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Frieda Teller
Musikgenuß und Phantasie.
Von FRIEDA TELLER <Prag>.
Vor kurzem habe idi in einem Aufsatz: »Ein Beitrag zur
Psychologie des Musikhörens« 1 * versucht, dem bisher wieder^
holt erörterten Problem, worin die Beziehungen der Musik
zum Seelenleben bestünden, auf psychoanalytisdher Grundlage näher-
zutreten. AIs Ergebnis dieser Äusführungen konnte festgestellt
werden, daß die gefiihlsmäßige Wirkung der Töne meist in ihrer
Kraft beruhe, zur Bildung von lustbetonten <bewußten> Phantasien*,
am häufigsten erotischen Inhalts, anzuregen. Ein tieferes Eindringen
in die dabei stattfmdenden seelisdhen Vorgänge, sowie der Versuch,
den Einfluß der Töne auf pathogenes psydiisches Material aufzu^
klären, mußten bei der vorwiegend von musikästhetischen Gesichts^
punkten gelieferten Betrachtungsweise entfallen. Im Anschluß an
grundlegende Lehren der Traumdeutung möchte ich nun eine die
obengenannte Darstellung in dieser Hinsidit ergänzende Charakteristik
der seelischen Wirkungen des elementaren 3 Musikhörens bieten.
Dem Interpreten musikalischer Eindrücke drängt sich die Be-
obachtung auf, daß neben jener lustbetonten Einwirkung der Töne
auch eine mehr oder weniger unlustvolle, mitunter die tiefsten seeli-
schen Erschütterungen und den Ausbrudi von Tränen hervorrufende
Erregung durch Musik möglich ist. Wir möchten diese Verschieden^
heit derWirkungen auf den Charakter der jeweils erwedcten Phantasien
— je nach ihrer Herkunft aus vorbewußtem oder in einem leichteren
oder schwereren Grade der Verdrängung befmdlichen psychischen
Material — zurückführen.
Als bekanntes Beispiel einer tiefgreifenden Wirkung der Töne
zitiere ich das von Goethe im August 1823 verfaßte, der polnischen
Klaviervirtuosin Madame Szymanowska gewidmete und später » Aus^
söhnung« betitelte Gedicht:
Die Leidenschaft bringt Leiden! — Wer beschwichtigt
Beklommnes Herz, das allzuviel verloren?
Wo sind die Stunden, überschnel! verflüchtigt?
Vergebens war das Schönste dir erkoren!
Trüb ist der Geist, verworren das Beginnen/
Die hehre Welt, wie schwindet sie den Sinnen!
1 Derzeit im Drudc.
s Es sind dies Phantasien, denen vorbewußte unerfüflte oder hödbstens leidit
unterdrüdcte Wunsche zugrunde liegen. Aus dem Fehlen der den hier anzuführenden
Aussprüchen diarakteristisdien Mischung von Lust= und Angstgefühlen können wir
sdiließen, daß es sich dort um seelisdhes Material handelt, das bewußt werden kann,
ohne vorerst psychisdie Widerstände überwinden zu müssen.
3 In Übereinstimmung mit der neueren Musikästhetik [Hermann Siebedc,
Paul Moos u. a.] verwende ich diese Bezeidinung im Sinne einer rein passiven
Hingabe an die Tonkunst.
Frieda Teller
Musikgenuß und Phantasie.
Von FRIEDA TELLER <Prag>.
Vor kurzem habe idi in einem Aufsatz: »Ein Beitrag zur
Psychologie des Musikhörens« 1 * versucht, dem bisher wieder^
holt erörterten Problem, worin die Beziehungen der Musik
zum Seelenleben bestünden, auf psychoanalytisdher Grundlage näher-
zutreten. AIs Ergebnis dieser Äusführungen konnte festgestellt
werden, daß die gefiihlsmäßige Wirkung der Töne meist in ihrer
Kraft beruhe, zur Bildung von lustbetonten <bewußten> Phantasien*,
am häufigsten erotischen Inhalts, anzuregen. Ein tieferes Eindringen
in die dabei stattfmdenden seelisdhen Vorgänge, sowie der Versuch,
den Einfluß der Töne auf pathogenes psydiisches Material aufzu^
klären, mußten bei der vorwiegend von musikästhetischen Gesichts^
punkten gelieferten Betrachtungsweise entfallen. Im Anschluß an
grundlegende Lehren der Traumdeutung möchte ich nun eine die
obengenannte Darstellung in dieser Hinsidit ergänzende Charakteristik
der seelischen Wirkungen des elementaren 3 Musikhörens bieten.
Dem Interpreten musikalischer Eindrücke drängt sich die Be-
obachtung auf, daß neben jener lustbetonten Einwirkung der Töne
auch eine mehr oder weniger unlustvolle, mitunter die tiefsten seeli-
schen Erschütterungen und den Ausbrudi von Tränen hervorrufende
Erregung durch Musik möglich ist. Wir möchten diese Verschieden^
heit derWirkungen auf den Charakter der jeweils erwedcten Phantasien
— je nach ihrer Herkunft aus vorbewußtem oder in einem leichteren
oder schwereren Grade der Verdrängung befmdlichen psychischen
Material — zurückführen.
Als bekanntes Beispiel einer tiefgreifenden Wirkung der Töne
zitiere ich das von Goethe im August 1823 verfaßte, der polnischen
Klaviervirtuosin Madame Szymanowska gewidmete und später » Aus^
söhnung« betitelte Gedicht:
Die Leidenschaft bringt Leiden! — Wer beschwichtigt
Beklommnes Herz, das allzuviel verloren?
Wo sind die Stunden, überschnel! verflüchtigt?
Vergebens war das Schönste dir erkoren!
Trüb ist der Geist, verworren das Beginnen/
Die hehre Welt, wie schwindet sie den Sinnen!
1 Derzeit im Drudc.
s Es sind dies Phantasien, denen vorbewußte unerfüflte oder hödbstens leidit
unterdrüdcte Wunsche zugrunde liegen. Aus dem Fehlen der den hier anzuführenden
Aussprüchen diarakteristisdien Mischung von Lust= und Angstgefühlen können wir
sdiließen, daß es sich dort um seelisdhes Material handelt, das bewußt werden kann,
ohne vorerst psychisdie Widerstände überwinden zu müssen.
3 In Übereinstimmung mit der neueren Musikästhetik [Hermann Siebedc,
Paul Moos u. a.] verwende ich diese Bezeidinung im Sinne einer rein passiven
Hingabe an die Tonkunst.