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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 23.1875

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.62253#0218
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Illustrirte Welt.


Wenn die Kleidung als ersten Zweck haben muß, den Menschen
.gegen den Einfluß der Witterung zu schützen, die Wärmeverhält-
nisse zu reguliren, Feuchtigkeit abzuhalten und was dessen mehr ist,
so gibt es doch unter den zur Kleidung benutzten Stoffen einige,
die sich durch enorme Preise auszeichnen und genau besehen eigent-
lich gar nicht dem Zwecke der Bekleidung entsprechen, da sie zum
größten Theile aus Zwischenräumen bestehen, die weder die Wärme
zurückhalten, noch ihren Zutritt verwehren.
Dieser Stoff sind — die Spitzen.
Im wahren Sinne des Wortes sind sie kein eigentliches Beklei-
dungsmaterial und dienen nur zum Schmuck. Wenn nun Leute
gegen den Schmuck überhaupt eifern, so lassen sich diesen zwei Gründe
-gegcuüberstellen, denen beiden sie — sie mögen wollen oder nicht —
dennoch zustimmen müssen.
Zum Ersten ist in der Natur ebenfalls Schmuck vorhanden:
glänzende Farben, Wohlgernch bei den Blumen; Schmetterlinge
schimmern in unnachahmlicher Pracht und etliche unscheinbare In-
fusorien leuchten zur Nacht und verwandeln das Meer in flüssiges
Feuer. Wenn der Mensch sich als Krone der Schöpfung betrachtet,
so ist er wohl berechtigt, sich so gut zu schmücken wie er kann, und
deßhalb ist den Spitzen das Wort zu reden — nur müssen sie dem
Ehegemahl nicht allzu theuer kommen.
Für's Zweite aber — und das ist der Hauptgrund — unter-
stützt der Gebrauch der thcuren Spitzen die Spitzenindustrie, und
da hierbei die Arbeit bezahlt wird, während das Material wenig
Werth ist, und weil Geschick und Fleiß ihren Nutzen ziehen, ist der
Luxus mit Spitzen Denen, die sich denselben erlauben können, wohl
zu empfehlen.
Werfen wir einen Blick auf die Spitzenfabrikation, um ihre
Bedeutung für die Industrie kennen zu lernen und uns mit dem
Spitzenluxus auszusöhnen.
In Italien wurden die ersten Spitzen fabrizirt. Die älteste
schriftliche Erwähnung von mit der Nadel gemachten Spitzen findet
sich aus dem Jahre 1469; allein auf einer Majolikaschüssel aus
dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts und auf einem Gemälde
von Bellini in der Galerie zu Venedig sieht man, schon Damen
abgebildet, welche Krausen von weißen Spitzen tragen. Spitzen
wurden in Italien meist von Nonnen verfertigt, aber eigentlich nur
zu kirchlichem Gebrauche. Berühmt waren Venedig und Mailand
durch genähte Spitzen, Genua aber durch gewebte. Auch in Florenz,
Neapel und dein Kirchenstaate ward die Kunst geübt, schlief aber
freilich bald wieder ein; dasselbe geschah mit dem xuuto äi Lurano,
welcher noch um 1815 auf der Insel Burauo bei Venedig verfer-
tigt ward und den alenyoner Spitzen sehr ähnlich war; nur in
Genua dauert die Kunst noch fort, namentlich in der Anfertigung
von schwarzen Blonden nach Art der Spitzen von Chantilly. Eine
ganz eigene Art Arbeit aus schwarzen und weißen Fäden oder ver-
schiedenfarbiger Seide sind die Spitzen von Albissola bei Savona,
die namentlich nach Spanien gingen, aber seit dem Anfänge dieses
Jahrhunderts abkamcn. An demselben Orte machen die Bauern
auch Spitzen aus den Fäden der Aloe, allein diese lassen sich nicht
waschen. In Genua und Chiavari machen endlich noch Kinder
eine Art Spitzen mit hcrabhängenden Fäden, masrams genannt,
die man als Verzierung an Damasthandtücher näht.
Die spanischen Spitzen waren namentlich zur Zeit Ludwig's XIV.
sehr berühmt, im eigentlichen Sinne des Wortes verstand man aber
unter xoiut ä'LspaAno immer nur Gold- und Silberspitzen, zu-
weilen auch farbige, die gerade damals sehr häufig getragen wurden.
Die Kunst, solche anzufertigen, kam aus Italien nach Spanien und
von da nach Flandern, wogegen das Weben und Klöppeln der
-Spitzen wiederum von hier dorthin verpflanzt ward. Ein Haupt-
industriezweig ist heute noch für Katalonien und die Mancha das
Verfertigen von seidenen Spitzen oder Blonden, die allerdings den
französischen von Bayeux und Chantilly nicht gleichkommen, aber
namentlich im Jnlande für die nationale Mantilla unentbehrlich
sind. Eine besondere Art von Spitzen verfertigten im siebenzehnten
Jahrhundert noch die Abkömmlinge von Mauren, die in Spanien
Leblieben waren und das Christenthum angenommen hatten. Dieß
waren die sogenannten äentollos äs Llorssss. Von Spanien aus
verbreitete sich zwar die Kunst des Spitzenmachcns nach Portugal,
allein hier nahm sie nie einen besonderen Aufschwung.
Flandern macht Italien die Erfindung des Spitzenwebens und
Klöppelns streitig. In einer Seitenkapelle des Chores der St. Peters-
kirche in Löwen (Imuvaiu) ist ein Altarbild von Quentin Matsys
mit der Jahrzahl 1495, auf welchem ein Mädchen dargestellt ist,
welches mit Klöppeln an einem Kissen Spitzen verfertigt. Fast hun-
dert Jahre später lieferte Martin de Vos eine Zeichnung (1581),
auf welcher so ziemlich derselbe Gegenstand dargestellt wird. Jeden-
falls war im sechzehnten Jahrhundert, wo jedweder Industriezweig
durch die Religionskriege unterdrückt ward, die Verfertigung der
Spitzen der einzige Erwerbszweig, der Flandern vor gänzlicher Ver-
armung schützte. Das ganze nördliche Europa, Frankreich, Deutsch-
land und England lernte die Kunst von diesem Lande, und obwohl
durch Colbert demselben eine große Menge Arbeiter entzogen ward,
so erhielt sich die Kunst doch in ihrer Blüte, ohne irgendwie dem
Lande seine physischen Kräfte zu entziehen, denn die Kunst wird bis
auf den heutigen Tag, wo immer noch hundertundfünfzigtausend
Frauen damit beschäftigt sind, lediglich durch weibliche Hände be-
trieben. Die Kunst selbst ward seit Karl's V. Zeit in Schulen und
Klöstern gelehrt und bildet einen Haupttheil der weiblichen Erziehung.
Was nun die einzelnen Städte anlangt, wo man sich mit Spitzen-
verfertigung beschäftigt, so steht Brüssel obenan, .wo man im
siebenzehnten Jahrhundert die fälschlich sogenannten pviut8 ä'Xn§Is-
tsrro für englische Rechnung machte und sich namentlich durch das
feinste Garn auszeichnet. Die Fabrikation selbst ist hier so kompli-
Mt, daß sieben verschiedene Personen zu der Verfertigung der feinsten
Sorte Spitzen nöthig sind, nämlich eine broellslsuss, eine äsnts-

lisrs, eine kaissuss äs p>oint I'ai^uiUs, eine lonnsuss, eine join-
isuss, eine xlutisuss und eine strigususs. Neben Brüssel werden
noch als Fabrikationsorte Binche, Mecheln (nm 1665), Antwerpen
(um 1598), Ipern, wo man seit 1656 unechte Valenciennes machte,
Brügge, Courtray, Meuin, Gent, Alost, Mons, Lüttich und St.
Trond genannt, allein keine dieser Städte ist an Ruf der Haupt-
stadt je gleichgekommen.
Nach Frankreich ward durch die Valois und Katharina von
Medicis jener fabelhafte Luxus in Stickereien und Gold- und Silber-
spitzen aus Italien verpflanzt, den wir an den französischen Ko-
stümen aus jener Periode bemerken. Namentlich waren es die un-
geheuren Halskrausen, durch welche sich die Stutzer jener Zeit aus-
zuzeichnen suchten. Pierre de l'Etoille, der Chronist Heinrich's III-,
sagt von ihnen, sie seien einen halben Fuß lang gewesen und die
Träger derselben hätten ausgesehen, wie der abgehauene Kopf Jo-
hannis des Täufers in der Schüssel. Wegen der Aehnlichkeit dieses
Putzstückes mit einem Kalbsgekröse riefen im Jahre 1579 pariser
Studenten, die sich ungeheure Krausen von Papier gemacht hatten,
Heinrich III. zu: X la Irai8s on sonuoit 1s vsau! Die unge-
heure Verbreitung, welche zuerst die Spitzenkrausen, dann die über-
schlagenen Spitzenkragen, die Manchctten an den Aermeln und unter
den Kuieen, sowie die Spitzenrosen aus den Schuhen am französi-
schen Hofe fanden, machen es erklärlich, daß zu Ende des sechzehnten
Jahrhunderts eine Anzahl Musterbücher zu Paris erschienen (von
Pelegrin, Vinciola, Mignerac u. A.) und wiederholt aufgelegt
wurden. Der von Tag zu Tag steigende Luxus mit diesen Spitzen-
dekorationen rief eine Menge Karrikamren und strenge Kleiderord-
nungen hervor, allein leider ohne Erfolg.
Plan kann sich buchstäblich keine Idee von den Extravaganzen
der damaligen Modenarren machen; so sind z. B. die großen
Kanoncnstiefeln mit den breiten Spitzenüberschlägen, die Ludwig XIV.
auf einigen seiner Porträts in Lebensgröße trägt, das Abenteuer-
lichste, was man nur sehen kann. Um nun zu verhindern, daß
Unsummen für flandrische und spanische Spitzen aus dem Lande
gingen, errichtete Colbert auf seinem Schlosse Lonray (Departement
de l'Orne) eine Fabrik für Spitzenfabrikation, wo unter der Leitung
der Madame Gilbert aus Alenyon dreißig aus Venedig verschriebene
Arbeiterinnen die nachher sogenannten xoiut8 äs Brunos verfertigten.
Die ersten Versuche fanden so viel Beifall am Hofe, daß es von
nun an Ehrensache war, nur solche, keine fremden Spitzen zu tragen.
Nun kam die Mode der ungeheuren Busenstreisen und Schnupftücher
mit Spitzen für die Herren, der Hängeärmel, Spitzenhalsschärpen
und Spitzencoisfüren für die Damen, die sich bis zur französischen
Revolution erhielt.
Dieselbe Mode blieb noch unter Ludwig XV., namentlich was
die Spitzen an den kurzen Aermeln, auf den Coisfüren und um den
Busen an den ausgeschnittenen Hofklcidern anging; doch wurden zu
dieser Zeit bereits die französischen Spitzen durch die englischen und
mechelner verdrängt. Am weitesten trieben es in dieser Art Ma-
dame Dubarry und einzelne Kirchenfürsteu, namentlich trug der
bekannte Kardinal Rohan, wenn er zu Versailles an Festtagen die
Messe las, ein Chorhemd, an welchem für hunderttausend Livres
Spitzen waren.
Auf kurze Zeit drängle allerdings die französische Revolution den
Spitzenluxus zurück, allem derselbe erwachte bald wieder unter dem
Konsulate und erreichte seinen Zenith in der Kaiserzeit, denn Napo-
leon und Josephine schwärmten beide für alenyoner, Valencienner
und brüsseler Spitzen. Was nun die Fabriken anlangt, durch
welche die Spitzenarbeit in Frankreich auf einen so hohen Grad von
Vollendung gebracht worden ist, so nennen wir Alenyon im Departe-
ment de l'Orne, Colbert's Schöpfung. Vor der Revolution führte
diese Fabrik jährlich für zwölf Millionen Livres Spitzen aus, dann
verfiel sie, ward von Napoleon auf's Neue gehoben und hat seit
dieser Zeit nicht aufgehört, Vorzügliches zu leisten. Der hohe Preis
wird veranlaßt durch die mühsame und zeitraubende Herstellung.
Die xoint8 ä'Xlsuyon werden mit der Hand vermittelst einer-
feinen Nadel auf einem pergamentnen Muster in einzelnen kleinen
Stücken gemacht, die dann durch fast unsichtbare Nähte verbunden
werden; jeder einzelne Theil wird von einer andern Hand gemacht,
so daß zu einer vollständigen Spitze achtzehn verschiedene Personen
nöthig sind (pigusu8s, truosu8s, r68slsu86, rsmxIi886U86, kon-
ä6U86, moäsu86, broäsu86, sboulsu86, rSAgIsU86, U886mb1sll86,
touolisu86, driä6U86, l>0uoisu86, §rarSU86, mi§N0NN6U86, pnoo-
tsu86, aktiu6U86 und g,üigusu86). Fast gleichzeitig mit Alenyon
ist die Fabrik von Argentan (Dep. de l'Orne); sie verfiel um 1708,
hob sich dann wieder durch Mathieu Guyard, einen Kaufmann aus
Paris, allein nach der ersten französischen Revolution vermochte sie
sich nicht wieder zu erholen, wiewohl noch zu Anfang dieses Jahr-
hunderts Leidliches von ihr geleistet ward. Sehr fleißig arbeitete
man in der Normandie, zu Havre, Caen, Dieppe, Harfleur; frei-
lich aber nicht mit dem Erfolge, wie zu Valenciennes, wo in dem
Glanzpunkte der dasigcn Fabriken von 1725—1780 dreitausend bis
viertausend Arbeiter thätig waren. Diese Blütezeit dauerte jedoch
nur bis zum Jahre 1780, im Jahre 1790 gab es bloß noch zwei-
hundertundfüufzig Spitzenarbeiter und im Jahre 1851 waren ledig-
lich noch zwei Greise übrig, welche die vrais8 Vul6N6isnn68 zu
liefern im Stande waren.
Man kann sich einen Begriff von der außerordentlichen Kost-
barkeit dieser Spitzen machen, wenn man erfährt, daß, während
Spitzenarbeiter von Lille täglich drei bis fünf Ellen fertig brachten,
in demselben Zeiträume die Valencienner Arbeiter nur ein und einen
halben Zoll machen konnten; ja die besten Arbeiter brauchten ein
ganzes Jahr, um eine einzige Elle anzufertigen. Von sechzehntau-
send Arbeitern, die man 1788 zählte, sank die Zahl im Jahre 1851
auf sechzehuhundert, während in Arras gleichzeitig noch achttausend
übrig waren. Unechte Valenciennes liefert Bailleul, namentlich für
den Export nach Amerika und Indien. In Paris selbst wurden
seit 1665 namentlich die Gold- und Silberspitzen verfertigt, die
unter dem Namen xoints ä'L8pa§us in ganz Europa berühmt
waren; viele Arbeiter in dieser Manier wanderten aber nach dem
Edikt von Nantes aus und verpflanzten diese Kunst nach Deutsch-
land, Italien und Spanien. In Chantilly und der Umgegend
arbeitete man vornehmlich Spitzen in dem Geschmack von Lille,
und die Fabriken daselbst standen namentlich unter der Protektion
der Marie Antoinette.
Am meisten blühten die Spitzenfabriken während der Kaiserzeit.
Zu Le Puy in der Auvergne arbeiten noch über fünftausend Frauen
unechte Valenciennes, und in den vier Departements Haute-Loire,
Cantal, Puy de Dome und Loire zählt man gegen hundertund-
dreißigtausend Arbeiterinnen, die jede Gattung von Spitzen verfer-
tigen. Nach einer statistischen Berechnung beschäftigte Frankreich
im vorigen Dezennium in diesem Industriezweige zweihundertund-
vierzigtauscnd Arbeiter.

2l9

Auch in Deutschland steht die Fabrikation von Spitzen in einigen
Gegenden in Blüte. In nicht weiter Entfernung von Hamburg,
an der Westküste Holsteins, werden auch Spitzen geklöppelt, jedoch
wird auf diesem Gebiete die Hand täglich mehr durch die Maschine
verdrängt.

Unsere Bilder.
Ärvökf Millionen.
(Bild S. 198.)
Die Erklärung zu dem Bilde auf Seite 165 findet der geneigte
Leser in dem Roman „Zwölf Millionen".

Dee berliner Meiknackt8marbt.
(Bild S. 196 und 197.)
Der berliner Weihnachtsmarkt gehört zu den bedeutendsten und
originellsten seiner Art, weniger durch die ausgelegten Maaren als
durch seine Größe und das Volksleben, welches sich zwischen dem
Budengewirr entfaltet. Etwa acht Tage vor Weihnachten schon
tauchen in fast allen Theilen der großen Stadt an den Straßen-
ecken Vorposten der großen Budenarmee auf, welche den großen
Schloßplatz und dann die Brate Straße zu ihrem Ceutrum 'wählt.
Wo nur irgend eine belebte Straßenkreuzung ist, stehen jetzt Buben
und Mädchen mit Knarren, Waldteufeln, sind auf Fußbänken Obst-
körbe rc., Miniaturspielzeughandlungen etablirt. — Dieß verschwin-
det aber vollständig dem eigentlichen Markte gegenüber, der eine
kleine Budenstadt mit Straßen und Plätzen für sich ist, und wo ein
Leben herrscht vom frühen Morgen bis zum späten Abend wie bei
einem Volksfest. Ein Chaos von Tönen wogt hier mit dem Men-
schenstrom um die Wette. Da werden Knarren geschwenkt, Pfeifen,
Trompeten, Mundharmonikas geblasen. Alles mögliche Ausgerufene
von sogenannten fliegenden Händlern, worunter besonders die Schäf-
chenverkäufer, Gypsmedaillenhändler uud Phramideuverfertiger sich
dem Ohr gellend und verwirrend aufdrängcn. Hier schreit ein halb-
wüchsiger Bursche Schuhbänder aus, dort drängt sich ein kleines
Mädchen durch die Menge, kläglich ihr „ein Dreier das Schäfchen"
auöbietcnd. „Ein Groschen die Perjamide" (Pyramide) brüllt es aus
unzähligen Kinderkehlen, die in dem Mmscheustrome sich Herum-
treiben. Von den Buden aus hört man die Anpreisungen der Ver-
käufer, das Probiren aller möglichen Kinderinstrumente, von der
Pfeise, welche das Geschrei der kleinen Kinder nachahmt, bis zur
Drehorgel und Spieldose; dazwischen trommelt und klingelt es, wird
gezankt, gefeilscht, geschimpft und geweint, treiben Taschendiebe, Bett-
ler, Jndustrieritter und -Ritterinuen ihr Wesen, fahndet der Schutz-
mann nach Gesetzübertrctern und bringt der Karren und die Kutsche
Verwirrung und Stockungen in den Knäuel. Zu kaufen kann man
auf dem Markte alles Mögliche bekommen: Jacken, Strümpfe,
Shawls, Bücher, Bilder, Schlitten, Handwerkszeug, Bijoutcrieeu,
Glaswaaren, Musikinstrumente, Konfitüren, Obst, lebende Hunde,
Kaninchen, weiße Mäuse, Vögel u. s. w. u. s. w. Für den ber-
liner Weihnachtsmarkt charakteristisch sind aber die „Perjamiden",
Pyramiden aus Holzstäben, mit grünem Papier umwickelt und mit
Lichterhaltern, als „kunstvoller Ersatz des Tannenbaums", die Wolle-
schäfchen, die „Mehlthuten" aus Lebkuchen, die Waldteufel, Brumm-
instrumente, welche sich überall dem Auge aufdrängen und überall
in allen Stimmmodulationen angeboten werden. Es herrscht ein
ganz unglaubliches Leben und Treiben in dem nicht groß bemessenen
Raume zwischen dem Stadtschloß und dem kölnischen Fischmarkt,
wohinein der eigentliche Weihnachtsmarkt gebannt, ganz besonders
des Abends, wenn sowohl viele der fliegenden Händler ihre Lichtchen
haben, als auch die Buden glänzend erleuchtet sind, und hat deß-
halb die berliner Weihnacht eine ganz eigene Physiognomie.

Die Nepomulibrückre in Prag.
(Bild S. 201.)
Prag ist eine eigeuthümliche Stadt, deren ausgeprägter Charak-
ter ihr eine ganz isolirte Stellung unter den Städten der öster-
reichischen Monarchie gibt. An der breiten Moldau gelegen, mit
vielen stolzen prunkvoll ernsten Kirchthürmen, alterthümlichen düstern
Häusern und dem hochragenden Hratschin, dem einstigen Sitz der
böhmischen Herrscher, besitzt diese Stadt etwas Königliches, fast
italienisch Pittoreskes, einen Zug eigenthümlicher Romantik, der mit
einem Anhauch von Verfall, ähnlich wie bei Venedig, verschmolzen ist.
Es mag dieß mit dem Mittelalterlichen dieser stolzen Stadt zu-
sammenhängen, in der Flut von Erinnerungen längst verrauschter
prächtiger Zeiten für Prag begründet sein, aber etwas Melancho-
lisches wie etwa eine depossedirte Größe ist der Hauptstadt Böhmens
und dieß verleiht ihr einen so originellen Reiz. Unser Bild führt
uns zu einer Hauptverkehrsader der großen Stadt, zur Nepomuks-
brücke, einer circa 1790 Fuß langen, 55 Fuß breiten und 42 Fuß
hohen, auf 16 Bogen über die Moldau gewölbten Steinbrück,
um die Mitte des 14. Jahrhunderts von Karl IV. erbaut und
reich geschmückt mit Heiligen-Standbildern. Der heilige Nepomuk
soll von hier hinab in die Moldau gestürzt worden sein. Die ge-
waltige Quaderbrücke macht einen imposanten Eindruck, wozu auch
die mittelalterliche Umgebung der zwei festen Brückenthürme viel
beiträgt. Von der Brücke aus hat mau eine prächtige Aussicht
nach dem Hratschin hinauf, nach der Judenstadt und Neustadt auf
die Bergstadt Wissehrad, die sogenannte Kleinseite und das Dorf
Smichow. Ein mächtiges und malerisch schönes Städtebild.

Im Aquarium.
(Bilder S. 209.)
Den Text zu diesen zwei Bildern findet der geneigte Leser in
dem Artikel „Aguariumstudien" von Or. Karl Nuß auf S. 206.
 
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