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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 3.1914

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III.4
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Maccurdy, John T.: Die Allmacht der Gedanken und die Mutterleibsphantasie in den Mythen von Hephästos und einem Roman von Bulwer Lytton
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https://doi.org/10.11588/diglit.42096#0394

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382

John T. Mac Curdy

Die Allmacht der Gedanken und die Mutterleibs^
phantasie in den Mythen von Hephästos und einem
Roman von Bulwer Lytton.
Von JOHN T, MAC CURDy <Wards Island, New^ork).
Freud hat vielleicht keinen wichtigeren Einzelgrundsatz als Resultat
seiner psychoanalytischen Durchforschung der Psychoneurosen
und Psychosen ausgesprochen, als den, daß in unserem Innern
zwei Gegner ununterbrochen miteinander ringen, die er »Lust-« und
»Realitätsprinzip« genannt hat. Die strengen Anforderungen der
Umwelt versagen uns die Erfüllung vieler, ja vielleicht der meisten
unserer tiefsten Wünsche, ohne doch imstande zu sein, sie völlig zu
vernichten. Das unerfüllt gebliebene Begehren drängt unausgesetzt
nach Äußerung, die ihm wegen seiner antisozialen oder unmorali-
schen Tendenz verwehrt werden muß. Doch gibt es zweierlei Mög-
lichkeiten, eine indirekte Befriedigung zu erlangen: Der Wunsch
kann eine symbolische Erfüllung finden, wie zum Beispiel, wenn ein
Schoßhund oder irgendein Steckenpferd all die Liebe empfängt, die
sonst in der Brust eines kinderlosen Weibes aufgehäuft bleiben
müßte,- das Begehren kann aber auch in einer Phantasie gestillt
werden, wenn die Einbildungskraft die verbotenen Genüsse in dra-
matisierter Form vorzaubert. Die durch den ersten dieser beiden
Auswege erreichbare Befriedigung steht im Verhältnis zu dem Grade,
in welchem der Affekt von seinem ursprünglichen Gegenstand auf
das Symbol übertragen werden konnte, das heißt, sie wird um so
ausreichender, je mehr Gleichwertiges der Ersatz zu bieten vermag,-
im anderen Falle hängt sie von der Lebendigkeit ab, mit der das
Begehren in der Phantasie dargestellt erscheint. Auf solche Weise
könnte ein vollständiges Sich-Ausleben erzielt werden, wenn das
kritische Urteil nidit den Mangel an Realität bemerken würde. Für
das Kind, den Wilden und bis zu einem gewissen Grad den Dichter,
existiert die strenge Wirklichkeitstreue nicht, die der Existenzkampf
dem herangewachsenen, zivilisierten Manne aufnötigt. Daraus entsteht
der fortwährende Kampf zwischen dem symbolischen und der Phan-
tasie zugekehrten Denken auf der einen und der Lebenswirklichkeit
auf der anderen Seite. Die Entwicklung von der Kindheit zum
Mannesalter, vom Wilden zur Zivilisation besteht tatsächlich in nichts
anderem, als in der fortschreitenden Anerkennung der Realität und
der Anpassung daran. Keiner der beiden sich befehdenden Teile
kann jemals vollständig über den anderen triumphieren. Wenn die
unbewußten Strebungen erlöschen würden, müßte das Leben seines
stärksten Antriebs verlustig gehen, aber immer gibt es auch
»das eigensinnige Fragen
Nach einem Sinn, an dem die Dinge sich da draußen binden,
Die uns entfallend in das Nichts hinüberschwinden.
 
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