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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 3.1914

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302

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Bücher.
ARTHUR SCHNITZLER ALS PSYCHOLOGE.
Von Dr. Theodor Reik.
Mit Vergnügen darf festgestellt werden, wie sehr sich seit dem letzten
Buch desselben Verfassers — über Flauberts »Tentation« — sein Auge ge«
schärft, sein psychologisches Gesichtsfeld erweitert hat. Er begnügt sich nicht
mehr mit den ungefähren Umrißlinien des unbewußten Seelenlebens, sondern
folgt ihm durch seine Windungen und Entstellungen, Schichtungen und Korn«
promisse hindurch und weiß die feinsten Ausläufer, die zartesten Details
seiner Deutungskunst dienstbar zu machen. Ohne den Ödipuskomplex zu
vernachlässigen, zieht er die anderen, für das Unbewußte bedeutungsvollen
seelischen Mechanismen in den Kreis seiner Beobachtung, vor allem die
»Allmacht der Gedanken«, die Beziehungen zwischen Eifersucht und Homo-
sexualität, das Problem der Vergänglichkeit des Ich und des Narzißmus.
Dadurch hält sich das Buch von der pedantischen Monotonie frei, die die
Gefahr solcher Untersuchungen bildet, der Gedankenzug erhält Fülle und
Geschmeidigkeit und wird so den untersuchten Dichtungen näher gerückt
und besser geeignet, ihnen in der eigenen Weise gerecht zu werden.
Besonders genußvoll ist es, an der Hand des Autors die Wege zu
verfolgen, auf denen die Motive Schnitzlers wandeln und mitanzusehen,
wie sie, im Innersten unverändert, sich einer pathetischen oder ironischen,
wichtigen oder nebensächlichen Verwendung anzupassen verstehen. Durch
solche Enthüllungen läßt sich auch der Behauptung am besten begegnen,
die Psychoanalyse verkleinere gewaltsam die Persönlichkeit des Dichters und
mindere die Empfänglichkeit für seine Werke,- denn erst nach der Zurück«
führung auf die wenigen, ewig wiederkehrenden Grundmotive kann man das
Verdienst des Künstlers nach Gebühr bewundern, der aus so geringem
Stoffe den unzerstörbaren Eindruck reichster und verwirrender Vielgestalt
hervorzuzaubern vermochte.
Ein kühnes Unterfangen Reiks ist es, die Träume, die Schnitzler in
seine Werke eingestreut hat, nach den Regeln der »Traumdeutung« auf«
zuklären,- daß dieses Wagnis so vollkommen gelungen ist, darf sich wohl
nicht nur der Psychoanalytiker zur Ehre rechnen, sondern auch der Dichter,
der bei der Komposition gewiß rein intuitiv, ohne Rücksicht auf wissen«
schaftliche Befunde vorgegangen ist. Natürlich muß von einer gewissen
Schichte an die erfundene Gestalt des Träumers mit der ihres Erfinders in
Eins zusammenschmelzen und von da ab läßt sich die Deutung nicht mehr
als ästhetisches Experiment, sondern nur als persönliche Analyse fortsetzen.
So läßt sich etwa, wenn Georg Wergenthin von den »Partituren« träumt,
die er bei der Ankunft in Amerika vorzeigen muß, vermuten, daß zwar
nicht der träumende Musiker, wohl aber der dichtende Arzt von der Ver«
wandtschaft des Wortes mit der Bezeichnung einer Schwangeren als »pari«
tura« beeinflußt wurde. Zu Reiks Deutung dieses Traumes ließe sich noch
hinzufügen, daß er die Situation Georgs im Sinne seines Wunsches ab«
ändert: er macht aus der Reise zu Anna hin, auf welcher der Schläfer be«
griffen ist, eine Fahrt von ihr weg nach Amerika. Darin liegt wohl der
nächste Anlaß für das Schuldgefühl, das den ganzen Traum durchzieht,- der
zweite Traum dient dann dazu, das böse Gewissen zu beschwichtigen, da
er heimkehrend seinen inzwischen herangewachsenen Sohn und Anna, beide
blühend und glücklich, wiederfindet.
 
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