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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 3.1914

DOI issue:
III.4
DOI article:
Jekels, Ludwig: Der Wendepunkt im Leben Napoleons I.
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https://doi.org/10.11588/diglit.42096#0357

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Der Wendepunkt im Leben Napoleons I.

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Napoleon unter der Gewandung sozialpolitischer Reformen »sein
Herz überfließen läßt«, wird dieser sein Mutterkomplex auch durch
die Erde symbolisiert. So z. B. wenn er da seine Behauptungen
an einem jungen Manne exemplifiziert, der nach den Torheiten der
Kindheit ins Alter der erwachten Leidenschaften tritt: »Sein starker
Arm im Einklänge mit seinen Bedürfnissen verlangt nach Arbeit,-
aber ein Blick um ihn herum und er sieht die Erde unter wenige
Hände verteilt«. Nun wendet er sich an die sozialen Ordner, die
ihm jedoch bloß die Akten als zum Besitz berechtigend vorweisen,
und er, unzufrieden mit dieser unzulänglichen Antwort, entrüstet
ruft: »Wie, das sind die Besitztitel dieser Herren! Die meinigen
sind viel heiliger, viel unleugbarer, viel universeller! Sie erneuern
sich mit meiner Atmung, kreisen in meinem Blute, sind geschrieben
in meinen Nerven und in meinem Herzen. Sie sind die Not-
wendigkeit meines Daseins und vor allem meines Glückes!«
Diese Exklamation mag uns illustrieren, mit welch7 gewaltiger
Libido bei Napoleon die Vorstellung Erde besetzt und wie wenig
diese Libido noch abgetönt war.

In diesem durch Auflösung der Symbole gewonnenen Rück=*
Schluß auf eine starke Fixierung Napoleons bei seiner Mutter
werden wir nur bestärkt, wenn wir diese Spur in seinem realen
Liebesieben verfolgen. Sie tritt weniger deutlich zutage in seinem
Verhältnis zur Mutter, das, soweit ich die einschlägige Literatur kenne
kaum etwas anderes als eine allerdings ganz ungewöhnliche Sohnes-
zärtlichkeit aufweist, Es ist ja bekannt und soll im weiteren Ver-
lauf dieser Studie noch des öfteren betont werden, daß er Frau
Lätizia gegenüber, von der er auf St. Helena sich äußerte, sie sei
mit dreißig Jahren »belle comme les amours« gewesen, der auf-
opferndste und aufmerksamste Sohn war, stets bemüht, ihr das
Leben so leicht und so angenehm als möglich zu gestalten. Auf
welcher Etappe seiner so ungeheuer bewegten und abwechslungs^
reichen Laufbahn wir dies Verhältnis auch beobachten, stets finden
wir Beweise seiner zärtlichsten Fürsorge für die Mutter,- »sa pre-
miere pensee est pour eile«, meint Masson an einer Stelle. Mit
der äußeren Situation wechseln bloß die Ausdrucksmittel dieser
stets gleichbleibenden Gefühlsströmung. Für die Mutter ist er stets
zu Opfern an Geld, Zeit und Geduld bereit,- sowohl als armer
Sekondleutnant und Hauptmann, der ihr aus seinem kargen Sold
aushilft und ihr die schweren Bürden tragen hilft, wie auch als
gigantische Pläne in seinem Kopfe wälzender Herrscher eines Welt-
reiches, wo er ihr Millionen zur Verfügung stellt, dafür Sorge
trägt, daß ihr in seinem strengen Hofzeremoniell ein gebührender
Platz angewiesen werde, selbst ihr den Hofstaat und den Ehren-
dienst bestimmt, ihr, um sie zu beschäftigen, das Protektorat der
Soeurs de charite verleiht, ja sogar persönlich die Tapeten zu dem
 
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