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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 3.1914

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Sachs, Hanns: Das Thema "Tod"
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https://doi.org/10.11588/diglit.42096#0468

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456

Hanns Sachs

Das Thema »Tod«.

Von HANNS SACHS <Wien>.

Der Poesie so wenig wie der Religion ist die Vorstellung des
Todes je fremd geblieben. Sie hat den Auflöser aller Ver-
wicklungen und Knoten, der Bestrafer und Beseliger zugleich
ist, den Zielpunkt, von dem aus ein Lichtstrahl selbst auf das ärm-
liebste Dasein zurückfällt, nie entbehren können. Doch hat Thomas
Mann in seiner Novelle »Der Tod in Venedig« von dem ur-
alten Vorwurf einen neuartigen Gebrauch gemacht, der ihn wohl
dazu berechtigt, seinen Namen als Titel voranzustellen, als wäre
er der Held seiner Erzählung.
Dieses Neue liegt in zwei Besonderheiten des Werkes, die sich
gegenseitig bedingen. Die eine, daß der Tod nicht nur als thema-
tischer Endpunkt erscheint, bei dem anlangend das Farbenspiel des
Lebens erlischt, sondern als Thema selbst, das wie ein anderes gleich
zu Beginn, nach kurzer Einleitung auftritt, dann kunstvoll durch alle
seine Formen und Möglichkeiten hindurch variiert und entwickelt,
mit einem Gegenthema verschlungen und zum Schluß zu seiner mäch-
tigsten Entfaltung gesteigert wird. Zweitens, daß der Tod darin
gestaltet auftritt und seine Rolle spielt — der Tod, nicht das Sterben,-
er gibt nicht nur den Grundton der Stimmung an, die über das
ganze Werk ausgegossen ist, sondern verkörpert sich auch in einer
Reihe von Figuren, die halb schattenhaft, halb wirklich durch die
Erzählung gleiten und mit denen der Held nacheinander in Bezie-
hung tritt. Dies nun, daß der Tod in seine Maske nicht nach dem
überkommenen Vorbild als Gerippe mit Sense und Stundenglas ein-
gekleidet, sondern nach des Dichters schöpferischem Ermessen geformt
wurde, kann nirgends mehr Aufmerksamkeit verdienen als bei den
Schülern der Psychoanalyse,- auch kann die Frage, ob der Versuch
gelungen ist, von niemandem in so sachverständiger Weise beurteilt
werden als von jenen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Ge-
setze der symbolischen Darstellung beim nächsten Nachbar des
Künstlers, beim Träumer, zu erforschen.
In unserem Falle war es überdies des Dichters bewußter Wille,
einzelnen Vorgängen der Novelle den Charakter des Traumhaften
zu verleihen. Nach den Voraussetzungen der Psychoanalyse führt
dahin nur ein Weg: die Technik des unbewußten Denkens, die der
schöpferischen Phantasie von ihrer Entstehung aus dem Unbewußten
her anhaftet, nicht in so weitem Maße durch das bewußte, dem Reali-
tätsprinzip angenäherte Denken zu ersetzen, als es die sekundäre
Umarbeitung zum Kunstwerk sonst erfordert, sondern sie in vielen
Punkten bestehen zu lassen und sich ihrer Eigenart unterzuordnen.
Wir wollen versuchen, Einblick zu erlangen, ob Thomas Mann
diesen Weg gegangen ist.
Die erste Larve, in welcher der Tod den Schriftsteller Aschenbach
 
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