Von Dantes unbewußtem Seelenleben
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temperata e virile essere conviene. Che altro si conviene e dire e
operare a una etade, che ad altra, perche certi costumi sono idonei
e laudabili a una etade, che sono sconci e biasimevoli ad altra,
siccome di sotto nel quarto trattato di questo libro sarä per propia
ragione mostrato. E io in quella dinanzi all'entrata di mia gioven-
tute parlai e in questa dipoi quella giä trapassata <cf. Convito
Trattato I. Kap. I).1
Es bedarf nun der Erörterung, was Dante veranlaßt haben
konnte, sich, wie Boccaccio2 behauptet, der Vita nuova zu schämen
und dieselbe mit den Ausdrücken sconci e biasimevoli zusammen-
zubringen, denn obwohl Dante in der zitierten Stelle sagt, daß er
der Vita nuova nicht Abbruch tun wolle, klingt das Ganze immer-
hin wie eine Entschuldigung und überdies dürfte Boccaccios Be-
merkung auch auf zeitgenössische Mitteilungen zuriidcgehen, denn
Boccaccio hatte gar keine Veranlassung ohne Grund eine derartige
Behauptung aufzustellen.
Qui s'excuse, s'accuse, und doch ist die Vita nuova ein Werk
von hohem Adel, über deren Inhalt sich Dante weder in ethischer
noch in religiöser Hinsicht Vorwürfe machen konnte, wohl aber
können verschlossene Menschen, zu denen Dante zweifellos gehörte,
es sich nicht verzeihen, wenn sie sich aus irgendeinem Grunde dazu
verleiten lassen, mehr von ihrem Innenleben zu offenbaren, als es
ihrer Natur im allgemeinen entspricht. Der Gedanke, die liebsten
und zartesten Erinnerungen seiner Jugend der Öffentlichkeit preis-
gegeben zu haben, mag dem Dichter peinlich gewesen sein, was jeder
verstehen wird, der auch nur oberflächlich die geheimnisvollen Re-
gungen des Schamgefühls bei sich und anderen belauscht hat. Wäre
Beatrice aber nichts anderes wie eine von den unzähligen farblosen
und lebensfremden Allegorien, die zu jener Zeit modern waren, so
hätte die Erinnerung an die Vita nuova schwerlich derartige unlust-
betonte Affekte in der Seele des Dichters ausgelöst.
Es wird daher der persönliche Faktor in der Vita nuova
nicht zu unterschätzen sein, wenn auch anzunehmen ist, daß Dichtung
und Wahrheit sich in diesem Werke vereinen.
1 Und wenn ich nun in vorliegendem Werke, das ein Gastmahl heißen
and sein soll, männlicher auftrete als im »Neuen Leben«, so habe ich doch keines^
wegs im Sinne, irgend etwas von diesem zurückzunehmen, vielmehr soll das verf-
liegende Werk ihm zu Hilfe kommen. Denn ich sehe wohl ein, daß jenes mit
allem Grunde voll Glut und Leidenschaft geschrieben ist, dieses aber mit Mäßige
keit und Männlichkeit auftreten muß. Denn Worte und Taten müssen dem Lebens^
alter entsprechen. Es gibt Sitten, die für das eine Alter passend und lobenswert
sind, die aber in einem anderen sich ungeschickt ausnehmen und zu tadeln
sind. Das werde ich weiter unten im vierten Traktate dieses Buches auf besondere
Weise zeigen. Im »Neuen Leben« sprach ich über die Tage, die vor dem Ein^
tritt in das Mannesalter stehen, das mir bei Abfassung dieses Werkes schon
zerronnen ist <nach Sauter). Das rüstige Mannesalter »gioventute« reicht nach
Dantes Convito <IV, 24) vom 25.—45. Lebensjahr.
2 Die Angaben Boccaccios genießen zum großen Teil das Vertrauen der
Kritik, ausgenommen sind vor allem Anekdoten und legendenhafte Züge.
Imago III/3
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temperata e virile essere conviene. Che altro si conviene e dire e
operare a una etade, che ad altra, perche certi costumi sono idonei
e laudabili a una etade, che sono sconci e biasimevoli ad altra,
siccome di sotto nel quarto trattato di questo libro sarä per propia
ragione mostrato. E io in quella dinanzi all'entrata di mia gioven-
tute parlai e in questa dipoi quella giä trapassata <cf. Convito
Trattato I. Kap. I).1
Es bedarf nun der Erörterung, was Dante veranlaßt haben
konnte, sich, wie Boccaccio2 behauptet, der Vita nuova zu schämen
und dieselbe mit den Ausdrücken sconci e biasimevoli zusammen-
zubringen, denn obwohl Dante in der zitierten Stelle sagt, daß er
der Vita nuova nicht Abbruch tun wolle, klingt das Ganze immer-
hin wie eine Entschuldigung und überdies dürfte Boccaccios Be-
merkung auch auf zeitgenössische Mitteilungen zuriidcgehen, denn
Boccaccio hatte gar keine Veranlassung ohne Grund eine derartige
Behauptung aufzustellen.
Qui s'excuse, s'accuse, und doch ist die Vita nuova ein Werk
von hohem Adel, über deren Inhalt sich Dante weder in ethischer
noch in religiöser Hinsicht Vorwürfe machen konnte, wohl aber
können verschlossene Menschen, zu denen Dante zweifellos gehörte,
es sich nicht verzeihen, wenn sie sich aus irgendeinem Grunde dazu
verleiten lassen, mehr von ihrem Innenleben zu offenbaren, als es
ihrer Natur im allgemeinen entspricht. Der Gedanke, die liebsten
und zartesten Erinnerungen seiner Jugend der Öffentlichkeit preis-
gegeben zu haben, mag dem Dichter peinlich gewesen sein, was jeder
verstehen wird, der auch nur oberflächlich die geheimnisvollen Re-
gungen des Schamgefühls bei sich und anderen belauscht hat. Wäre
Beatrice aber nichts anderes wie eine von den unzähligen farblosen
und lebensfremden Allegorien, die zu jener Zeit modern waren, so
hätte die Erinnerung an die Vita nuova schwerlich derartige unlust-
betonte Affekte in der Seele des Dichters ausgelöst.
Es wird daher der persönliche Faktor in der Vita nuova
nicht zu unterschätzen sein, wenn auch anzunehmen ist, daß Dichtung
und Wahrheit sich in diesem Werke vereinen.
1 Und wenn ich nun in vorliegendem Werke, das ein Gastmahl heißen
and sein soll, männlicher auftrete als im »Neuen Leben«, so habe ich doch keines^
wegs im Sinne, irgend etwas von diesem zurückzunehmen, vielmehr soll das verf-
liegende Werk ihm zu Hilfe kommen. Denn ich sehe wohl ein, daß jenes mit
allem Grunde voll Glut und Leidenschaft geschrieben ist, dieses aber mit Mäßige
keit und Männlichkeit auftreten muß. Denn Worte und Taten müssen dem Lebens^
alter entsprechen. Es gibt Sitten, die für das eine Alter passend und lobenswert
sind, die aber in einem anderen sich ungeschickt ausnehmen und zu tadeln
sind. Das werde ich weiter unten im vierten Traktate dieses Buches auf besondere
Weise zeigen. Im »Neuen Leben« sprach ich über die Tage, die vor dem Ein^
tritt in das Mannesalter stehen, das mir bei Abfassung dieses Werkes schon
zerronnen ist <nach Sauter). Das rüstige Mannesalter »gioventute« reicht nach
Dantes Convito <IV, 24) vom 25.—45. Lebensjahr.
2 Die Angaben Boccaccios genießen zum großen Teil das Vertrauen der
Kritik, ausgenommen sind vor allem Anekdoten und legendenhafte Züge.
Imago III/3
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