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Dr. H v. Hug-Hellmuth
sicfi in dem typisrfien Verhalten cler Schwiegermutter gegen die Frau des
Sohnes kundgibt.
Mit dreißig Jahren fällt ihm bei einem Gang durch die Stadt eine
Dame, die vor ihm geht, so angenehm auf, daß er ihr folgt. Wie er sie
an einer Straßenecke einholt und sie eben anspredhen will, wendet sie den
Kopf und er erkennt in ihr mit Bestürzung — seine Mutter.
III. Die eigentümliche Gewohnheit mancher Kinder, einen Elternteil
beim Vornamen zu rufen, findet sich in überwiegender Mehrzahl bei
Knaben der Mutter gegenüber, selten bei Mädchen zum Vater,- fast- nie aber
nennt meines Wissens ein Kind den gleichgeschledrtlichen Elternteil mit
dem Rufnamen. Es handelt sich eben dabei um eine Identifikation mit dem
letztern und um unbewußte heterosexuelle Anziehung.
IV. Da, soviel mir bekannt ist, nodt keine Beobachtung über die
Entwiddung des Ödipuskomplexes bei Kindern, die infolge einer Trennung
der elterlidien Ehe nur unter der mütterlichen Obhut — die väterliche
allein kommt aus äußeren Gründen kaum in Betracht — aufwuchsen, mit-
geteilt wurde, sei folgender Fall beriditet:
Die Eltern eines Knaben trennen ihre Ehe, als dieser drei Jahre alt.
Das Kind bleibt bei der Mutter, liebt sie zärtlich, ist aber bis zu seinem
sechsten Lebensjahr von großer Sehnsucht nach seinem Vater erfüllt, wenn-
gleich sidi sdion in dieser frühen Zeit oft eine sdiarfe Kritik über das
Fernsein des Vaters bemerkbar madit. Trotz aller Vorsidit und feinen
Taktes der Mutter entnimmt der aufgewedcte Junge aus erlauschten Ge-
sprächen mit Familienmitgliedern und Freunden, daß der Vater keine
schöne RoIIe gespielt und Frau und Kind einfadi im Stiche gelassen
habe. So nistet sidi nadi und nach neben der Sehnsucht ein tiefer Haß
gegen den Vater in seiner Seele ein, der ihn trotz zärtiicher Briefe, die er
an den Vater schreibt, gelegentlich — mit sieben Jahren — in böse Worte
ausbredhen läßt: »Wenn ich groß bin und mein Papa alt ist und zu mir
betteln kommt, werd' ich sagen: Idi geb' dir nichts/ denn wie ich klein
war, hast du dich auch nicht um mich und um die Mutter gekümmert.
Geh nur wieder fort.«
Und doch wieder, wenige Tage später drängt er auf einer Reise mit
der Mutter, da sie den Aufenthaltsort des Vaters berühren, zu einem
Besuch bei ihm, hofft ihn auf dem Bahnhof zu sehen, ist während des
Weges von hier zum Hotel ganz aufgeregt und glaubt in jedem Passanten
den Vater zu erkennen. So streiten Liebe und Haß um die Herrschaft in
der kindlichen Seele und machen sie frühreif, verwirrt und müde.
Und trotz der zärtlichen Liebe zur Mutter steht der Knabe mandh-
mal auf Vaters Seite, so wenn ihm ihre Kleidung zu einfach sdieint und
er sagt: »Wenn wir nach X. <der Stadt, in welcher der Vater Iebt> fahren,
mußt du aber ein schönes Kleid anziehen, damit du dem Papa gefälfst,
wenn wir ihn sehen.« Er bemängelt häufig ihre Toilette, sieht nicht gern,
wenn sie erhitzt oder übermüdet von ihrem Beruf nadi Hause kommt und
will ihr, wenn er groß ist, sdiöne Kleider und Hüte kaufen und »viele
Flasdien Parfüm, damit du redit gut duftest«.
Aus diesem Falle und dem ähnlich verlaufenden Geschidc eines
kleinen Mädchens läßt sidi entnehmen, daß in Kindern, deren Eltern ge-
trennt leben, gegen den abwesenden, d. i. für das Kind schuldjgen Tetl
neben einem offenkundigen Haß eine tiefe oft unbewußte Sehnsucht nicht
zum Schweigen kommt, ja daß diese sidt gerade in den Haß hüllt, um sidi
Ausdrudc zu versdiaffen. Dr. H. v. Hug-Hellmuth.
Dr. H v. Hug-Hellmuth
sicfi in dem typisrfien Verhalten cler Schwiegermutter gegen die Frau des
Sohnes kundgibt.
Mit dreißig Jahren fällt ihm bei einem Gang durch die Stadt eine
Dame, die vor ihm geht, so angenehm auf, daß er ihr folgt. Wie er sie
an einer Straßenecke einholt und sie eben anspredhen will, wendet sie den
Kopf und er erkennt in ihr mit Bestürzung — seine Mutter.
III. Die eigentümliche Gewohnheit mancher Kinder, einen Elternteil
beim Vornamen zu rufen, findet sich in überwiegender Mehrzahl bei
Knaben der Mutter gegenüber, selten bei Mädchen zum Vater,- fast- nie aber
nennt meines Wissens ein Kind den gleichgeschledrtlichen Elternteil mit
dem Rufnamen. Es handelt sich eben dabei um eine Identifikation mit dem
letztern und um unbewußte heterosexuelle Anziehung.
IV. Da, soviel mir bekannt ist, nodt keine Beobachtung über die
Entwiddung des Ödipuskomplexes bei Kindern, die infolge einer Trennung
der elterlidien Ehe nur unter der mütterlichen Obhut — die väterliche
allein kommt aus äußeren Gründen kaum in Betracht — aufwuchsen, mit-
geteilt wurde, sei folgender Fall beriditet:
Die Eltern eines Knaben trennen ihre Ehe, als dieser drei Jahre alt.
Das Kind bleibt bei der Mutter, liebt sie zärtlich, ist aber bis zu seinem
sechsten Lebensjahr von großer Sehnsucht nach seinem Vater erfüllt, wenn-
gleich sidi sdion in dieser frühen Zeit oft eine sdiarfe Kritik über das
Fernsein des Vaters bemerkbar madit. Trotz aller Vorsidit und feinen
Taktes der Mutter entnimmt der aufgewedcte Junge aus erlauschten Ge-
sprächen mit Familienmitgliedern und Freunden, daß der Vater keine
schöne RoIIe gespielt und Frau und Kind einfadi im Stiche gelassen
habe. So nistet sidi nadi und nach neben der Sehnsucht ein tiefer Haß
gegen den Vater in seiner Seele ein, der ihn trotz zärtiicher Briefe, die er
an den Vater schreibt, gelegentlich — mit sieben Jahren — in böse Worte
ausbredhen läßt: »Wenn ich groß bin und mein Papa alt ist und zu mir
betteln kommt, werd' ich sagen: Idi geb' dir nichts/ denn wie ich klein
war, hast du dich auch nicht um mich und um die Mutter gekümmert.
Geh nur wieder fort.«
Und doch wieder, wenige Tage später drängt er auf einer Reise mit
der Mutter, da sie den Aufenthaltsort des Vaters berühren, zu einem
Besuch bei ihm, hofft ihn auf dem Bahnhof zu sehen, ist während des
Weges von hier zum Hotel ganz aufgeregt und glaubt in jedem Passanten
den Vater zu erkennen. So streiten Liebe und Haß um die Herrschaft in
der kindlichen Seele und machen sie frühreif, verwirrt und müde.
Und trotz der zärtlichen Liebe zur Mutter steht der Knabe mandh-
mal auf Vaters Seite, so wenn ihm ihre Kleidung zu einfach sdieint und
er sagt: »Wenn wir nach X. <der Stadt, in welcher der Vater Iebt> fahren,
mußt du aber ein schönes Kleid anziehen, damit du dem Papa gefälfst,
wenn wir ihn sehen.« Er bemängelt häufig ihre Toilette, sieht nicht gern,
wenn sie erhitzt oder übermüdet von ihrem Beruf nadi Hause kommt und
will ihr, wenn er groß ist, sdiöne Kleider und Hüte kaufen und »viele
Flasdien Parfüm, damit du redit gut duftest«.
Aus diesem Falle und dem ähnlich verlaufenden Geschidc eines
kleinen Mädchens läßt sidi entnehmen, daß in Kindern, deren Eltern ge-
trennt leben, gegen den abwesenden, d. i. für das Kind schuldjgen Tetl
neben einem offenkundigen Haß eine tiefe oft unbewußte Sehnsucht nicht
zum Schweigen kommt, ja daß diese sidt gerade in den Haß hüllt, um sidi
Ausdrudc zu versdiaffen. Dr. H. v. Hug-Hellmuth.