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Dr. Theodor Reik
verderbtem Texte darstellt. Einige der Widersprüdie aber, weldie
die Bibelwissensdiaft in diesem Texte festgesteilt hat, sind für uns
wichtig: Daß Abel Viehzudit treibt, stimmt nicht zur Paradies*
erzählung, wonadi der Mensch nur für den Adcerbau bestimmt ist.
Dieses wie viele andere Detaiis haben die Bibelforschung erkennen
lassen, daß diese Gesdiichte nidit von Anfang an Fortsetzung der
Paradiesmythe sein kann. Stade macht in dem oben erwähnten
Aufsatze darauf aufmerksam, daß in der Kainsgesdiichte Opfer
erwähnt werden, die erst im späteren Israel gebräudiiidi waren:
Erstlinge der Feldfrüdite und das Fett der Erstgeburt werden ais
Opfererweisungen des täglidien Lebens verzeidinet. Nadi Dilimann 1 *
wird eine Lösung dieses Widerspruches erzielt, wenn man die
Erzähiung vom Öpfer Kains und Abels als »isoiiertes Vorspiei«
betrachtet. Daraus hat Stade gesdiiossen, daß wir uns in einem
vorgerüdcteren Stadium der Menschheitsgesdiidite befinden und daß
die Erzählung von Adam und Eva und die von Kain und Abei
ursprünglich gar nichts miteinander zu tun haben’. Sdion WeiL
hausen hat erkiärt, der Erzähier habe einen wirkiidh vorhandenen
Beduinenstamm, den der Keniter, mit dem Urvater zusammen«
geworfen 3 *. Ein Rätsel, über das nodi zu sprechen sein wird, ist,
warum der Herr Kains Opfer verwirft. Daß Kain nicht der Sohn
des ersten Menschen sein icann, ergibt sich schon daraus, daß sein
Tod siebenfach gerächt werden soll. Es regt sich die Frage, an
wem diese siebenfadhe Rache voilzogen werden soll, wenn nur
Kain und seine Eitern auf Erden weiiten.
Nun wollen wir zum Thema unserer Untersuchung zurüdt»
kehren: Was war das Kainszeichen und welche Bedeutung hatte
es? Darüber sind verschiedene Ansichten namhafter Forscher bekannt
geworden: Der Ehrenplatz unter ihnen gebührt entschieden dem
genialen W. R. Smith, weldter erklärt, das Kainszeichen sei nichts
anderes als eine Stammesmarke, welche jeder trägth In seinem
schönen Aufsatze »The mark of Cain« hat I. G. Frazer darauf
hingewiesen, daß diese Stammesmarke, weldie als »Schutzzeichen«
dienen soli, zugleich zum Kennzeichen für die Feinde geworden
wäre 5 6.
Doch seibst wenn wir bereit wären, dies zuzugestehen, fährt
Frazer fort, ist Smiths Erkiärung zu ailgemein, da jedes Stammes*
mitgiied von einem soichen Zeidien beschützt war, ob es nun Tot»
schläger war oder nicht. Auf Frazers eigene Erklärung kommen
wir noch zurück. Wir steiien jetzt Berthoid Stades Erkiärung in
1 Zitiert nadi Stade, S. 263.
1 Stade, p. 273.
3 Komposition des Hexateudis, S. 305.
* »Can this be anything else than the sart or tribal mark, whidi everyman
bore on his person and without whidi the ancient from the blood feud . . .
could hardiy have been w’orked. < Kinship, p. 215 f.
6 »Folk^Lore in the old Testament«, enthalten in den »Anthropologicai
essays presented to Edward Burnett Taylor«. Oxford 1907, p. 102 ff.
Dr. Theodor Reik
verderbtem Texte darstellt. Einige der Widersprüdie aber, weldie
die Bibelwissensdiaft in diesem Texte festgesteilt hat, sind für uns
wichtig: Daß Abel Viehzudit treibt, stimmt nicht zur Paradies*
erzählung, wonadi der Mensch nur für den Adcerbau bestimmt ist.
Dieses wie viele andere Detaiis haben die Bibelforschung erkennen
lassen, daß diese Gesdiichte nidit von Anfang an Fortsetzung der
Paradiesmythe sein kann. Stade macht in dem oben erwähnten
Aufsatze darauf aufmerksam, daß in der Kainsgesdiichte Opfer
erwähnt werden, die erst im späteren Israel gebräudiiidi waren:
Erstlinge der Feldfrüdite und das Fett der Erstgeburt werden ais
Opfererweisungen des täglidien Lebens verzeidinet. Nadi Dilimann 1 *
wird eine Lösung dieses Widerspruches erzielt, wenn man die
Erzähiung vom Öpfer Kains und Abels als »isoiiertes Vorspiei«
betrachtet. Daraus hat Stade gesdiiossen, daß wir uns in einem
vorgerüdcteren Stadium der Menschheitsgesdiidite befinden und daß
die Erzählung von Adam und Eva und die von Kain und Abei
ursprünglich gar nichts miteinander zu tun haben’. Sdion WeiL
hausen hat erkiärt, der Erzähier habe einen wirkiidh vorhandenen
Beduinenstamm, den der Keniter, mit dem Urvater zusammen«
geworfen 3 *. Ein Rätsel, über das nodi zu sprechen sein wird, ist,
warum der Herr Kains Opfer verwirft. Daß Kain nicht der Sohn
des ersten Menschen sein icann, ergibt sich schon daraus, daß sein
Tod siebenfach gerächt werden soll. Es regt sich die Frage, an
wem diese siebenfadhe Rache voilzogen werden soll, wenn nur
Kain und seine Eitern auf Erden weiiten.
Nun wollen wir zum Thema unserer Untersuchung zurüdt»
kehren: Was war das Kainszeichen und welche Bedeutung hatte
es? Darüber sind verschiedene Ansichten namhafter Forscher bekannt
geworden: Der Ehrenplatz unter ihnen gebührt entschieden dem
genialen W. R. Smith, weldter erklärt, das Kainszeichen sei nichts
anderes als eine Stammesmarke, welche jeder trägth In seinem
schönen Aufsatze »The mark of Cain« hat I. G. Frazer darauf
hingewiesen, daß diese Stammesmarke, weldie als »Schutzzeichen«
dienen soli, zugleich zum Kennzeichen für die Feinde geworden
wäre 5 6.
Doch seibst wenn wir bereit wären, dies zuzugestehen, fährt
Frazer fort, ist Smiths Erkiärung zu ailgemein, da jedes Stammes*
mitgiied von einem soichen Zeidien beschützt war, ob es nun Tot»
schläger war oder nicht. Auf Frazers eigene Erklärung kommen
wir noch zurück. Wir steiien jetzt Berthoid Stades Erkiärung in
1 Zitiert nadi Stade, S. 263.
1 Stade, p. 273.
3 Komposition des Hexateudis, S. 305.
* »Can this be anything else than the sart or tribal mark, whidi everyman
bore on his person and without whidi the ancient from the blood feud . . .
could hardiy have been w’orked. < Kinship, p. 215 f.
6 »Folk^Lore in the old Testament«, enthalten in den »Anthropologicai
essays presented to Edward Burnett Taylor«. Oxford 1907, p. 102 ff.