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Dr. Hanns Sachs
Shakespeare vollkommen geglüdit, das Inkognito seiner Seele
zu wahren.
Nicht daß wir so wenig von ihm wüßten. Von dem Mist»
haufen vor der Türe, für den sein Vater Strafe zahlen mußte, bis
zu der halberzwungenen Ehe mit dem gesdhwängerten Bauern-
mädchen, und später dann, nach errungenem Ansehen und WohU
stand, von Kontrakten, Klagen und Prozessen wissen wir genug.
Aber von dem, was sein Inneres bewegt hat, von seinen Leiden*
sdiaften und Entsagungen kennen wir nicht einmal das äußerlidte
Kleid der Anlässe und Umstände. Zahllose Kommentatoren haben
versucht, das, was ihnen die gesdridrtlidhe Forsdiung versagte, aus
seinen Werken herauszulesen. Aber eben seine Größe, die Fähig^
keit sidi in jede Persönlichkeit, die seine Kunst beschworen hatte,
zu verwandeln, hat alle diese Bemühungen vereitelt.
Die Psydioanalyse darf sich dieser Aufgabe mit besserer
Aussicht unterziehen. Die Q.uelle jenes unendlichen Reichtums, jener
nimmermüden Wandlungsfähigkeit ist das Unbewußte, das, als das
allgemeinst Menschliche, die Möglichkeit in sich schließt, jede Wesens»
art anzunehmen. Die Psychoanalyse aber steht der Pythia ver-
gleichbar weissagend an der Stelle, wo aus den dunkeln, unzu-
gänglichen Klüften des Unbewußten die Dämpfe an die Oberfläche
steigen. Sie allein vermag von den Vorgängen, in denen sich Unbe-
wußtes zu Gestalten formt, etwas zu verkünden.
Im folgenden wurde von der neuen Möglichkeit nur be-
scheidener Gebrauch gemacht, um einen einzelnen Zug aus
Shakespeares Seelenleben in seinen Altersjahren zu erfassen.
Die Analyse liebt es, rüdcwärts zu schreiten, und so scheint es
nicht ungerechtfertigt, bei seiner letzten Liebe zu beginnen.
II. Entstehungszeit und Anlaß.
Ein Einzeldruck des »Tempest« vor der großen Gesamt*
ausgabe von 1623 ist nicht erschienen,- der Anhaltspunkt, den diese
»Quartos« zur Bestimmung des spätesten Termins der Entstehung
vieler Shakespearescher Werke bieten, fehlt also hier. Im »Folio«
hat der »Tempest« die allererste Stelle. Da die Werke im »Folio«
bestimmt nicht in chronologischer Anordnung stehen, läßt sich
daraus nicht viel schließen. Immerhin liegt die Annahme nahe, daß
die Herausgeber des Folio, als sie daran gingen, die Dramen zu
sammeln, unwillkürlich zunächst nach dem letzten Werke griffen
und ihm den Vorrang einräumten. Vielleicht hatten sie sogar ur-
sprünglich die Absicht, chronologisch in der umgekehrten Reihe der
Entstehung fortzuschreiten und gaben dann im Verlauf der Arbeit
diese Absicht auf, sei es, weil auch bei ihnen die Chronologie der
früheren Werke nicht mehr feststand, sei es, weil sie sich später
für ein anderes Einteilungsprinzip — in Comedies, Histories und
Dr. Hanns Sachs
Shakespeare vollkommen geglüdit, das Inkognito seiner Seele
zu wahren.
Nicht daß wir so wenig von ihm wüßten. Von dem Mist»
haufen vor der Türe, für den sein Vater Strafe zahlen mußte, bis
zu der halberzwungenen Ehe mit dem gesdhwängerten Bauern-
mädchen, und später dann, nach errungenem Ansehen und WohU
stand, von Kontrakten, Klagen und Prozessen wissen wir genug.
Aber von dem, was sein Inneres bewegt hat, von seinen Leiden*
sdiaften und Entsagungen kennen wir nicht einmal das äußerlidte
Kleid der Anlässe und Umstände. Zahllose Kommentatoren haben
versucht, das, was ihnen die gesdridrtlidhe Forsdiung versagte, aus
seinen Werken herauszulesen. Aber eben seine Größe, die Fähig^
keit sidi in jede Persönlichkeit, die seine Kunst beschworen hatte,
zu verwandeln, hat alle diese Bemühungen vereitelt.
Die Psydioanalyse darf sich dieser Aufgabe mit besserer
Aussicht unterziehen. Die Q.uelle jenes unendlichen Reichtums, jener
nimmermüden Wandlungsfähigkeit ist das Unbewußte, das, als das
allgemeinst Menschliche, die Möglichkeit in sich schließt, jede Wesens»
art anzunehmen. Die Psychoanalyse aber steht der Pythia ver-
gleichbar weissagend an der Stelle, wo aus den dunkeln, unzu-
gänglichen Klüften des Unbewußten die Dämpfe an die Oberfläche
steigen. Sie allein vermag von den Vorgängen, in denen sich Unbe-
wußtes zu Gestalten formt, etwas zu verkünden.
Im folgenden wurde von der neuen Möglichkeit nur be-
scheidener Gebrauch gemacht, um einen einzelnen Zug aus
Shakespeares Seelenleben in seinen Altersjahren zu erfassen.
Die Analyse liebt es, rüdcwärts zu schreiten, und so scheint es
nicht ungerechtfertigt, bei seiner letzten Liebe zu beginnen.
II. Entstehungszeit und Anlaß.
Ein Einzeldruck des »Tempest« vor der großen Gesamt*
ausgabe von 1623 ist nicht erschienen,- der Anhaltspunkt, den diese
»Quartos« zur Bestimmung des spätesten Termins der Entstehung
vieler Shakespearescher Werke bieten, fehlt also hier. Im »Folio«
hat der »Tempest« die allererste Stelle. Da die Werke im »Folio«
bestimmt nicht in chronologischer Anordnung stehen, läßt sich
daraus nicht viel schließen. Immerhin liegt die Annahme nahe, daß
die Herausgeber des Folio, als sie daran gingen, die Dramen zu
sammeln, unwillkürlich zunächst nach dem letzten Werke griffen
und ihm den Vorrang einräumten. Vielleicht hatten sie sogar ur-
sprünglich die Absicht, chronologisch in der umgekehrten Reihe der
Entstehung fortzuschreiten und gaben dann im Verlauf der Arbeit
diese Absicht auf, sei es, weil auch bei ihnen die Chronologie der
früheren Werke nicht mehr feststand, sei es, weil sie sich später
für ein anderes Einteilungsprinzip — in Comedies, Histories und