“
„Nichts, als was Du weißt, liebe Mutter — was
ich Dir bereits erzählt habe.“
„Du haſt mir erzählt“, ſagte die Mutter, „daß
Paul viel in dem Hauſe der Gräfin verkehrt, daß er
unter ihrer Protektion einen Geſang-⸗Verein leitet, daß
ſie ihn in die Kreiſe des Adels führt und ihm ſeine
Künſtlerlaufbahn zu ebnen ſucht — iſt es ſo?“
„Ja“, war Käthchen's leiſe geflüſterte Antwort.
„Und warum dann dieſe Aufregung, dieſe Angſt?“
fuhr die Mutter zärtlich fort und ſchlang ihren Arm
um den zarten Leib der Tochter. Käthchen lehnte ihr
Haupt an die Schulter der Mutter und flüſterte mit
kaum hörbarem Seufzer: „O, Mutter, ſie ſoll ſo ſchön,
ſo wunderbar ſchön ſein — Paul ſchrieb ſo entzückt
von ihr, als er ſie kennen lernte.“
(CFagortſetzung ſolgt.)
 
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