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Dr. Marcinowsfci
ersatzes wird von einer leiditen Trauer um die aufgegebene Mutter-
liebe durdiweht bleiben.
Nun lehrt uns die Beobaditung neurotisdier Männer iiberhaupt
und da in fast iiberwältigender Zahl und Einheitlichkeit, daß ihre
Charaktersdiwädren durch nichts so sehr bedingt werden als durdi
ihre unentsdhiedene doppelwertige Liebeseinstellung, die sie aus der
Kinderzeit her zwischen den Eltern gewonnen haben. Der stramme
Ödipus in seinem fröhlichen Trotz gegen den Vater ist demgegen-
über ganz entsdrieden das Gesunde, und man sollte ihn erzieherisdi
geradezu bewußt anstreben. Lehnt sich der Bub nun aber dabei
gegen einen außerdem mit fast mäddienbaften Empfmdungen ge-
iiebten Vater auf, so ist audh sdion das böse Gewissen geboren,
und die Zwiespältigkeit des Gefiihls zerreißt den Jungen und ver-
niditet seine Instinktsidierheit.
Jetzt weiß er nidit mehr, wie er eigentlich den Vater empfinden
soil, ob als Geliebten oder ais feindlichen Nebenbuhler. Der Wunsdi,
vom Vater geiiebt zu werden, nimmt seiner männlichen Sexuaikraft
ein gut Teil weg. Unbefriedigte Beziehungen zum Weibe bis zur
ausgesprochenen Impotenz sind deshalb häufig die Foige dieser kind-
iidien Einsteflung, die vom Vater nicht los wilf.
Der besdiriebene Fall ist nun dadurch besonders bemerkenswert,
daß das Verhältnis zum Vater hier über die Schwester hinüber
als der Trägerin seiner verehrten Eigenschaften zu einem normaL
sexueli möglichen wurde, so daß der Schwesternersatz im weiteren
Schidcsai dieses Mannes schiießlich doch einen entscheidenden Sieg
über die erste Frau <die unter Qberspringen der Schwester unmitteL
bar Beziehungen zur Mutter aufwies) davontrug, davontragen konnte,
weil in dem Schwesterntyp zugleich auch die nicht unwesentlichen Be-
standteile weiblidier Körperiichkeit mitgegeben waren.
Lehrreich ist der Fail als Bestätigung der alten Regei, der
Blüher nur aufs neue Ausdrudc gegeben hatte, der Regei, daß die
kindlichen Liebeseinstellungen entscheidend für unser späteres Sdiidcsai
werden und sich oft mit der Wucht von Zwangsiäufigkeiten durch-
setzen. Lehrreich ist der Fall aber auch in ärztlicher Hinsicht, da er
uns zeigt, von weich ungeheurem und entsdieidendem Werte die
psychoanalytisdhe Behandlung hier gerade auf einem Gebiete ge-
worden ist, das mit Ausnahme der erst im weiteren Verlauf der
Konflikte auftretenden Angstzustände zunächst ganz und gar nicht
in das Gebiet rein ärztlichen Handelns hineinzugehören schien.
Es ergibt sich daraus die Forderung, auch den Zugang zu dem
Gebiete der Kindererziehung für unsere psychoanalytische Wissen-
sdhaft zu erkämpfen, und es ergibt sich der Ausblick, daß die un-
geheure Masse der sittlichen und gesellschaftiidien Konflikte unseres
Lebens einer wissenschaftiidhen seelsorgerischen Behandlung in einem
Maße zugänglich werden können, wie es vor kurzem noch niemand
gewagt hat anzunehmen.
□ □ O
Buchdruckerei Carl Fromme, Ges. ni. b. H., Wien V.
Dr. Marcinowsfci
ersatzes wird von einer leiditen Trauer um die aufgegebene Mutter-
liebe durdiweht bleiben.
Nun lehrt uns die Beobaditung neurotisdier Männer iiberhaupt
und da in fast iiberwältigender Zahl und Einheitlichkeit, daß ihre
Charaktersdiwädren durch nichts so sehr bedingt werden als durdi
ihre unentsdhiedene doppelwertige Liebeseinstellung, die sie aus der
Kinderzeit her zwischen den Eltern gewonnen haben. Der stramme
Ödipus in seinem fröhlichen Trotz gegen den Vater ist demgegen-
über ganz entsdrieden das Gesunde, und man sollte ihn erzieherisdi
geradezu bewußt anstreben. Lehnt sich der Bub nun aber dabei
gegen einen außerdem mit fast mäddienbaften Empfmdungen ge-
iiebten Vater auf, so ist audh sdion das böse Gewissen geboren,
und die Zwiespältigkeit des Gefiihls zerreißt den Jungen und ver-
niditet seine Instinktsidierheit.
Jetzt weiß er nidit mehr, wie er eigentlich den Vater empfinden
soil, ob als Geliebten oder ais feindlichen Nebenbuhler. Der Wunsdi,
vom Vater geiiebt zu werden, nimmt seiner männlichen Sexuaikraft
ein gut Teil weg. Unbefriedigte Beziehungen zum Weibe bis zur
ausgesprochenen Impotenz sind deshalb häufig die Foige dieser kind-
iidien Einsteflung, die vom Vater nicht los wilf.
Der besdiriebene Fall ist nun dadurch besonders bemerkenswert,
daß das Verhältnis zum Vater hier über die Schwester hinüber
als der Trägerin seiner verehrten Eigenschaften zu einem normaL
sexueli möglichen wurde, so daß der Schwesternersatz im weiteren
Schidcsai dieses Mannes schiießlich doch einen entscheidenden Sieg
über die erste Frau <die unter Qberspringen der Schwester unmitteL
bar Beziehungen zur Mutter aufwies) davontrug, davontragen konnte,
weil in dem Schwesterntyp zugleich auch die nicht unwesentlichen Be-
standteile weiblidier Körperiichkeit mitgegeben waren.
Lehrreich ist der Fail als Bestätigung der alten Regei, der
Blüher nur aufs neue Ausdrudc gegeben hatte, der Regei, daß die
kindlichen Liebeseinstellungen entscheidend für unser späteres Sdiidcsai
werden und sich oft mit der Wucht von Zwangsiäufigkeiten durch-
setzen. Lehrreich ist der Fall aber auch in ärztlicher Hinsicht, da er
uns zeigt, von weich ungeheurem und entsdieidendem Werte die
psychoanalytisdhe Behandlung hier gerade auf einem Gebiete ge-
worden ist, das mit Ausnahme der erst im weiteren Verlauf der
Konflikte auftretenden Angstzustände zunächst ganz und gar nicht
in das Gebiet rein ärztlichen Handelns hineinzugehören schien.
Es ergibt sich daraus die Forderung, auch den Zugang zu dem
Gebiete der Kindererziehung für unsere psychoanalytische Wissen-
sdhaft zu erkämpfen, und es ergibt sich der Ausblick, daß die un-
geheure Masse der sittlichen und gesellschaftiidien Konflikte unseres
Lebens einer wissenschaftiidhen seelsorgerischen Behandlung in einem
Maße zugänglich werden können, wie es vor kurzem noch niemand
gewagt hat anzunehmen.
□ □ O
Buchdruckerei Carl Fromme, Ges. ni. b. H., Wien V.