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Dr. H, v. Hug-ddelimuth
bitteren Stunde der ersten Enttäuschung, die sie gemeinsam mit Boris
erlitt, als sie den Bruder leiden sieht, »ganz Feines, Seltsames: Fast
wie ein mütterliches Empfinden«, Schon vorher hatte es an die Tore ihrer
kindlichen Seele gepocht; sie fand es nicht schön, »daß ihr Puppen-Baby von
beträchtlicher Größe die Augen nicht bewegen konnte und daß die Haare
auch nur darauf gemalt sind« — gar nicht wirkliche Haare, Und bekümmert
meinte sie: »Früher kam es mir darauf gar nicht an, jetzt kränkt es mich
aber.« Die einsamen Waisen Dascha und Mascha haben ihre Liebe, nach
der niemand fragt, einem Kanarienvogel zugewendet und in Zärtlichkeit und
Fürsorge ihn zu Tode gebadet. Und in ihrer Verlassenheit erscheint ihnen
der Ersatz, den die gutmütige Magd ihnen schenkt, ein Vögelchen aus Pappe
auch liebenswert, Ljubow aber ist aus ihrem Kindertraum geweckt worden
durch Matuschkas ehrliche Bewunderung ihrer jungen Schönheit, »Durch alle
Adern fühlte sie es leise rinnen, leise rauschen, wie lauter willige Wärme,
wie lauter sehnende Kraft, als vermöchte sie, es dem Wind und Wasser
und Sonnenglanz und allen Wundern der Erde gleichzutun, — und es kam
ihr vor, als sei sie alledem heimlich verwandt.«
Nicht alle aus der Schar derer, von denen Elternhaus und Welt ver-
langen und voraussetzen, »daß sie von nichts was wissen sollen«, rettet
die große, schöne Liebe eines Vater=Geliebten aus ihrem Konflikte. Die
meisten der »gewesenen Kinder« müssen sich allein zurechtfinden in dem
Rätselhaften, Lockenden. Lind sie tun es, indem sie sich eng aneinander
anschließen in jenen Freundschaften mit tausend Geheimnissen, mit dem
ewigen Tuscheln und Kichern der Backnschjahre. Ihre jungen Seelen wissen
aber genug, um in den kühnsten Phantasien zu schwelgen über die LIntaten
des Mannes,- der echte Ritter Blaubart, einer, der während seines Auf-
enthaltes im Auslande »keineswegs immerzu studiert hat,« ist ihnen der
liebenswerteste. Weil sie selber sich der Weibesliebe noch nicht gewachsen
fühlen, wollen die Halbwüchsigen so gern fremde Seelen retten, fremde
Liebe schützen und fördern. So rühmen auch Lisa und Anna sich, dem
Brautpaar, das im vorigen November Hochzeit gemacht, die Wege geebnet
zu haben. »— — und daß wir sie immer unversehens irgendwo zu zweien
ließen! Wenn wir nicht gewesen wären, ich wette, so säßen sie noch heute
und redeten vom Wetter, glaubst du nicht auch?«
»Beide wühlten kidiernd ihre Köpfe aneinander,
,Ich schlage vor, daß wir von ,Mäusen7 zu Schutzengeln und Vor-
sehungen avancieren!7 rief Lisa . . .
Und nun tuschelten sie sich Einzelheiten über diesen Brautstand ins
Ohr, die sie bis zu Krämpfen lachen machten.«
Wenn aber eine halbreife Seele allein bleibt, wenn ihr das lose
Scherzen und Tändeln mit Altersgenossen fehlt, wenn der »Mann« plötzlich
unerwartet in ihr Leben einbricht, dann formt sich ihr, wie der armen jungen
Dascha, die sich mit der Schwester eins wähnte, »die Vorstellung von etwas
Gewaltsamem, Brutalem, der Mann wie eine bis an die Zähne bewaffnete
Macht — ein drohendes, bärtiges Räubergesicht, — gezückte Messer —
Unter dem dumpfen Gefühle, daß der Mann, »er, von dem das Böse aus-
ging, alle böse Macht und auch die Liebe, — er ,der Mann7« »ihre« Mascha
getötet, bricht die bisher ahnungslose Dascha zusammen: sie begreift, daß
»Mascha nicht erst heute von ihr fortgegangen war«. »Mascha hatte einen
Mann lieb gehabt. Einen, von dem Dascha nichts wußte.
Masdia hatte also ganz für sich gelebt, — nicht nur heute, — nein,
immer sdion, die ganze Zeit. Sie war gewesen, wo Dascha nie mit ihr war.
Dr. H, v. Hug-ddelimuth
bitteren Stunde der ersten Enttäuschung, die sie gemeinsam mit Boris
erlitt, als sie den Bruder leiden sieht, »ganz Feines, Seltsames: Fast
wie ein mütterliches Empfinden«, Schon vorher hatte es an die Tore ihrer
kindlichen Seele gepocht; sie fand es nicht schön, »daß ihr Puppen-Baby von
beträchtlicher Größe die Augen nicht bewegen konnte und daß die Haare
auch nur darauf gemalt sind« — gar nicht wirkliche Haare, Und bekümmert
meinte sie: »Früher kam es mir darauf gar nicht an, jetzt kränkt es mich
aber.« Die einsamen Waisen Dascha und Mascha haben ihre Liebe, nach
der niemand fragt, einem Kanarienvogel zugewendet und in Zärtlichkeit und
Fürsorge ihn zu Tode gebadet. Und in ihrer Verlassenheit erscheint ihnen
der Ersatz, den die gutmütige Magd ihnen schenkt, ein Vögelchen aus Pappe
auch liebenswert, Ljubow aber ist aus ihrem Kindertraum geweckt worden
durch Matuschkas ehrliche Bewunderung ihrer jungen Schönheit, »Durch alle
Adern fühlte sie es leise rinnen, leise rauschen, wie lauter willige Wärme,
wie lauter sehnende Kraft, als vermöchte sie, es dem Wind und Wasser
und Sonnenglanz und allen Wundern der Erde gleichzutun, — und es kam
ihr vor, als sei sie alledem heimlich verwandt.«
Nicht alle aus der Schar derer, von denen Elternhaus und Welt ver-
langen und voraussetzen, »daß sie von nichts was wissen sollen«, rettet
die große, schöne Liebe eines Vater=Geliebten aus ihrem Konflikte. Die
meisten der »gewesenen Kinder« müssen sich allein zurechtfinden in dem
Rätselhaften, Lockenden. Lind sie tun es, indem sie sich eng aneinander
anschließen in jenen Freundschaften mit tausend Geheimnissen, mit dem
ewigen Tuscheln und Kichern der Backnschjahre. Ihre jungen Seelen wissen
aber genug, um in den kühnsten Phantasien zu schwelgen über die LIntaten
des Mannes,- der echte Ritter Blaubart, einer, der während seines Auf-
enthaltes im Auslande »keineswegs immerzu studiert hat,« ist ihnen der
liebenswerteste. Weil sie selber sich der Weibesliebe noch nicht gewachsen
fühlen, wollen die Halbwüchsigen so gern fremde Seelen retten, fremde
Liebe schützen und fördern. So rühmen auch Lisa und Anna sich, dem
Brautpaar, das im vorigen November Hochzeit gemacht, die Wege geebnet
zu haben. »— — und daß wir sie immer unversehens irgendwo zu zweien
ließen! Wenn wir nicht gewesen wären, ich wette, so säßen sie noch heute
und redeten vom Wetter, glaubst du nicht auch?«
»Beide wühlten kidiernd ihre Köpfe aneinander,
,Ich schlage vor, daß wir von ,Mäusen7 zu Schutzengeln und Vor-
sehungen avancieren!7 rief Lisa . . .
Und nun tuschelten sie sich Einzelheiten über diesen Brautstand ins
Ohr, die sie bis zu Krämpfen lachen machten.«
Wenn aber eine halbreife Seele allein bleibt, wenn ihr das lose
Scherzen und Tändeln mit Altersgenossen fehlt, wenn der »Mann« plötzlich
unerwartet in ihr Leben einbricht, dann formt sich ihr, wie der armen jungen
Dascha, die sich mit der Schwester eins wähnte, »die Vorstellung von etwas
Gewaltsamem, Brutalem, der Mann wie eine bis an die Zähne bewaffnete
Macht — ein drohendes, bärtiges Räubergesicht, — gezückte Messer —
Unter dem dumpfen Gefühle, daß der Mann, »er, von dem das Böse aus-
ging, alle böse Macht und auch die Liebe, — er ,der Mann7« »ihre« Mascha
getötet, bricht die bisher ahnungslose Dascha zusammen: sie begreift, daß
»Mascha nicht erst heute von ihr fortgegangen war«. »Mascha hatte einen
Mann lieb gehabt. Einen, von dem Dascha nichts wußte.
Masdia hatte also ganz für sich gelebt, — nicht nur heute, — nein,
immer sdion, die ganze Zeit. Sie war gewesen, wo Dascha nie mit ihr war.