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Sigm. Freud
unwiditigste Anteil deiner seelisdhen Kräfte, der so in Gegensatz
zu dir getreten und unabhängig von dir geworden ist. Die Schuld,
muß idi sagen, liegt an dir selbst. Du hast deine Kraft überschätzt,
wenn du geglaubt hast, du könntest mit deinen Sexualtrieben an-
stellen, was du willst, und brauditest auf ihre Absichten nicht die
mindeste Rücksidit zu nehmen. Da haben sie sich denn empört und
sind ihre eigenen dunklen Wege gegangen, um sich der Unter-
drüdcung zu entziehen, haben sich ihr Recht geschaffen auf eine
Weise, die dir nicht mehr recht sein kann. Wie sie däs zustande
gebracht haben, und welche Wege sie gewandelt sind, das hast du
nicht erfahren,- nur das Ergebnis dieser Arbeit, das Symptom, das
du als Leiden empfmdest, ist zu deiner Kenntnis gekommen. Du
erkennst es dann nicht als Abkömmling deiner eigenen verstoßenen
Triebe und weißt nicht, daß es deren Ersatzbefriedigung ist.«
»Der ganze Vorgang wird aber nur durch den einen Umstand
möglich, daß du dich auch in einem anderen wichtigen Punkte im
Irrtum befindest. Du vertraust darauf, daß du alles erfährst, was
in deiner Seele vorgeht, wenn es nur wichtig genug ist, weil dein
Bewußtsein es dir dann meldet. Und wenn du von etwas in deiner
Seele keine Nachricht bekommen hast, nimmst du zuversichtlich an,
es sei nicht in ihr enthalten. Ja, du gehst so weit, daß du »seelisch«
für identisch hältst mit »bewußt«, d. h. dir bekannt, trotz der augen^
scheinlichsten Beweise, daß in deinem Seelenleben beständig viel
mehr vor sich gehen muß, als deinem Bewußtsein bekannt werden
kann. Laß dich doch in diesem einen Punkt belehren! Das Seelische in
dir fällt nicht mit dem dir Bewußten zusammen,- es ist etwas anderes,
ob etwas in deiner Seele vorgeht und ob du es auch erfährst. Für
gewöhnlich, ich will es zugeben, reicht der Nachrichtendienst an dein
Bewußtsein für deine Bedürfnisse aus. Du darfst dich in der Illusion
wiegen, daß du alles wichtigere erfährst. Aber in manchen Fällen,
z. B. in dem eines solchen Triebkonfliktes, versagt er und dein Wille
reicht dann nicht weiter als dein Wissen. In allen Fällen aber sind
diese Nachrichten deines Bewußtseins unvollständig und häufig un-
zuverlässig,- auch trifft es sich oft genug, daß du von den Gescheh»
nissen erst Kunde bekommst, wenn sie bereits vollzogen sind und
du nichts mehr an ihnen ändern kannst. Wer kann, selbst wenn
du nicht krank bist, ermessen, was sich alles in deiner Seele regt,
wovon du nichts erfährst, oder worüber du falsch berichtet wirst.
Du benimmst dich wie ein absoluter Herrscher, der es sich an den
Informationen seiner obersten Hofämter genügen läßt und nicht zum
Volk herabsteigt, um dessen Stimme zu hören. Geh in dich, in
deine Tiefen und lerne dich erst kennen, dann wirst du verstehen,
warum du krank werden mußt, und vielleicht vermeiden, krank zu
werden.«
So wollte die Psychoanalyse das Ich belehren. Aber die beiden
Aufklärungen, daß das Triebleben der Sexualität in uns nicht voll
zu bändigen ist, und daß die seelischen Vorgänge an sich unbewußt
Sigm. Freud
unwiditigste Anteil deiner seelisdhen Kräfte, der so in Gegensatz
zu dir getreten und unabhängig von dir geworden ist. Die Schuld,
muß idi sagen, liegt an dir selbst. Du hast deine Kraft überschätzt,
wenn du geglaubt hast, du könntest mit deinen Sexualtrieben an-
stellen, was du willst, und brauditest auf ihre Absichten nicht die
mindeste Rücksidit zu nehmen. Da haben sie sich denn empört und
sind ihre eigenen dunklen Wege gegangen, um sich der Unter-
drüdcung zu entziehen, haben sich ihr Recht geschaffen auf eine
Weise, die dir nicht mehr recht sein kann. Wie sie däs zustande
gebracht haben, und welche Wege sie gewandelt sind, das hast du
nicht erfahren,- nur das Ergebnis dieser Arbeit, das Symptom, das
du als Leiden empfmdest, ist zu deiner Kenntnis gekommen. Du
erkennst es dann nicht als Abkömmling deiner eigenen verstoßenen
Triebe und weißt nicht, daß es deren Ersatzbefriedigung ist.«
»Der ganze Vorgang wird aber nur durch den einen Umstand
möglich, daß du dich auch in einem anderen wichtigen Punkte im
Irrtum befindest. Du vertraust darauf, daß du alles erfährst, was
in deiner Seele vorgeht, wenn es nur wichtig genug ist, weil dein
Bewußtsein es dir dann meldet. Und wenn du von etwas in deiner
Seele keine Nachricht bekommen hast, nimmst du zuversichtlich an,
es sei nicht in ihr enthalten. Ja, du gehst so weit, daß du »seelisch«
für identisch hältst mit »bewußt«, d. h. dir bekannt, trotz der augen^
scheinlichsten Beweise, daß in deinem Seelenleben beständig viel
mehr vor sich gehen muß, als deinem Bewußtsein bekannt werden
kann. Laß dich doch in diesem einen Punkt belehren! Das Seelische in
dir fällt nicht mit dem dir Bewußten zusammen,- es ist etwas anderes,
ob etwas in deiner Seele vorgeht und ob du es auch erfährst. Für
gewöhnlich, ich will es zugeben, reicht der Nachrichtendienst an dein
Bewußtsein für deine Bedürfnisse aus. Du darfst dich in der Illusion
wiegen, daß du alles wichtigere erfährst. Aber in manchen Fällen,
z. B. in dem eines solchen Triebkonfliktes, versagt er und dein Wille
reicht dann nicht weiter als dein Wissen. In allen Fällen aber sind
diese Nachrichten deines Bewußtseins unvollständig und häufig un-
zuverlässig,- auch trifft es sich oft genug, daß du von den Gescheh»
nissen erst Kunde bekommst, wenn sie bereits vollzogen sind und
du nichts mehr an ihnen ändern kannst. Wer kann, selbst wenn
du nicht krank bist, ermessen, was sich alles in deiner Seele regt,
wovon du nichts erfährst, oder worüber du falsch berichtet wirst.
Du benimmst dich wie ein absoluter Herrscher, der es sich an den
Informationen seiner obersten Hofämter genügen läßt und nicht zum
Volk herabsteigt, um dessen Stimme zu hören. Geh in dich, in
deine Tiefen und lerne dich erst kennen, dann wirst du verstehen,
warum du krank werden mußt, und vielleicht vermeiden, krank zu
werden.«
So wollte die Psychoanalyse das Ich belehren. Aber die beiden
Aufklärungen, daß das Triebleben der Sexualität in uns nicht voll
zu bändigen ist, und daß die seelischen Vorgänge an sich unbewußt