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Braunſchweig.
Von Dr. Jahn.

Die Herren Feuilletoniſten haben das ihnen durch

den Tod des Erzherzogs Karl von Braunſchweig auf-

geſchloſſene Gebiet mit großem Fleiß bearbeitet, aber

auch mit großer poetiſcher Licenz. Unter ihren an
Sarkasmus ſo reich geſättigten Federn iſt dadurch je-
doch ein ſo durchaus falſches Charakterbild entſtanden,
daß es Zeit erſcheint zu Ehren der Wahrheit einmal
mit Hinweglaſſung aller Pikanterie und Poeſie aus den
nakten Thatſachen allein dem Verſtorbenen eine Grab-
rede zu ſchreiben. Da wird ſich's zeigen, daß dieſer
Abkömmling Heinrichs des Löwen, deſſen von Brey-
mann ſo prächtig modellirte Statue demnächſt in Braun-
ſchweig zur Aufſtellung gelangt, bei Weitem zu milde
beurtheilt iſt, wenn man ihn ſchlechthin „Ie duc ſou“
oder den Demimondeherzog oder den Diamantenfürſten
nennt. So mag er ſich in Wien, als er noch unter
Vormundſchaft ſtand, der Außenwelt gezeigt haben, ſo
können ihn auch die Flaneurs und Bal mabile⸗Stamm-⸗
gäſte in Paris nach ſeinem Treiben auf den Boule-
vards und den zweideutigen Tanz- und Spielhäuſern
beurtheilen, aber der braunſchweigiſche Unterthan „Sr.
Durchlaucht Karl“ während ſeiner Regierungszeit vom
30. Oktober 1823 bis zum 7. September 1830 und
der unparteiiſche Hiſtoriker wird für ihn keinen andern
Titel finden können als den eines fürſtlichen
Bravo.
Jedes edle Gefühl war ihm fremd, er kannte we-
der die Freundſchaft noch die reine keuſche Liebe zum
Weibe, er zeigte ſich niemals erkenntlich für geleiſtete
Dienſte, noch bezeigte er jemals Ehrfurcht für ſeine
nächſtſtehenden Verwandten, dagegen beſaß er eine un-
erſättliche Habſucht, war beſeelt von einer nie ver-
glimmenden Rachgier und hatte ſeine Luſt und innigſte
Freude am Morden. Er, der faſt hundert Millionen
hinterläßt, ſcheute ſich nicht, ſelbſt ſeine Bedienten,
wenn er ihrer Dienſte nicht mehr bedurfte, grundlos
wegzujagen, nur um ſie dabei um die letzte Rate ih-
res Gehaltes ober um ausgelegte Snummen betrügen
zu können, mochte es ſich auch nur um hundert Franes
handeln. An Feigheit — darin allerdings haben die

Feuilletoniſten das Richtige getroffen — kam ihm Nie-
mand gleich, während ihm wiederum fälſchlicherweiſe

Geiſt und Begabung zugeſprochen wird, obwohl er doch
nur mit einer ſelten raffinirten Schlauheit und Pfiffig-
keit begabt war. Iſt er wirklich närriſch oder ver-
rückt geweſen, ſo haben ihn die Wolluſt und nieder-
trächtige Orgien dazu gemacht; in der Jugend war
wenigſtens keine Spur einer Geiſtesſtörung an ihm zu
beobachten. Ob eine falſch geleitete Erziehung den

Menſchen in ihm erſtickte und das teufliche Zerrbild

aus ihm gebar, das dürfte heute noch nicht zu ent-
ſcheiden ſein, für ein Ammenmärchen, aber halte ich,

daß Georg IV., König von England und Hannover,

laſſen.

— Imit Vorbebacht die beiden letzten Sprößlinge der äl-
— ö 7„ Iteren Welfenlinie ſo leiten ließ, daß aus ihrem Herzen
Zur Charakteriſtik des Herzogs Karl von

eine Mördergrube und aus ihrem Gehirn ein Narren-
haus werden mußte. Der eine ihrer Erzieher, Hof-

rath Eigner, der hochgeehrt und tiefbetrauert von der

ganzen braunſchweigiſchen Bevölkerung lange nach der
Verjagung des Herzogs Karl ſtarb, war ein braver,
humaner und gutgebildeter Mann, der andere Gouver-
neur, der die Erziehung aber kaum die letzten beiden
Jahre mit dem Hofrath Eigner in Gemeinſchaft zu lei-
ten hatte, Baron von Linſingen, ſcheint eine ſchroffere,
ſtrammere aber ſicher nicht eine unedle Natur geweſen
zu ſein. Verſäumt iſt gewiß Manches, vor Allem
fehlte den früh verwaiſten Prinzen die Elternliebe und
das Familienleben, denen die zarteren Triebe und
Regungen des menſchlichen Herzens großzuziehen weit
eher gelingt.
Wie nun zeigte ſich der Prinz Karl, als er zum
Antritt der Regentſchaft ins Land zog, um von ſeinem
Verhalten als Minderjähriger ganz zu ſchweigen?
Vater und Großvater waren auf dem Schlachtfelde ge-
fallen reſp. der anf demſelben erhaltenen Wunden er-
legen, der eine bei Quatre Bras, der andere bei Jena,
und nicht nur der ritterliche Tod allein, auch reiche
bürgerliche Tugenden hatten ihnen die aufrichtigſte
Verehrung ihrer Unterthanen erworben. Dieſe Ver-
ehrung übertrugen die guten Braunſchweiger ohne
Zögern auch auf den Nachfolger, dem ſie deswegen
mit wahrhaftem Jubel, ja mit ausgelaſſener Freude
und in überſtrömender Loyalität den Einzug bereite-
ten. Er aber blieb kalt und unbewegt bei demſelben
und verweigerte dieſen braven Seelen die Anerkennung
ihrer kümmerlichen konſtitutionellen Verfaſſung; er be-
ſchwor ſie nicht und dabei blieb es aller Bitten un-
geachtet.
Gern hätte der Herzog ſofort ſeiner Rachgier ge-
gen das Miniſterium, das während ſeiner Minderjäh-
rigkeit das Land, und zwar zum Segen deſſelben re-
gierte, befriedigt, namentlich vermochte er kaum ſeine
Luſt zu bändigen, den Geheimrath von Schmidt⸗Phiſel-
deck, dem die Verwaltung des Kammergutes und des
Fideicommiſſes ſeines Hauſes obgelegen und dem die
vormundſchaftliche Regierung Georg IV. das größte
Vertrauen geſchenkt hatte, über die Klinge ſpringen zu
Aber ihn zügelte noch ein dem Fürſten Met-
ternich gegebenes Verſprechen. Der aalglate Wiener
Diplomat hatte ihm als Preis der durch ihn erlangten
Souveränitätsanerkennung des Herzogs mit den 18.
Jahre die Bedingung auferlegt, während der erſten
drei Jahre Alles in dem Zuſtande laſſen zu wollen,
den er vorfände. „Der König Gerorg IV.“, ſo lau-
teten Metternichs eigene Worte, „hat die Behauptung
aufgeſtellt, daß Sie wenigſtens noch drei Jahre zu
jung wären, um zu regieren; ich habe dem widerſpro-
chen; Ihre Sache iſt es jetzt, zu beweiſen, daß ich

mich nicht geirrt habe.“

Cortſezung folgt.)
 
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